Lancia Flaminia und Maserati Sebring

Die Schöne und das Biest

Formschöne GT-Coupés für schnelles Reisen sind eine italienische Auto-Spezialität. Lancia Flaminia und Maserati Sebring überzeugen mit Stil und moderner Technik.

Lancia Flaminia Coupé 3B 2800, Maserati 3500 GTI S Sebring, Frontansicht Foto: Arturo Rivas 23 Bilder

Auf den ersten Blick wirkt der gemeinsame Auftritt dieser beiden Klassiker etwas deplatziert. Hier der niedrig bauende Maserati Sebring mit seinem aggressiven Vier-Augen-Gesicht, dort der herrschaftlich auftretende Lancia Flaminia im streng geschnittenen Business-Anzug. Auch die Leistung der Motoren mit 235 PS beim Maserati und 140 PS beim Lancia schafft eine Distanz zwischen den beiden Coupés, die sich ebenso im Kaufpreis manifestiert: 49.300 Mark für den Sebring, 24.900 Mark für die Flaminia (Lancia-Modelle mit „A“-Endung gelten als weiblich).

Autos für die Reichen und Schönen

Dennoch gibt es einige Fakten, die den gemeinsamen Aufritt der zwei italienischen GT-Schönheiten rechtfertigen. Zunächst waren Maserati Sebring und Lancia Flaminia vergleichsweise teuer und damit vor allem den Reichen und Film-Schönen vorbehalten. Zum Vergleich: Der Kleinwagen Fiat 600, der damals ganz Italien bewegte, kostete 1964 nur 3.990 Mark.

Außerdem begnügten sich beide Hersteller auch bei ihren Spitzenmodellen mit Sechszylindermotoren: Im Lancia Flaminia ein braver Stoßstangen-V6, während der Maserati-Reihensechszylinder mit so hochkarätigen Zutaten wie zwei obenliegenden Nockenwellen (DOHC), Doppelzündung und Benzin-Einspritzung glänzt. Zylinderköpfe und Motorblock bestehen hier wie dort aus Leichtmetall, dazu nasse Zylinderlaufbuchsen.

Zuletzt entstammen Lancia Flaminia Coupé und Maserati Sebring dem alten italienischen Automobil-Adel, der eine längere Tradition vorweist als Ferrari und Lamborghini. Der einstige Fiat-Test- und Rennfahrer Vincenzo Lancia gründete 1906 in Turin seine eigene Firma und produzierte technisch aufwendige Tourenwagen. Die fünf Maserati-Brüder Alfieri, Bindo, Carlo, Ernesto und Ettore taten sich 1914 in Bologna zusammen, um zunächst nur Rennwagen zu bauen. Der erste Straßen-Maserati A6 kam 1946 – unter der Haube ein DOHC-Reihensechszylinder, auf Wunsch auch mit Doppelzündung.

Flaminia ist optisch mit dem Peugeot 404 verwandt

Doch jetzt wollen wir die beiden Traumwagen in Aktion erleben und beginnen mit dem Lancia Flaminia. Dass dessen Karosserie-Form entfernt an den Peugeot 404 erinnert, hat einen einfachen Grund und heißt Pininfarina. Das neue Modell Flaminia, das Lancia 1957 zunächst als viertürige Limousine Berlina) präsentierte, basierte auf der revolutionären Pininfarina-Studie Florida I. Deren breites Kühlermaul und die als Verlängerung der breiten C-Säulen ausgebildeten Mini-Heckflossen waren stilbildend für viele Autos aus den Sechzigern – insbesondere bei Peugeot, deren Karosserien fast alle von Pininfarina entworfen wurden.

Im Lancia Flaminia fühlt man sich durch das schwarze, streng gegliederte Cockpit mit seinen großen Rundinstrumenten sofort als erfolgreicher Generaldirektor, der gerade ins Büro fährt. Dank der hohen Sitzposition und der Panorama-Windschutzscheibe lässt sich die Flaminia-Wagenfront während der Fahrt beobachten, wie sie beim Bremsen nach vorn abtaucht oder sich beim Abbiegen in die Kurve legt.

