Dirk Johaes Klassiker-Blog

Turboloch von Ferrari

Irgendwie erinnert das Verhalten in Ferraris Formel-1-Rennstall an einen Fußballverein: Entsprechen die Ergebnisse der Mannschaft nicht den Vorstellungen, geht in der Regel der Trainer – wie in der vergangenen Woche der Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali in der Formel 1.

Dirk Johae-Blog - Turboloch von Ferrari Foto: Matt Sills 12 Bilder

In der Bar Parco von Brescia ist der Wechsel in der Scuderia von Maranello das Gesprächsthema – zumindest nach dem knappen 1:0 von Fast-Meister Juve gegen Bologna. Stammgast Stefano meint: "Der dritte Platz von Alonso ist ein Erfolg, es geht wieder aufwärts." Tankstellenbesitzer Piercarlo, der kurz für einen Espresso hereinkommt, winkt ab: "Das liegt doch nur am besseren Benzin, das sie jetzt bekommen." Da meldet sich der alte Costantino aus der Ecke: "Di Montezemolo macht es so wie vor 40 Jahren. Aber ob das diesmal hilft?", fragt der kleine, drahtige Mann.

Ferraris gute, alte Zeit

Vielleicht erinnerte sich Ferrari-Chef Luca Di Montezemolo wirklich an 1973, als er selbst im zarten Alter von 26 Jahren für einen Ruck in der damals recht erfolglosen Renn-Truppe gesorgt hatte. Als persönlicher Assistent von Enzo Ferrari räumte er in der von Sandro Colombo geführten Rennabteilung auf, um im Jahre darauf deren Leitung übernahm. Sein Glück damals: die Verpflichtung von Niki Lauda. "Dr. Montezemolo", wie Motorsportreporter Helmut Zwickl den jungen Adeligen in Ferrari-Diensten taufte, fädelte aber nicht nur den Deal mit dem späteren Weltmeister ein, sondern schloss in der Scuderia auch die Sportprototypen-Abteilung. Die Montezemolo-Diät verordnete den Sportlern eine strenge Konzentration auf die Königsklasse.

Di Montezemolo, der für das Ferrari-Kommando sein Studium (Internationales Handelsrecht) und seinen Juristen-Job in den USA schmiss, hatte weitere unpopuläre Maßnahmen im Köcher: Bei den großen Preisen von Holland und Deutschland fehlte die Scuderia. Werksfahrer Jacky Ickx, der im Vorjahr noch das Rennen auf dem Nürburgring gewonnen hatte, sprach in Maranello vor und kündigte: "Ich habe mich freundschaftlich von Ferrari getrennt", sagte der Belgier, der ab 1976 im Porsche-Sportwagenteam seine zweite Renn-Jugend erlebte.

Trainingsweltmeister Lauda

1974 wurde also alles besser: Zwar gewann Niki Lauda trotz neun Trainingsbestzeiten in 15 Läufen nur zwei Rennen. Aber unter dem jungen Teamchef Di Montezemolo ging es deutlich vorwärts. Ferrari wurde hinter McLaren Vize-Weltmeister bei den Konstrukteuren (nach dem 6. Platz im Vorjahr) und Laudas Teamkollege Clay Regazzoni Vizeweltmeister bei den Fahrern. Kein Wunder: Zum Fitmachen wurden dem 312B3 samt Fahrern insgesamt 20 000 Test-Kilometer verordnet. Ab 1975 gewann die Scuderia drei Mal in Folge die Weltmeisterkrone der Konstrukteure, Niki Lauda wurde zwei Mal Fahrer-Weltmeister. 1976 verpasste er den WM-Titel nach seinem furchtbaren Unfall auf dem Nürburgring nur um einen Punkt.

Schaut man jedoch in die lange Liste der Direttore Sportivo bei Ferrari, so stellt man fest: Fast von Beginn an war dieser Job wirklich ein Schleuderstuhl wie bei einem Übungsleiter von Profikickern. Auf Di Montezemolo, der innerhalb des Fiat-Konzern aufstieg, folgten mit Daniele Audetto und Roberto Nosetto zwei Saison-Arbeiter, bis der hartnäckige Marco Piccinini das Zepter übernahm und eine ganze Dekade prägte – länger blieb später nur Jean Todt. Dabei saß Piccinini so fest im Sattel, dass er selbst die vermurkste Saison 1980 mit dem 312 T5 (Spitzname: "Rasenmäher") überstand: Der Titelverteidiger stürzte auf den zehnten Rang der Konstrukteurswertung ab. Aber in nur zwei Saisons schaffte Ferrari den Weg zurück zur Spitze: 1982 und 1983 wurde die Scuderia erneut Konstrukteursweltmeister. Zudem hatte sie den Umschwung zum Turbomotor geschafft, mit Harvey Postlethwaite einen Spitzen-Konstrukteur als Ablöse für Mauro Forghieri verpflichtet und die Umstellung auf den neuen Werkstoff Kohlefaser im Chassisbau geschafft.

Erfolgsserie von Ferrari

Keiner aber war so erfolgreich wie Jean Todt: fünf Konstrukteursweltmeister in Folge, dazu vier Fahrertitel mit Michael Schumacher. Dieses Erbe war für den netten Signore Dominicali zu mächtig. Die Bilanz des studierten Betriebswirtschaftlers: zwei Konstrukteurstitel (2007 und 2008), außerdem der Fahrertitel mit Kimi Raikkönen 2007. Aber danach gab es nur einzelne Rennsiege, zuletzt 2013 in Spanien durch den ehemaligen Weltmeister Fernando Alonso, den Domenicali 2010 zu Ferrari holte. Drei Mal war der Spanier in dieser Zeit Vizeweltmeister, der jetzt intern Unruhe stiftet und für die Zukunft mit McLaren-Honda liebäugeln soll.

Jetzt soll der hochrangige Ferrari-Manager und Motorsport-Novize Marco Mattiacci in der Scuderia Regie führen. Sein Erbe wiegt noch schwerer als das sein Vorgängers: Er muss die roten Renner nicht nur so schnell wie möglich an zurück an die Spitze führen, sondern auch die Konstanz fortführen. In den vergangenen 21 Jahren hatte die Scuderia nur zwei Sportchefs: einmalig in der Geschichte der roten Renner aus Maranello.

"Bar Parco" heißt mein wöchentlicher Blog. Die Bar gibt es tatsächlich. Sie ist in der Mille Miglia-Stadt Brescia zu finden und liegt an der Via Rebuffone unweit der Start- und Zielrampe an der Viale Venezia. An jedem Freitag stelle ich mir vor, dort zur Einstimmung ins Wochenende einen Espresso zu trinken.