Alfa Romeo 6C 1750 GS im Fahrbericht

Höllenhund der Mille Miglia

Ein Alfa Romeo 6C vermag das Herz eines Automobilisten auf seltsame Weise immer ein wenig heller zum Glühen zu bringen - insbesondere natürlich, wenn es sich um einen Alfa Romeo 6C 1750 GS handelt, der 1930 und 1931 bei der Mille Miglia eingesetzt wurde.

Alfa Romeo 6C 1750 GS, Fahrer Foto: Hans-Dieter Seufert 15 Bilder

Es geht die Legende, Tazio Nuvolari habe sich im Alfa Romeo 6C 1750 GS bei der Mille Miglia 1930 des Nachts mit ausgeschalteten Scheinwerfern an seinen Lieblingsfeind Achile Varzi herangeschlichen, erst direkt hinter dem Kontrahenten aufgeblendet und sei dann mit voller Fahrt vorbei und dem Sieg entgegengeeilt.

Für Varzi muss dieser Moment gleich in mehrfacher Hinsicht ein Schock gewesen sein: Zum einen, weil er Nuvolari viel weiter hinten wähnte und nun nicht mehr kontern konnte - vor allem aber, weil die plötzlich dicht hinter ihm auftauchenden drei glutroten Scheinwerfer von Nuvolaris Alfa Romeo 6C 1750 GS vermutlich wie die bösen Augen eines Höllenhundes gewirkt haben müssen.

Mit dem Teufel im Bunde - und mit Königswelle und Kompressor

Was im Übrigen zur allgemeinen Vorstellung passte, Nuvolari sei ob seiner Fahrweise mit dem Teufel im Bunde. Seit damals jedenfalls gehören die drei roten Frontscheinwerfer zu den Erkennungsmerkmalen der sportlichen Vorkriegsmodelle wie dem Alfa Romeo 6C 1750 GS aus dem Hause Alfa Romeo. Offiziell sollten die roten Plexiglas-Abdeckungen die Aerodynamik verbessern, den psychologischen Effekt aber nahmen die Mailänder sicher gern in Kauf, zumal die Lichtausbeute eher schlechter gerät als ohne Abdeckungen. Und es wirkt noch heute: "Wenn man bei der Mille Miglia nachts mit eingeschalteten Lampen ankommt, macht alles Platz", meint Alfa-Spezialist Axel Marx.

Dabei hätten die Alfa Romeo 6C solche Effekthascherei im Grunde gar nicht nötig, weder damals noch heute. Schließlich zählt der von Vittorio Jano erdachte Sechszylinder zu den ganz großen italienischen Meisterwerken, ähnlich wie eine Stradivari eben oder ein Botticelli. 1927 als Alfa Romeo 6C 1500 mit nur einer obenliegenden Nockenwelle vorgestellt, zeigte die Konstruktion bald ihre Entwicklungsmöglichkeit, die zwei Jahre später im Alfa Romeo 6C 1750 Gran Sport der vierten und fünften Serie mit zwei obenliegenden, von einer Königswelle und Zahnrädern angetriebenen Nockenwellen, Kompressor und 85 PS bei 4.500 Touren endete.

Die wenigen Alfa Romeo 6C-Werksrennwagen verfügten sogar über verschweißte Zylinderköpfe (testa fissa) und stellten 102 PS bei 5.000 Umdrehungen zur Verfügung. Diese für damalige Begriffe stolze Leistung traf auf schlanke 920 Kilogramm Kampfgewicht und ein verwindungssteifes Chassis, dessen Radstand gegenüber den GT-Versionen nochmals um 175 auf 2.745 Millimeter gekürzt wurde. Die zweisitzigen Spider-Karosserien der Alfa Romeo 6C stammten meist von Zagato, seltener auch von Touring und Brianza.

Ein Alfa von der Scuderia Ferrari

Alles in allem war der Alfa Romeo 6C 1750 GS damit ein wunderbares Sportgerät, mit dem ein geeigneter Fahrer wie Nuvolari oder Varzi ebenso spielen konnte wie ein Virtuose auf einer Stradivari. Das Resultat waren zahllose Siege bei großen Rennen, etwa bei den 24 Stunden von Spa, den 12 Stunden von San Sebastian oder der Tourist Trophy in Irland. Und natürlich bei der Mille Miglia: 1929 gewann Giuseppe Campari, 1930 gelang Nuvolari nicht nur der Sieg, sondern auch als erstem Fahrer ein Schnitt über 100 km/h; hinter Nuvolari kamen drei weitere Alfa Romeo 6C 1750 ins Ziel.

Pech hatte dagegen damals Luigi Scarfiotti (später Vater des Formel 1-Fahrers und 1966 GP von Italien-Siegers Ludovico Scarfiotti): Er musste seinen Alfa Romeo 6C 1750 GS mit gebrochener Blattfeder abstellen. Heute wäre das ein Garantiefall, schließlich hatte der italienische Parlamentsabgeordnete und Hobby-Rennfahrer seinen neuen, hier abgebildeten Alfa Romeo 6C 1750 GS mit der Chassis-Nummer 8513033 gerade mal seit zwei Wochen auf das Zulassungskennzeichen MC 2010 (für die Provinz Macerata in den Marken) angemeldet.

