Ferrari 275 GTB/4 und Lamborghini Miura P 400

V12-Rivalen der 70er mit mehr als 300 PS

Aufwendige V12-Motoren, hinreißende Karosserien, mehr als 300 PS: In den 60ern zählten Ferrari 275 GTB/4 und Lamborghini Miura P 400 zu den heißesten Supersportlern. Heute taugen sie mit Höchstgeschwindigkeiten jenseits der 250 km/h als Pulsbeschleuniger.

Ferrari 275 GTB/4, Lamborghini Miura P 400, Frontansicht Foto: Fact 34 Bilder

Wer 1967 über gut 60.000 Mark verfügte, hätte sich dafür etwa 15 VW Käfer 1200 kaufen können. Doch schon das damit heraufbeschworene Garagenproblem ließ es ratsamer erscheinen, die Summe in ein einziges, aber dafür wesentlich exklusiveres Fahrzeug zu investieren. Exakt in jenem Jahr kamen dafür zwei besonders attraktive Traumsportwagen in Betracht: der rassige Ferrari 275 GTB/4 und der revolutionäre Lamborghini Miura P 400. Die Entscheidung für einen der beiden fiel allerdings schwer, das lässt sich noch heute nachvollziehen.

Der Ferrari besticht äußerlich mit einer gelungenen Mixtur aus Schönheit und Sportlichkeit. Seine von Pininfarina gestylte Hülle erfreut den Ästheten mit ihren herrlichen Rundungen, wenngleich der nicht so genau hinschauen sollte, denn die von Scaglietti gehämmerten Karossen waren selten perfekt symmetrisch.

Ferrari 275 GTB/4 mit aufregender Karosserie

Die Kiemen in der Wagenflanke und hinter dem Seitenfenster sowie der lange Vorderbau mit der für den Ferrari 275 GTB/4 typischen Erhebung in der Haubenmitte suggerieren Kraft und Dynamik - vom Image des Namens Ferrari ganz zu schweigen. Der steht symbolhaft für schnelle Autos und ruhmreiche Rennsiege -Ferrari fahren ist einfach aufregend.

Natürlich flossen die im Sport gewonnenen Erfahrungen der Firma auch in die Serienproduktion ein. Der 1964 präsentierte Ferrari 275 GTB/4 glänzt als erster Straßensportwagen des Hauses mit Einzelradaufhängung rundum, und die Transaxle-Bauweise sorgt für eine optimale Gewichtsverteilung.

Das an die Hinterachse verbannte Fünfganggetriebe ermöglicht für die Passagiere einen großzügigen Fußraum. Durch die Fahrgastzelle verläuft nur ein flacher Tunnel für die Kardanwelle, die während der Produktionszeit des 275 in ein Schubrohr gesteckt wurde, um die ganze Konstruktion zu festigen. Der Ferrari 275 GTB/4 geriet immer perfekter.

Der 1966 vorgestellte Ferrari 275 GTB/4 bildet die Krönung dieser Baureihe. Der Einstieg vollzieht sich problemlos, nur die harten Wangen der Sitzschale stören ein wenig. Die hohe Gürtellinie vermittelt im Innenraum ein Gefühl der Geborgenheit, und als kleines Luxusaccessoire steht ein Ruhebänkchen für den gestressten Kupplungsfuß zur Verfügung.
Beim Anblick des Holzvolants und der fein gezeichneten Veglia-Instrumente gerät jeder Sportwagen-Fan ins Schwärmen – ganz besonders, wenn das Triebwerk nach kurzem Orgeln des Anlassers geräuschvoll zum Leben erwacht. Dann scharrt der Hengst mit den Hufen, möchte zeigen, was in ihm steckt.

