Jaguar E-Type Group 44 im Fahrbericht

Jag the Ripper

Bis der Nachbau des Jaguar E-Type Groupp 44 fahrbereit war, war der Jaguar-Spezialist Georg B. Dönni slange beschäftigt. Aus einem Unfallwagen entstand in sieben Jahren der exakte Nachbau des Group 44-E-Type. Seither besucht der Roadster viele Klassikermeetings, wo er stets staunende Blicke auf sich zieht.

Jaguar E-Type Group 44, Seitenansicht Foto: Dino Eisele 16 Bilder

Der Anblick des Jaguer E-Type Group 44 ist in Roggliswil nichts weltbewegendes. Rund um den kleinen, in der Zentralschweiz gelegenen Ort sind die Menschen an seltene Autos gewöhnt. Immer wieder zeigen sich klassische SS- und Jaguar-Fahrzeuge, darunter das "Battleship", eine geschundene Mk I-Rallye-Limousine, gelegentlich ein Daimler DS 420 Bestattungswagen oder ein dreirädriger Reliant Bond Bug. Seit dem Sommer 2011 röhrt der weiße, tiefer gelegte E-Type ohne Windschutzscheibe über die schmalen Landstraßen.

14-köpfiges Jaguar-Spezialisten-Team

Und die Einwohner der Ortschaften Netzelen, Balzenwil und Pfaffnau bleiben gelassen. Die kennen das schon und haken es innerlich mit einem" aha, drrr Dönni" als völlig normal ab. "Der Dönni" unterhält nämlich in Roggliswil eine Jaguar-Werkstatt, die sich von der Vollrestaurierung seltener SS-Modelle in Pebble-Beach-Qualität bis zum Kundendienst an einem XJ 40 um das Wohl der britischen Marke kümmert.

In einer großzügig ausgebauten ehemaligen Schreinerei leisten das 14-köpfige Spezialisten-Team und ein riesiges Ersatzteillager, das sogar einige im Freien gestapelte XJ-Limousinen und XJS-Coupés umfasst, oft Erstaunliches. Das beweist auch der weiße Breitspur-E-Type, der für eine Ausfahrt nach Sursee bereit steht.

E-Type made in USA

Jaguar-Fans erkennen darin sofort den gekonnt ausgeführten Nachbau eines der berühmtesten E-Type aller Zeiten, des Group 44-V12-Roadsters von Bob Tullius (siehe unten). Mit diesem Flachmann ohne Windschutzscheibe gewann Tullius gegen Konkurrenten wie Chevrolet Corvette, Porsche 911 und Datsun Z das B-Production-Championat des SCCA (Sportscar Club of America) an der Ostküste. Im Westen siegte übrigens ebenfalls ein Jaguar E-Type V12 mit fast identischer Optik, jedoch in Silber, gefahren von Lee Mueller. So kam der E-Type, der schon am Ende seiner Laufbahn stand, mit dem als dicken Softie verkannten V12 noch zu späten Rennsport-Ehren.

Wie Phoenix aus der Asche

Doch was verbindet Bob Tullius mit dem Schweizer Jaguar-Fachmann Dönni? Ganz einfach: ein bunter Jaguar-Kalender und Dönnis attraktive Ehefrau Simone. Vor etwa acht Jahren bereicherte nämlich ein ausgebrannter Jaguar E-Type V12-Roadster von 1974 das Freiluft-Ersatzteillager der Firma, für den Ehefrau Simone offenbar Mitleid empfand. Außerdem entdeckte sie in einem Jaguar-Kalender einen E-Type, den sie sehr attraktiv fand. Es war der Group 44-Racer von Bob Tullius. "Der gefällt mir ganz besonders", sagte sie damals zu ihrem Mann, "meinst du, wir kriegen so etwas hin?" Und weil Georg F. Dönni seiner Gattin kaum etwas ausreden kann, machten sich er und sein Team ans Werk.

Der graduierte Restaurierer - Dönni studierte am Colchester Institute of Technology in England - sah die Sache auch pragmatisch: "Der Lack war sowieso runter und das Cockpit skelettiert, aber bis auf die geschmolzenen Vergaser konnte man die Mechanik nach einer gründlichen Aufarbeitung noch weitgehend nutzen." Dass es dennoch sieben Jahre dauerte, bis der Racing-Roadster fertiggestellt war, lag daran, dass man nur nach Arbeitsschluss und "so nebenher" an dem Jaguar E-Type Group 44 arbeitete. Immerhin kamen auf diese Weise rund 2.000 Arbeitsstunden zusammen, weil der Nachbau natürlich möglichst exakt dem Original entsprechen sollte.

