BMW Isetta in den Alpen

Mit 13 PS hinauf aufs Timmelsjoch

Simpler kann ein Auto kaum sein, langsamer auch nicht. Wir wagen uns mit einer 13 PS starken BMW Isetta dennoch in die Alpen. Ein Ausflug wie in Zeitlupe, zugleich aber auch ein großartiges Abenteuer.

BMW Isetta, Frontansicht Foto: Arturo Rivas 17 Bilder

Entschlossen deponiere ich die Alpenkarte neben mir auf der Sitzbank, lasse die schwere Kühlschranktür ins Schloss fallen. Mein Plan steht unverrückbar fest, die Route ebenso: Ich werde in diesem eiförmigen Rollermobil von München bis auf das Timmelsjoch in den Ötztaler Alpen fahren. 13 PS gegen 2.509 Höhenmeter - es war einfach mal wieder Zeit für eine besondere Herausforderung.
 
Das Abenteuer - es beginnt bereits bei der Fahrt in der BMW Isetta quer durch München. Vollgas von Ampel zu Ampel. Und dennoch sind wir im zähen Stadtverkehr die langsamsten. Im Rückspiegel drängen auflaufende Kühlergrills, während ich mich erst allmählich mit dieser Schaltung arrangiere. Sie sitzt links in der Seitenwand und sorgt mit ihrem auf den Kopf gestellten und spiegelverkehrten H-Schaltschema bisweilen für Verwirrung. Dazu eine Kupplung so giftig wie eine Königskobra, und ein unsynchronisiertes Klauengetriebe, dessen Gänge mit Nachdruck eingelegt werden wollen. Beim Herunterschalten gerne mit Doppelkuppeln und Zwischengas, damit es im Getriebe nicht knirscht.

Die Autobahn ist für die BMW Isetta tabu

Zu meinem Erstaunen wird das grüne Rollermobil weder vom rückwärtigen Verkehr von der Straße geschoben noch werde ich als offensichtlicher Verursacher eines Staus aus vorbeifahrenden Autos grimmig angestarrt. Es wird nicht einmal gehupt, sondern gewunken und applaudiert. Auch daran muss ich mich erst einmal gewöhnen.

Die letzten Häuser von München, es wird ländlicher, schließlich Land. Genauer: bayerische Provinz, wohlhabend und herausgeputzt. Sanfte Hügel, gemähte Wiesen, gepflegte Häuser. Postkartenidylle hinter jeder Kurve. Ich halte am spindeldürren Lenkrad streng Kurs Süd, peile Benediktbeuern an. Die parallel zur Bundesstraße 11 verlaufende Autobahn hinunter nach Garmisch ist für die Isetta und mich heute tabu. Mit maximal 87 Sachen haben wir im modernen TDI-Revier schon lange nichts mehr verloren.

Doch selbst dieses beschauliche Tempo erscheint viel zu oft wie eine ferne Utopie. Wir hängen lange hinter einem Trecker fest, der mit Tempo 45 vor uns herzuckelt und sich einfach nicht überholen lassen will, weil uns schlicht die Strecke für den nötigen Anlauf mit der Isetta fehlt. Die unzähligen Kreisverkehre entpuppen sich zusätzlich als fiese Tempobremsen. Kaum in Fahrt, heißt es runter auf fast null, sich einfädeln und dann wieder mühsam die Segel blähen.

Bergab mit 90 Sachen

Dennoch freunden wir uns allmählich an, dieser tapfere Einzylinder und ich. Man muss diesen 300er-Smalblock eben nur bei Laune halten, um jedes seiner 18 Newtonmeter zu entlocken. Rote Schraffuren im Mini-Moped-Tacho übernehmen die Funktion eines Drehzahlmessers, indem sie die jeweiligen Gangbereiche anzeigen. Erster bis 20, Zweiter bis 40, Dritter bis 60 und der Vierte für den Vmax-Bereich. Spät hoch- und früh zurückschalten lautet das simple Erfolgsrezept bei der Isetta. Und dabei bloß keine Zeit verlieren, denn sonst ist der Schwung wieder für die Katz.

Hinter Benediktbeuern schließlich der Kochelsee, doch inzwischen spielt das Wetter nicht mehr mit. Auf den steilen Kehren hoch zum Kesselberg kämpft sich die Isetta bereits durch einen heftigen Schauer, die Sicht gleich null, weil der einsame Bonsai-Scheibenwischer mit diesen Wassermassen überfordert ist. Kurz vor der Grenze zu Österreich fällt der Hammer. Notgedrungen.

Unter blauem Himmel in Richtung Timmelsjoch

Der Tag darauf beginnt wie angekündigt. Blauer Himmel und Sonne satt. Mit ihren beiden kleinen Scheinwerfern scheint mir die BMW Isetta zuzublinzeln, dass sie bereit für das große Timmelsjoch-Abenteuer ist. Vorab, sozusagen zum Aufwärmen, rollen wir erst einmal bergauf nach Leutasch, das in einem weiten Hochtal liegt, umrahmt von Hochwanner, Dreitorspitze und Amspitze. Erste alpine Eindrücke. Genial, dass in der Isetta auch während der Fahrt genug Zeit zum Schauen bleibt.