Der relativ lange Schalthebel ragt anstatt aus dem Mitteltunnel unmittelbar neben dem Fahrersitz aus dem Teppichboden. Wohl eine Konzession an das Transaxle-Getriebe, das zusammen mit der Kupplung beim Hinterachsdifferenzial liegt.

Fahren wie auf Wolke sieben

Die Schaltwege sind dennoch erfreulich kurz, und der elastische V6 des Lancia Flaminia hängt folgsam am Gaspedal. Der gesamte Antrieb hält sich akustisch diskret zurück, liefert aber dennoch genügend Punch, um im Straßenverkehr stressfrei mitschwimmen und dabei die gute Rundumsicht genießen zu können.

Und jetzt der Wechsel in den Maserati Sebring. Hier sitzt der Fahrer tief in der bei Vignale gebauten Karosserie, als folge er den Spuren von Juan Manuel Fangio und Jean Behra, die 1957 in einem Maserati 450 S das Zwölf-Stunden-Rennen von Sebring gewannen, nach dem das kantige Coupé benannt ist. Anstatt auf die Motorhaube blickt der Fahrer auf eine ansehnliche Instrumentensammlung und die Straße vor ihm.

Der warme Motor startet wie beim Lancia sofort, erzeugt aber eine starke Geräuschkulisse. Anders als bei den britischen Sechszylinder-Konkurrenten von Aston Martin und Jaguar vermischt sich im Maserati Sebring ein metallisches Malen mit dem tiefen Knurren eines gereizten Rottweilers. Schon beim langsamen Dahinrollen kommt noch das helle Sirren des Getriebes hinzu.

Maserati Sebring verlangt nach Fahrerhandschuhen

Nein, das ist nicht der Wagen, mit dem der Herr Generaldirektor täglich in sein Büro fährt und dabei an die Umsatzzahlen oder an seine hübsche Sekretärin denkt. Im Maserati Sebring schaut man, ob nicht irgendwo Fahrer-Handschuhe herumliegen, um das Biest besser zähmen zu können.

Doch dann zeigt der Maserati Sebring ganz ansehnliche Manieren und lässt sich genauso ruckfrei wie der Lancia durch alle Verkehrssituationen manövrieren. Dank der direkteren Lenkung sogar deutlich zielgenauer. Ist die Bahn frei, zieht der große Sechser souverän aus dem Drehzahlkeller und legt spürbar an Tempo zu. Oder man schaltet zwei der fünf Gänge zurück, und der Maserati schießt druckvoll nach vorn. Mit langer Achsuntersetzung konnten 235 km/h erreicht werden. Für die große Tour im Gran Turismo war man also gut gerüstet.

Fazit zu Lancia Flaminia und Maserati Sebring

Die Begegnung mit den beiden hochkarätigen Italienern hinterlässt einen tiefen, äußerst positiven Eindruck. Lancia Flaminia und Maserati Sebring zeigen jeweils auf ihre eigene Art, dass sich eine wunderbare und damals äußerst moderne Optik auch mit entsprechend hochwertiger Technik kombinieren lässt. Beim Lancia ist es die Transaxle-Antriebseinheit mit De-Dion-Hinterachse, beim Maserati die konsequent angewandte Einpritztechnik plus Doppelzündung.

Obwohl Lancia und Maserati mit ihren PS-Zahlen und mit ihrem Kaufpreis in zwei verschiedenen Ligen spielen, eint sie doch dieses Streben nach technischer Perfektion und jene natürliche Eleganz, wie sie in Filmen mit Marcello Mastroianni oder Sophia Loren verkörpert wurde.

Wer heute mit einem dieser distinguierten Coupés bei einer Rallye oder einem Oldtimer-Treffen auftaucht, kann sich des lebhaften Interesses und sogar des Beifalls der Zuschauer absolut sicher sein. Und dem seiner Gattin oder Freundin, wenn es um die Anschaffung eines klassischen Automobils geht.