Mathematiker greift Umweltbundesamt an

Studie zu Diesel-Toten falsch berechnet

Die umstrittene Studie des Münchener Helmholtz-Institut zu vorzeitigen Todesfällen durch Stickoxide soll Rechenfehler enthalten.

11/2018, Auto-Abgase Innenstadt-Stau Auspuff Adobe Stock Foto: Adobe Stock

Die Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) aus dem März 2018 stand bereits Anfang 2019 in einem Positionspapier von mehr als 100 Lungenärzten und Ingenieuren in der Kritik.

Formel wurde falsch angewendet

Nun äußert sich ein Mathematiker zu der statistischen Rechnung der Studie und wirft dem Institut ebenfalls vor, ohne wissenschaftliche Grundlage übertriebene Ängste in Bezug auf die Sickoxid-Belastung zu schüren. „In diesem Report wird eine Formel verwendet, die falsch ist“, sagt Dr. Peter Morfeld, Epidemiologe und Mathematiker, der sich an der Universität Köln im Fach Epidemiologe zum Thema „Mathematische Kausalmodelle in der Medizin“ habilitiert hat, im ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“. „Wir können diesen Daten in dem Bericht des Umweltbundesamtes nicht trauen. Eine solche Aussage ist Unsinn.“

In der Studie heißt es, dass im Jahr 2014 rund 6.000 Menschen in Deutschland vorzeitig durch Stickoxide gestorben sind. Dies entspräche der Studie zufolge 1,8 Prozent aller Todesfälle, die in Zusammenhang mit Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems stehen. Weiter heißt es auf Seite 166 der Studie, dass auf 100.000 Einwohner gerechnet theoretisch 88 Lebensjahre verloren gehen würden.

Der statistische Zwilling fehlt

Morfeld wirft nun dem Helmholtz-Institut vor, die gebräuchliche „Attribiutale Fraktionsformel“ falsch angewendet zu haben. So fehle etwa die notwendige Datengrundlage, da für die Bestimmung der Todesfälle einer jeden Person ein statistische Zwilling benötigt werde. Dessen Lebensumstände und –weisen (Sport, Alkoholkonsum etc.) müssen sich bis auf die NO2-Belastung gleichen. „Wenn wir solche Daten nicht zur Verfügung haben, können wir den Begriff der vorzeitigen Todesfälle nicht sinnvoll verwenden“, sagt Prof. Peter Morfeld. „Und solche Daten gibt es in der Epidemiologie nicht.“ Wenn man nur auf die Größe schaue, die mit der Formel gemessen werden könne, nämlich generell verlorene Lebenszeit, ergebe sich ein ganz anderes Bild der Schadstoffbelastung als öffentlich dargestellt.

Der Effekt der NO2-Exposition sei in Wahrheit klein, im Jahr 2014 statistisch für die Gesamtbevölkerung betrachtet nur acht Stunden pro Person. „Diese große, plakative Wirkung mit den vielen Todesfällen ergibt sich nur, wenn ich die Formel falsch anwende.“

UBA will prüfen – Lungenarzt-Rechenfehler nicht gravierend

Das Umweltbundesamt stellt sich der Kritik und will die Anwendung der Formel sowie die Ableitung der Todesfälle daraus prüfen. Die sei von der WHO empfohlen. Das UBA steht mit dem US-amerikanischen Institute for Health Metrics and Evaluation aus Seattle in Kontakt, das diese Formel ebenfalls verwendet und führend ist auf dem Gebiet der Krankheitslaststudien.

Auch im Positionspapier der Lungenärzte und Ingenieure rund um den Lungenfacharzt Dieter Köhler hatte es nach Darstellung der Tageszeitung (taz) Fehler bei der Berechnung von Feinstaubbelastungen von Rauchern beziehungsweise falsche Ausgangswerte über den tatsächlichen Schadstoffgehalt von Zigaretten gegeben.

Auch Morfeld hat die Berechnungen überprüft. Dem NDR sagte Morfeld dazu: „Es ist richtig, dass ein Rechenfehler in eigenen Aussagen, die Herr Köhler gemacht hat, vorliegt. Aber dieser Rechenfehler hat keine große Relevanz für das eigentliche Argument, das er führt. Das ist mehr ein Nebensatz gewesen, in dem dies auftritt. Die eigentliche Logik der gesamten Argumentation wird dadurch nicht betroffen.“ Die Zahl der Lungenärzte, die die kritische Stellungnahme zu Luftschadstoffen unterzeichnet haben, ist inzwischen auf rund 130 angestiegen.