Ferrari 275 GTB/4 mit verbessertem Colombo-V12

300 PS bei astronomischen 8.000/min verspricht das Werk für den Zwölfzylinder, der den entscheidenden Unterschied zum Ferrari 275 GTB/4 macht. Zwar basiert der Motor immer noch auf der Colombo-Konstruktion, doch weist er Zylinderköpfe mit vier obenliegenden Nockenwellen auf, was die Vier in der Typenbezeichnung 275 GTB/4 erklärt. Eine weitere Aufrüstung ist die Trockensumpfschmierung, ganz wie bei Rennwagen.

Der Schalthebel des Ferrari 275 GTB/4 liegt dank eines leichten Knicks nach hinten perfekt zur Hand. Der erste Gang befindet sich links hinten, das Kupplungspedal verlangt kräftigen Druck, und der Kupplungsweg ist kurz.

Echter Langstreckenrenner

Schon nach wenigen Kilometern macht sich grenzenlose Begeisterung breit. Beim Druck auf das Gaspedal zieht der 3,3-Liter-Motor - begleitet von schönster V12-Musik - aus niedrigen Drehzahlen sauber hoch, der gleichmäßige Kraftzuwachs scheint kein Ende zu nehmen. Selbst wenn sich mancher aufgrund des hohen konstruktiven Aufwands gegenüber dem Ferrari 275 GTB/4 noch mehr Leistung erhofft hätte, geht es genügend zügig voran.

Dieser Ferrari entpuppt sich als harmonische Erscheinung, gibt sich auf kleinen kurvenreichen Straßen deutlich weniger Lastwagen-artig als der Nachfolger Daytona und animiert geradezu zum schnellen Reisen. Auch Geschwindigkeiten jenseits der 200er-Marke bereiten keine Angstzustände, denn die schon beim Ferrari 275 GTB/4 eingeführte Karosse mit längerer Nase stabilisiert die Front. Dieses Auto ist ein Langstrecken-Renner - es müssen ja nicht gleich die 24 Stunden von Le Mans sein.

Lamborghini Miura ist ein Rebell

Die wären doch vielleicht eher etwas für den Lamborghini Miura, mag mancher denken. Tatsächlich brach der Miura mit allen damals üblichen Vorstellungen von einen Straßensportwagen. Er war ein Rebell, entstanden nach einem vom Ford GT 40 inspirierten Mittelmotorkonzept. Hatte schon das 1965 auf dem Turiner Salon präsentierte Chassis für Furore gesorgt, so erntete das fertige Auto im Frühjahr des folgenden Jahres wahre Begeisterungsstürme.

Aus den noch von Giugiaro skizzierten Grundlinien hat der junge Designer Marcello Gandini einen phantastischen Wagen mit vielen faszinierenden Details gezaubert. Dazu gehören die wie Augenwimpern wirkenden Gitter um die Scheinwerfer, die Lamellen am Heck oder die riesige Front- und Heckhaube, die geöffnet den Blick auf den von der Firma Marchesi zusammengeschweißten Stahlrahmen und alle damit bestückten Technikteile des Lamborghini Miura freigibt.

Auch wenn sich Firmenboss Ferruccio Lamborghini strikt gegen den Motorsport ausgesprochen hatte, ähnelt der Lamborghini Miura in vielen Details einem Rennwagen, was ihn umso aufregender macht.

Lamborghini Miura mit ungewöhnlichen Aussichten

Der Einstieg in die etwas über einen Meter hohe Flunder erfordert eine gewisse Gelenkigkeit, weil man im Lamborghini Miura eine ganze Etage tiefer sitzt als im Ferrari - und beengter. Die stehenden Pedale haben Platz zwischen der breiten Mittelkonsole und dem Radhaus gefunden. Die Innenraumbreite ist okay, doch hinter den Sitzlehnen ist das Abteil schlagartig zu Ende. Es gibt hier kaum Ablagen, andererseits ungewöhnliche Aussichten. Besonders jene nach hinten, die einen Blick in den Maschinenraum erlaubt.

Ingenieur Gian Paolo Dallara hat für den Lamborghini Miura einen quer montierten V12 vorgesehen, und der schmiegt sich so dicht an den Rücken der Passagiere, dass diese beim Zurückschauen direkt auf eine der Vergaserbatterien blicken, die wie kleine Gebirge über den Zylinderköpfen thronen.

