Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce im Fahrbericht

Tage der Targa

Die Targa Florio war eines der großartigsten Autorennen der Welt. Auf ihren Spuren durch Siziliens Norden fährt es sich am besten in einem der großartigsten Autos der Welt - einer Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce.

Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce, Frontansicht Foto: Michael Orth 17 Bilder

Irgendwann stellt sich dieses Gefühl ein. Zurückhaltend, doch von umwerfender Präsenz. Wie eine Melodie, die man nicht mehr los wird. Die Insel selbst singt zu dieser Melodie ihr Lied. Es geht um eine schöne Frau, die schönste, behauptet das Lied, und fragt: Warum kauft ihr niemand ein Kleid und lädt sie zum Tanzen ein? So bleibt der Frau nur die Schönheit, in ihrer Armut bleibt sie allein. Das ist das Lied Siziliens. Und jeder, der es hört, spürt dieses Gefühl, eine milde Traurigkeit, der nur mit einer Mischung aus Schulterzucken und übersteigertem Stolz zu begegnen ist. Stolz auf das, was gewesen ist, doch nie ganz Vergangenheit sein wird. So wie die Targa Florio, einst größtes Straßenrennen der Welt.

1906 war die Premiere der Targa Florio mit zehn Autos

Das Lied der Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce klingt anders als das der Insel - heller, fröhlicher, angriffslustiger. Der hochgezüchtete 1300er-Vierzylinder bellt bei jedem Gasstoß die bröckelnden Fassaden der krummen Häuser in Cerda an. Zwischen 1956 und 1963 addierte die Giulietta acht Klassensiege und zig Top-Ten-Platzierungen zu Alfas Erfolgsbilanz bei der Targa Florio. Und als das kleine Auto aus dem Ort herausbeschleunigt, klärt sich die Frage nach den Gründen dieses Erfolgs sofort. Wiegt der Wagen überhaupt etwas? Hätte man das wenige Gewicht besser austarieren können? Auf jeden Fall nicht besser, um auf den kurvigen Straßen des 72 km langen Piccolo Circuito delle Madonie durch den bergigen Norden Siziliens zu jagen.

Die Geschichte der Targa Florio beginnt, als Vincenzo Florio, sizilianischer Weinmagnat und Autonarr, Henri Desgrange, Herausgeber der Zeitung L'Auto und Begründer der Tour de France, bei einem Rennen in der Auvergne trifft. Wieso organisierst du nicht so etwas bei dir zu Hause? Desgrange spricht aus, was Florio ohnehin will. 1906 stehen zehn Autos am Start der Premiere. Bis 1977 folgen 61 Rennen über wechselnde Strecken, zwischen 1955 und 1973 zählt die Targa zur Sportwagen-Weltmeisterschaft.

Und noch heute zum kulturellen Erbe einer Insel, die sich die Vergangenheit bewahren muss, um die Gegenwart zu ertragen. Viele Junge entliehen ihr, die bleiben, haben weniger Hoffnung auf einen Job als die Alten Zähne im Mund. Vielleicht ist ja die Targa noch immer eine so große Sache, weil viel Glorreiches für Sizilien hinterher nicht kam.

Das härteste Rennen der Welt

Ganz ähnlich überstrahlt auch die Giulietta vieles, was folgte. Sie war es, die nach dem Krieg das Alfa-Image prägte: sportlich, innovativ, robust. Und: mit jeder Menge Spaß zu bewegen. Das gilt für die 1961er Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce von Hartmut Stöppel auch heute noch. Einmal über den Käfig in die schmalen Sitzschalen geklettert, ist alles wie von selbst zur Hand. Das harte Fahrwerk, abgestimmt eigentlich für Rundstrecken, schickt bei jeder Unebenheit die schönen Grüße einer Straße, die in den Bergen liegt wie ein böses Tier, das alle frisst, die nicht gut genug sind.

Noch heute ist es mehr Aufgabe als Ausflug, der Straße zu folgen, ohne sich hinreißen zu lassen, in der Giulietta zumal. Es ist nicht so, dass die Strecke alle Schwierigkeiten bietet, die man sich vorstellen kann. Es sind mehr.

Nicht nur für Ferrari-Pilot Mike Parkes war die Targa "das härteste Rennen der Welt, weil du unglaublich konzentriert sein musst und es keinen Moment der Entspannung gibt." Es geht die Anekdote, dass Ortsfremde vor dem ersten Training Filme ansahen, um einen Eindruck von der Strecke zu bekommen. Nicht wenigen soll dabei schlecht geworden sein.

