Tatra T 80 im Fahrbericht

Magna Tatra - der große Tatra

Mit dem T 80 gelang Tatra ein eigenständiges Meisterstück der Technik. Einzelradaufhängung und ein V12-Motor sorgen für exklusiven Fahrspaß. Am 18. September live zu erleben bei der Schloss Bensberg Classics.

Tatra T80, Seitenansicht, Ersatzrad Foto: Arturo Rivas 22 Bilder

Wer an Tatra denkt, dem kommt sofort der T 603 in den Sinn. Die bevorzugt in Schwarz ausgelieferte Stromlinien-Limousine glich einer Zigarre vom Typ „Robusto“ und war von 1956 bis 1975 die S-Klasse der sozialistischen Brüderstaaten hinter dem Eisernen Vorhang. Ein luftgekühlter V8-Motor im Heck mit 2,5 Liter Hubraum schob den Luxusliner „Z ceských luhu a háju“ (Bedrich Smetana: „Durch Böhmens Hain und Flur“). Doch die Tschechen konnten auch anders. Im niederländischen Druten erwartet uns ein Tatra T 80 mit V12-Motor.

Von 1931 bis 1938 nur 25 Mal gebaut, zählte der große Tatra T 80 zur reichlich vorhandenen globalen V12-Prominenz: In Europa Daimler (GB), Horch, Maybach und Hispano-Suiza, in den USA Cadillac, Franklin, Lincoln und Packard. Zu Beginn der 30er Jahre hatte nämlich fast jeder (Premium)-Automobil-Hersteller ein Spitzenmodell mit prestigeträchtigem V12-Motor im Programm, um sein technisches Potenzial zu beweisen. So war es auch bei Tatra. Dabei nutzte das teure V12-Cabrio das gleiche technische Konzept wie seine Brot-und-Butter-Markenbrüder.

Ein Zweizylinder als Vorbild

Bereits der Tatra T 11 von 1923 besaß wie der mondände Tatra T 80 ein massiv geformtes Stahlrohr als Zentralrahmen, an dem vorne der Motor mitsamt Getriebe und hinten das Differenzial als mittragende Elemente angeflanscht waren. Die Räder sind einzeln aufgehängt und mit einer Querblattfeder versehen: vorne an zwei Querlenkern mit Schubstreben, hinten als Pendelachse. Für den Vortrieb sorgte ein luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, der aus 1.057 Kubikzentimeter zwölf standfeste PS bei 2.800/min stampfte. Schöpfer dieses robusten, kühlerlosen Kleinwagens war der legendäre Konstrukteur Hans Ledwinka (1878 bis 1967), der von 1897 bis 1945, unterbrochen durch ein Gastspiel bei Steyr, für Tatra arbeitete.

Die Marke Tatra ist nach dem über 2.500 Meter hohen Gebirgszug der Karpaten („Hohe Tatra“) benannt. Das geschah im Jahr 1919, als man nach dem Zerfall der K & K-Monarchie für die Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft einen neuen, einprägsamen Namen suchte. Der 1850 gegründete Nesseldorfer Wagenbau stellte bereits 1898 ein eigenes Automobil her, weshalb der Stammbaum von Tatra bis in die Pionierzeit des Automobilbaus zurückreicht.

Das Glanzstück der heute noch als Lastwagen-Produzent aktiven Marke steht jetzt vor uns: der gigantische, herrlich grüne Tatra T 80 mit sechs Liter großem V12-Motor. Das nur in zwei Exemplaren erhalten gebliebene Luxusauto gehört Frans van Haren, der rund 50 erlesene Klassiker besitzt, vor allem Vorkriegs-Topmodelle der Marken Bentley, Bugatti, Mercedes und andere. Einen sympathischen Kontrast zu den großkalibrigen Preziosen bildet eine Kollektion an bunten Fiat Topolino – als wären sie gerade dem Kinohit „Cars 2“ entsprungen.