Dönni orientierte sich direkt am Original

So nutzte Dönni die meisten seiner England-Aufenthalte auch dazu, den originalen Jaguar Group 44-E-Type, der im Werksmuseum von Jaguar in Coventry steht und auch während des Goodwood Festival of Speed schon zu bewundern war, mit seiner Digitalkamera abzulichten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die bauchigen Kotflügelverbreiterungen sind wie beim Original aus Blech geformt. Und auch die imposante Seiten-Auspuffanlage lässt jede Big-Block-Corvette vor Neid erblassen, wenn die zwölf Zylinder zur Attacke blasen. Nur die giftgrüne Cockpitverkleidung ist beim Original aus durchsichtigem Plexiglas geformt. Dönni musste sich hier aus Kostengründen mit lackiertem Stahlblech begnügen.

Die Technik entspricht bis auf das modifizierte Fahrwerk und dem Einbau eines amerikanischen Richmond-Sechsganggetriebes komplett der Serien-Version: 5,4 Liter Hubraum und 268 PS. Trotzdem ist Dönnis Group 44-Racer einem normalen V12-E-Type dank Getriebe, Sport-Auspuff und einer Gewichtsreduktion von 135 Kilogramm eindeutig überlegen. Ganz abgesehen vom atemberaubenden Breitspur-Look und dem weiß-grünen Farbenmix im Stil der Siebziger. Das Grün stammte übrigens von Tullius' damaligem Haus-Sponsor, der US-Ölmarke Quaker State, und kennzeichnete jeden Group 44-Rennwagen.

Helme erstezen die Windschutzscheibe des Group 44-Renners

Jetzt rollt endlich der Jaguar E-Type Group 44 mit kernig brabbelndem V12 zur Werkstatt-Ausfahrt. Integralhelme für Fahrer und Beifahrer ersetzen die Windschutzscheibe. Das verkleidungsfreie Cockpit - man blickt vor allem auf weißes, mit Löchern übersätes Blech - lässt einen ahnen, was kommen wird: die nackte, einsame Gewalt. Einsam, weil ab etwa 80 km/h bereits keine Unterhaltung mit dem Fahrer ohne Headset mehr möglich ist. So stark bläst der Fahrtwind, und im Helm dröhnt der Soundmix aus Auspuff-Röhren und Getriebe-Jaulen. Dafür ist wenigstens etwas Komfort vorhanden, der Jaguar E-Type federt ganz passabel.

Auf dem Weg in die hübsche Altstadt von Sursee, die als kontrastreiche Kulisse für den Rennwagen dienen soll, münden wir jetzt über eine Auffahrtschleife in die Autobahn. Fast ohne Seitenneigung saugt sich der Jaguar E-Type Group 44 am Asphalt fest, schießt sich wie eine Pinball-Kugel auf den Highway ein und schlägt bei Vollgas im Dritten noch zwei kleine Haken. Mehr geht nicht in der Schweiz, wenn man nicht ins Gefängnis will.

Jaguar E-Type Group 44 - mehr als ein Café-Racer

Wir fahren an Straßencafés mit staunenden Gästen vorbei. Bei einem Zwischenstop wollen sich zwei begeisterte Mädchen mit dem Jaguar E-Type fotografieren lassen. Der Wagen wirkt in dem Städtchen wie aus einer anderen Welt, gleicht einer Halluzination. Aber eigentlich sollte sich der Roadster wie eine richtige Raubkatze in freier Wildbahn bewegen.

Tut sie ja auch. Dönni hat schon viele Fahrten mit seinem Group 44-E-Type unternommen: internationale Club-Tour von Coventry nach Genf zum 50. Geburtstag des E-Type, zweite England-Reise zur Silverstone Classic mit über 1.000 Jaguar E-Type vor Ort, Altbüren Hill Climb, Alpenbrevet 2011 mit 15 nonstop absolvierten Pässen, British Car Meeting St. Moritz, Eifel Classic und mehr. Inzwischen hat er mehr als 15.000 Kilometer absolviert - alle ohne Dach und Windschutzscheibe.

Bob Tullius und das Group 44-Racing Team

In Europa beinahe unbemerkt, setzte in den USA der Rennfahrer und Teamchef Bob Tullius die großen Rennerfolge von Jaguar aus den fünfziger und sechziger Jahren fort. Die weißen Boliden mit den giftgrünen Farbakzenten und der typischen Startnummer 44 erhielten offizielle Unterstützung durch British Leyland und dem Motorenöl-Konzern Quaker State.

Seit etwa 1965 zählten zum Rennstall auch die Triumphmodelle TR 5, TR 6, TR 8, Midget, Spitfire und GT 6. Hinzu kamen Jaguar E-Type und XJS. Die größten Erfolge waren der Gewinn der Poduktionswagen-Meisterschaften mit V12-E-Type (1975) und XJS-Coupé (1978). Mittelmotor-Prototypen von Group 44 mit Jaguar-V12 leisteten Vorarbeit für die Le Mans-Siege von 1988 und 1990 durch Tom Walkinshaw Racing.