70.000 Lire hat Scarfiotti damals der Concessionaria Emilia Romagne-Marche - Ca. Enzo Ferrari - Scuderia Ferrari bezahlt; die Karosserie des Alfa Romeo 6C 1750 GS hatte Ugo Zagato in Mailand angefertigt, und zwar offenbar mit dem leichten Windabweiser über dem Instrumentenblech, der eigentlich für die reinen Rennwagen aus Mailand typisch war. Bei der Mille Miglia 1930 gehörte Scarfiotti zum Team der frisch gegründeten Scuderia Ferrari, die bei diesem 1000-Meilen-Rennen den ersten Auftritt hatten, aber vom Pech verfolgt waren: Keiner der drei Alfa Romeo 6C kam ins Ziel.

Zu niedriges gebot - der Alfa wurde nicht verkauft

Scarfiotti ließ sich davon nicht beirren, wurde kurz darauf Zweiter am Colle die Paterno, Fünfter beim Coppa Gran Sasso und Vierter in der Coppa Pierazzi. So moralisch gestärkt, nahm er mit seinem Alfa Romeo 6C 1750 GS die Mille Miglia 1931 in Angriff und feierte schließlich den sechsten Gesamtplatz, wofür er von Enzo Ferrari für die Mille Miglia 1932 ein Team-Auto erhielt - Scarfiotti bedankte sich mit dem dritten Platz. Anschließend gab er seinen Alfa Romeo 6C 1750 GS an Alfa zurück, vermutlich als Inzahlungnahme für einen neuen Alfa Romeo 8C 2300.

Der Alfa Romeo 6C 1750 GS mit Fahrgestellnummer 8513033 wurde auf das Werk zugelassen, gelangte irgendwann nach Modena, wurde in den Siebzigern in Florenz und in den Neunzigern nochmals in Pisa restauriert, gehört seit 2005 einem texanischen Sammler und sollte am 5. Februar 2011 bei der Bonhams-Aukktion in Paris versteigert werden. Ein Höchstgebot von 720.000 Euro reichte allerdings nicht aus. Der Alfa Romeo 6C 1750 GS könnte demnächst also bei einer anderen Versteigerung wieder auftauchen.

Seit fast 80 Jahren ungeöffneter Antrieb

Als der Motor des Alfa Romeo 6C 1750 GS überholt wurde, sollen fünf der sechs Espresso-Tassen großen Kolben noch das Kürzel SF getragen haben - damit wäre der Antrieb seit der Mille Miglia 1931 ungeöffnet gewesen. Im überholten Motor sausen nun sechs neue Kolben auf und ab; der Sechszylinder des Alfa Romeo 6C 1750 GS läuft sich für die Probefahrt mit der vorgeschriebenen erhöhten Leerlaufdrehzahl warm und lässt dabei das charakteristische Heulen, Schwirren, Sirren und Mahlen hören, das sich nahe Nenndrehzahl zu einem mechanischen Geräuschorkan steigern wird und wie Musik in den Ohren aller Alfisti klingt.

Es dauert lange, bis sich die neun Liter Schmierstoff von zähem Honig in leicht laufendes Öl verwandeln. Ein Tritt auf das mittig angeordnete Gaspedal, die empfindliche Mehrscheiben-Kupplung rasch kommen lassen, und der Alfa Romeo 6C 1750 GS stürmt los. Der Kompressor saugt über den zweiflutigen Memini-Vergaser kräftig an und presst das Gemisch in die Brennkammern; in puncto Beschleunigung kann der Alfa Romeo 6C 1750 GS durchaus mit modernen Autos mithalten.

Nur das Schalten dauert mit dem unsynchronisierten Getriebe deutlich länger, wenn es nicht krachen soll. Und die vier Trommelbremsen des Alfa Romeo 6C 1750 GS benötigen einen kräftigen Tritt. Dafür geriet die Lenkung mit eindreiviertel Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag wunderbar direkt, beinahe schon nervös; im Verbund mit dem kurzen Radstand und der breiten Spur ergibt sich ein vergleichsweise wieselflinkes, agiles Fahrverhalten mit hohen Kurvengeschwindigkeiten.

Geschaffen für die Mille Miglia

Auf der anderen Seite rennt der Alfa Romeo 6C 1750 GS unter Volllast fast 150 km/h, bei Landstraßengeschwindigkeit im letzten Gang fängt der Sportmotor also gerade an, sich wohl zu fühlen. Damit ist der Alfa Romeo 6C 1750 GS auch heute noch wie geschaffen für die Mille Miglia, zumal er natürlich auch über die drei roten Scheinwerfer verfügt. Die Legende vom nächtlichen Anschleichen Nuvolaris und anschließendem Überholen mit aufgeblendeten Scheinwerfern wird übrigens heute von Experten angezweifelt - hauptsächlich, weil der Überholvorgang morgens um halb sechs Uhr stattfand, und da ist es auch in Italien schon hell. Was der Faszination der Legende und der drei rot glühenden Scheinwerfer keinen Abbruch tut. Ein tiefer Blick in die Augen des Alfa Romeo 6C 1750 GS wirkt fast hypnotisierend.