Vor der Ausfahrt bewundern wir am Tatra T 80 vor allem den extrem langen Radstand von 3,8 Meter, den nur einige rare Daimler-, Duesenberg- und Delage-Modelle überbieten, nicht jedoch die deutschen Edelmarken Horch, Maybach und Mercedes-Benz. Die niedrig gezeichnete Cabrio-Karosserie mit der winzigen Windschutzscheibe wirkt außerordentlich dynamisch. Auch die Motorhaube ist im Vergleich zu den sie flankierenden Kotflügeln niedrig gehalten. Das Fehlen von Karosserieüberhängen an Front und Heck sowie der diskret niedrige Anbaukoffer verstärken den Eindruck eines eleganten, entschlossen auftretenden Sport Tourers.

Technik ohne Schnickschnack

Die großen, mit jeweils drei Scharnieren versehenen Türen erlauben einen bequemen Einstieg – auch in den geräumigen Fond. Das Interieur wirkt relativ schlicht. Anstatt mondänem Art-Déco-Zierrat in Lack und Chrom finden wir im Tatra sportive Funktionalität: ein Holzarmaturenbrett aus heimischen Wäldern mit zentraler Instrumentengruppe, eine praktische Lehnenverstellung der Einzelsitze, Türtaschen für alle vier Passagiere und einen „Suchscheinwerfer mit Innenbetätigung“. So steht es in der Kaufbroschüre von 1930, die auch elementare Dinge wie die „elektrische Licht- und Starteranlage“ als Bestandteil der Serienausstattung würdigt. Und bei den technischen Daten, ganz bescheiden: „Zylinderzahl 12, Motorleistung 115 – 120 PS, Maximalgeschwindigkeit über 130 km/St.“

Das war damals schon eine Nummer, kam doch ein Mercedes vom Typ 170, der heute der C-Klasse entspräche, auf gerade mal 32 PS. Der V12 verfügt über eine zentrale, per Kette angetriebene Nockenwelle. Die Kette treibt gleichzeitig das massive Metall-Lüfterrad an. Von dort führt eine Welle nach hinten zur zentral angebrachten Lichtmaschine.

Der Tatra fährt so leise wie ein Segelschiff

Während der ersten Ausfahrt am kühlen Morgen im noch geschlossenen Cabrio sitzt der Tatra-Eigner van Haren am Lenkrad. Nach dem blechernen Heulen des Anlassers ist fast nichts zu hören: Läuft denn der Motor schon? Eindeutig ja, wie das trockene „Krrrrrritt“ beim Einlegen des ersten Gangs beweist. Wir fahren los, fast ohne Lärm und Vibrationen. Im Vergleich zu einem Sechszylinder-Mercedes SS oder Vierzylinder-Bentley 4 1/2 litre beinahe wie mit E-Antrieb. Etwas über Fahrrad-Bummeltempo schaltet van Haren bereits in den zweiten Gang. Dann tritt er kräftig aufs Gas, sodass wir beide merklich in die bequemen Ledersitze gepresst werden. Als Fahrgeräusch begleitet uns nur das singende Getriebe mit je nach Fahrgeschwindigkeit wechselndem Glissando.

Beim Überfahren der in Holland exzessiv angebrachten Bremsbuckel zeigt das Tatra-Chassis jedoch nicht die gleiche Geschmeidigkeit wie der V12-Motor, sondern katapultiert uns hoch bis ans Cabrio-Dach. Unterwegs übernimmt van Harens Haustechniker Henk de Kok das Steuer, weil sein Chef zu einem wichtigen Geschäftstermin muss. De Kok klappt mit wenigen Handgriffen das Verdeck nach hinten. Gemeinsam befestigen wir die Persenning über Stoff und Gestänge – und der Tatra ist wie verwandelt: Aus dem streng wirkenden, innen ziemlich dunklen Langstreckenbomber wird ein fröhlicher Luftikus, ein Opel Laubfrosch XXXL, der uns jetzt den Himmel und die Herzen der Passanten deutlich näher bringt: Fußgänger überlassen uns an Zebrastreifen oft den Vortritt, damit sie den Tatra in seiner ganzen Pracht bewundern können.

Vielleicht wollen sie auch hören, wie so ein Oldtimer am Auspuff brabbelt? Fehlanzeige beim Tatra T 80, der fast so leise wie ein Segelschiff dahingleitet. Wer das live erleben will, der sollte am 18. September die Schloss Bensberg Classics bei Bergisch Gladbach besuchen, wo der rare Tatra T 80 zu Gast sein wird.