"Nordschleife hoch drei"

Über den Asphalt der SS 120 zieht sich eine handbreite Linie, darüber fünf Buchstaben: Start. Alle sind sie hier gewesen, angespannt bis in die Haarspitzen, nass in ihren Rennanzügen, nicht nur der Hitze wegen. Nuvolari, Ferrari, Moss, Fangio, Bonnier, Munari, Siffert, Hill ... Immer noch umgibt diesen Ort die Aura des Außergewöhnlichen, auch wenn Fahrerlager und Tribünen vor sich hinbröckeln und die Tauben der Büste von Vincenzo Florio auf den Kopf kacken.

Erst in den Bergen zeigt die Targa ihr wahres Gesicht. Und die Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce ihr eigentliches Talent. "Die Strecke ist Nordschleife hoch drei", sagte Helmut Marko 1972. Und fuhr mit seinem Alfa 33 TT3 einen Rennrundenrekord für die Ewigkeit: 33 Minuten, 41 Sekunden, Schnitt 128. Heute hat die Giulietta an keiner Stelle des Kurses die Chance, dieses Tempo überhaupt zu erreichen. Was weniger am Auto als am Zustand der Straßen liegt. Schon in der ersten Kurve schert die Giulietta hinten aus. Also langsam, es ist kein Rennen mehr.

Giulietta Sprint Veloce ist robust, spontan drehfreudig, frei von Allüren - jung.

Die Targa Florio war mehr als das, als 1954 die Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce, im Folgejahr Limousine und Spider und im Jahr darauf die Sprint Veloce präsentiert wurden. Mit ihnen erschlossen sich die Mailänder Massen, ohne Massenware zu fabrizieren. Der einfache Alu-Vierzylinder mit dem charakteristischen Doppelnocken-Kopf war Alfa noch bis in die Neunziger gut. Im historischen Vergleich ist der 1300er herausragend, aktuell noch immer faszinierend: robust, spontan drehfreudig, frei von Allüren. Jung. Ebenso die einfache, aber nicht unelegante Fahrwerkskonstruktion, mit dem am Differenzialgehäuse verschraubten Reaktionsdreieck. Es führt die starre Hinterachse genau so, dass man oft, aber nicht allzu überraschend die Freude hat, das Heck mit Hilfe der sehr direkten Lenkung und dem Gas wieder einzufangen. Auf der Strecke der Targa gibt es genügend Gelegenheit dazu. Mehr als 500 Kurven.

Die Türen mancher Häuser seien zugenagelt worden, erzählt man, damit nicht am Renntag die Leute blindlings auf die Straße rannten. Überall klebten Plakate: Tiere seien einzusperren, Kinder von den Müttern - wohlgemerkt - nicht aus den Augen zu lassen. Gesperrt wurde der Kurs nur fürs Abschlusstraining und das Rennen. Die normalen Trainings liefen im ö. entlichen Straßenverkehr. Was hieß, dass man stets Gefahr lief, sich hinter einer Kurve in einen Eselkarren zu bohren.

Schon wer es ins Ziel schaffte, hatte einen Sieg zu feiern. Nino Vaccarella ist Lehrer in Palermo. 1965 gewinnt er die Targa Florio. Da wird der Lehrer für Sizilien ein Held. 1971 siegt er zum zweiten Mal. Da wird der Held unsterblich. Vier Jahre später gewinnt er wieder. Da wird der Unsterbliche ein Gott.

Leise knistert die Giulietta

Seitdem steht an einer grauen Wand in Collesano in großen Buchstaben: NINO. Der Name steht dort wie das Symbol für etwas, dem die Zeit nichts anhaben kann, so lange die Menschen nur daran glauben. Auf dem Weg bis Campofelice und dann auf der langen Geraden am Meer entlang fährt der Eindruck mit, dass sich das auf dieser Insel nie ändern wird. Zurück bei den bröckelnden Tribünen knistert die Alfa Romeo Giulietta Sprint Veloce leise vor sich hin. Wie wäre es, wenn sie die Boxengassen öffneten, die Haustüren wieder vernagelten, und man würde langsam vorrollen an die weiße Startlinie? Die Giulietta wäre sofort dabei.