Gleich darauf die erste nennenswerte Bergabpassage. Von der Schwerkraft zusätzlich angetrieben, fällt das Auto für einen Moment in einen Geschwindigkeitsbereich, den ich ihm kaum zugetraut hätte. Gefühlte 300 Sachen, in Wirklichkeit jedoch knapp über 90. Die metallene BMW Isetta-Karosserie wirkt wie ein riesiger Resonanzkörper, verstärkt den an sich braven Klang des Motors um ein Vielfaches.

Jetzt bloß am Ball bleiben, auch in den Kurven und Kehren. Achtung, schießt es mir plötzlich durch den Kopf. Trommelbremsen, die bereits im Münchner Stadtverkehr überfordert waren, und eine Schmalspurhinterachse - mit solch einer Konfiguration scherzt man im Grenzbereich besser nicht. Im Geist suche ich nach einem Bremsfallschirm, werfe mich im nächsten Moment auf der Bank reflexartig in die kurveninnere Seite, um der Schwerkraft entgegenzuwirken - was dieses Mobil, lerne ich, jedoch nicht wirklich nötig hat: Eine Isetta fällt nicht um. Der Tag beginnt viel versprechend.

Gut eine Stunde später der Abzweig in Richtung Sölden. Allmählich kommen mit den Ötztaler Alpen die wirklich großen Brocken in Sicht. Eine Reihe schneebedeckter Gipfel, die grell das Sonnenlicht reflektieren. Dort hinauf wollen wir.

Mit all ihrem zur Verfügung stehenden Temperament tuckert die BMW Isetta bergan, scheint zu spüren, dass auf der anderen Seite des Alpenkammes Italien liegt, streng genommen ihre Heimat: Es ist der Mailänder Motorrad-und Kühlschrankhersteller ISO, der 1954 das dreirädrige und von einem Zweitaktmotor angetriebene Rollermobil ISO-Isetta präsentiert, welches von BMW schließlich von 1955 bis 1962 in Lizenz produziert wird.

Doch anders als der Italo-Winzling verfügt die Isetta made in Bavaria über vier Räder sowie über den Viertakt-Motorradmotor aus der R 25. Im ersten Jahr als 12 PS starke 250er-Version angeboten, kommt die Isetta 1956 auch als 300er mit 13 PS auf den Markt. Zusammen mit Käfer, Goggomobil und dem Messerschmitt Kabinenroller erobern viele Bundesbürger damit erstmals auch die Passstraßen der Alpen. So wie wir heute.

Die Passhöhe im Visier

15 Kilometer hinter Sölden endlich der Abzweig zur Timmelsjoch-Nordrampe. Tapfer machen wir uns an den Aufstieg, wollen uns weder von den elf Kehren noch von der elfprozentigen Steigung Bange machen lassen. Doch bereits der Anblick der Trasse wirkt am Steuer eines nur 13 PS starken Automobils so einschüchternd wie die Eigernordwand auf einen Bergsteigernovizen. Dort hinauf? Unmöglich. Aber aufgeben? Niemals! Nicht jetzt, nicht hier. Auch wenn sich das kleine Triebwerk der Isetta die Seele aus dem metallenen Leib rackert. Dennoch schleichen Bäume und Berge in Zeitlupe vorbei. Tempo 25. Mehr geht an den steilsten Stellen einfach nicht.

Doch die BMW Isetta packt‘s. Passiert die Baumgrenze und gleich darauf die Mautstation, die auf über 2.200 Meter Höhe liegt. 18 Euro für die Hin- und Rückfahrt sind eine Frechheit, doch daran wird unser Abenteuer jetzt nicht scheitern.

Weiter. Meter für Meter hart erkämpft. Dass auch hier von hinten nicht gehupt oder gedrängelt wird, verbuchen wir als klare Sympathiekundgebung. Diese Knutschkugel genießt ganz offensichtlich Welpenschutz.

Die letzten Kehren und schließlich die Passhöhe. 2.509 Meter über null. Wir haben es tatsächlich geschafft und sorgen auf dem kleinen Parkplatz nebenbei für einen Volksauflauf. „So einen hatten wir früher auch einmal“, hallt es nicht zum ersten Mal während dieser Fahrt zu mir herüber. Kinder wollen Probe sitzen, und sogar eine Reisegruppe aus Brasilien steht für Fotos geduldig Schlange. Genieße es, liebe Isetta. Du hast es dir verdient.

Reise-Infos
Die in der Reportage beschriebene Route führte von München in südliche Richtung über die Bundestraße 11 bis Mittenwald und weiter über Leutasch und Telfs bis Sölden im Ötztal. Die nördliche Rampe des Timmelsjoch beginnt kurz vor Obergurgl. Die einfache Befahrung kostet für einen Pkw 14 Euro, hin und zurück werden 18 Euro fällig. Infos: www.timmelsjoch.com.
Fahrten in die Alpen sind besonders für leistungsschwächere Fahrzeuge eine große Anstrengung. Motor, Getriebe und Bremsen werden da schon mal bis an ihr Limit gefordert. Ein einwandfreier Zustand der Technik gilt als vorausgesetzt. Ein Ersatzteilpaket sowie ein Werkzeugset gehören mit an Bord, wenn - wie zum Beispiel in unserem Fall - ein gerissener Gaszug nicht für eine stundenlange Pause sorgen soll.