Doch für solche Betrachtungen bleibt beim Fahren keine Zeit. Vor dem Start noch schnell ein Blick auf die Bedienungselemente und Instrumente des Lamborghini Miura. Der Jaeger-Tacho mit den kräftigen weißen Zahlen reicht bis zu verheißungsvollen 320 km/h. Neben dem Drehzahlmesser bitten rechts vom Fahrer sechs weitere kleinere Anzeigen um Aufmerksamkeit. Einige Schalter, wie der zum Aufstellen der Scheinwerfer, sitzen am Dach - das ist nicht praktisch, aber originell.

Lambo krawalliger als der Ferrari

Ein Drehen des Zündschlüssels auf der Mittelkonsole entfacht im Heck ein wahres Inferno. Der Lamborghini Miura gibt sich deutlich krawalliger als der Ferrari, woran die montierte Auspuffanlage nicht ganz unschuldig ist. Zudem ist das Fahren im Miura von vielen mechanischen Geräuschen begleitet. Auch wenn dieses Exemplar auf die schrägverzahnten Differenzialräder umgerüstet ist, um die Heultöne zu reduzieren: Eine Unterhaltung bei hoch drehendem Motor ruiniert auf Dauer die Stimmbänder.

An schnelles Kurvenfahren muss man sich erst gewöhnen. Das Lenkrad des Lamborghini Miura steht einen Tick flacher als üblich, und der Lenkung fehlen die Rückstellkräfte. Wer Spaß will, muss zupacken. Weil auch das Treten der Pedale Muskeln erfordert, verwandelt sich das Cockpit rasch in ein Fitnessstudio. Selbst die Schaltung gibt sich störrisch und im Verbund mit den recht langen Schaltwegen trägt sie einen Anteil daran, dass der 350 PS starke Miura bei damaligen Beschleunigungstests den Ferrari trotz besseren Leistungsgewichts kaum distanzieren konnte. Nur der Topspeed war höher: Einige Exemplare schafften um die 280 km/h.

Herrliche Zeiten

Kaum zu glauben, dass es solche Autos wie den Ferrari 275 GTB/4 und den Lamborghini Miura schon 1967 gab. Es war eine tolle Zeit. Die Rolling Stones führten lange die Hitparade mit "Let's Spend the Night Together" an, doch dabei dachten sie sicherlich weder an den Ferrari noch an den Lamborghini. Sonst hätte ihnen eine Nacht nicht genügt.

Fazit von Motor Klassik-Mitarbeiter Bernd Woytal

Von der Konstruktion und von ihrem Charakter her sind die beiden Kontrahenten sehr unterschiedlich. Der Lamborghini Miura ist unglaublich auffällig und gibt sich deutlich krawalliger als der Ferrari. Einen anderen Teil seiner Faszination bezieht der Mittelmotorwagen aus seinem rennwagenmäßigen Auftritt.

Doch ein konkurrenzfähiger Rennwagen wäre er nie gewesen - nicht ohne Grund hat das Werk stets an ihm gefeilt, den Rahmen verändert und die hintere Radaufhängung modifiziert, um ihn fahrsicherer zu machen. Unterm Strich bleibt er die aufregendere Alternative zum Ferrari 275 GTB/4.

Der gibt sich kultivierter und wohlerzogener und auch praktischer, dabei aber keinesfalls langweilig oder gar unsportlich. Dieses Auto ist eine Wonne zu fahren und fordert selbst auf langen Reisen nicht das Letzte von seinem Fahrer. Allerdings sind die beiden Wagen im Vergleich zu früher keine Alternativen mehr. Zwar legten auch die Lamborghini Miura-Preise in den vergangenen Jahren stetig zu, doch zum Ferrari 275 GTB/4 bleibt ein großer Abstand. Der kostet derzeit in gutem Zustand das Dreifache.