Mercedes 250 D im Fahrbericht

Der unvernüftige Kauf

Die Jahreszeiten gingen an ihm vorüber. Regen und Sonne schufen Moos und Rost. Rettungslos verloren schien dieser 250 D. Aber er hat es gepackt.

Mercedes-Benz 250 D, Wasserdurchfahrt Foto: Karl-Heinz Augustin 28 Bilder

Anfangs dachte ich, es sei ein vergessenes, nicht abgeholtes Kundenauto. Lange Zeit trug der weiße Mercedes mit dem trüben Grauschleier korrekt gestempelte Kennzeichen. M-KR 3026 lauteten sie. Ich entdeckte den Wagen in Ingolstadt, nicht weit von einer dieser bunt schillernden Einkaufsmeilen an den Ausfallstraßen der Großstädte. Wer die Ausfahrt Ingolstadt-Süd nimmt, wird beinahe automatisch hier entlanggespült. Vorbei an McDonald's, Deichmann, KiK, DM, Praktiker, Media Markt, Adler oder wie die grellen Verheißungen banalen Alltags-Konsums noch alle heißen mögen.

Wer den Instinkt hat, in finsteren Ecken nach Autos zu suchen, der entdeckt ihn. So wie ich vor fast genau zwei Jahren, als ihn die Eiszapfen des abgetauten Schnees bizarr verzierten. Es ist wirklich kein besonderes Auto, ein 124er-Mercedes wie hunderttausend andere auch. Ein 250 D der zweiten Serie, Baujahr 1993, in Arcticweiß, innen schwarz. Die Ausstattung ohne jegliche Schlüsselreize, okay, getöntes Glas, Kopfstützen im Fond, Schiebedach, was soll's. Diesel sind sowieso schwierig wegen der Umweltzonen.

Mercedes 250 D: Stern und Räder fehlen

Irgendwann an einem freien Samstag beschloss ich wieder mal nach dem Mercedes zu sehen, obwohl ich ihn gar nicht wollte. Der weiße Diesel stand jetzt nicht mehr auf diesem leicht verwilderten Flohmarkt-Parkplatz, sondern am Waldrand. In Gesellschaft abgeschriebener Italiener, vom verbeulten Lancia Kappa bis zum Alfa Romeo GTV ohne Motor. Die Radkappen hatten sie ihm geklaut, auch die Räder auf der Rücksitzbank fehlen. Offen stand er da, der Kofferraum voller Flohmarkt-Krempel, das Warndreieck zerfleddert. Auf den Hauben haben Schüler Mädchennamen in den schmutzigen Lack gekritzelt: Jessica, Lara, Mareike oder Katja.

Ein Bild des Jammers. Ich setzte mich rein, war über den guten Zustand des Interieurs erstaunt und fand im Handschuhfach die Bordmappe mit Wartungsheft, in das sich zwei Besitzer eingetragen hatten. Der Kilometerstand zeigte 248.678, diese knappe Viertelmillion ist für einen Mercedes 250 D eine Lappalie. Auto Bellanti hat ihn zuletzt gewartet, so heißt die Reparaturwerkstatt um die Ecke, Spezialist für italienische Autos, unter einer Plane wohnt immerhin ein Ferrari 348. Giuseppe Bellanti will horrende 800 Euro, als ich ohne Not nach einem schlechten Mercedes in Weiß mit rostbraunen Rändern frage, den ich eigentlich gar nicht haben will. Zumal ich ihn nach der langen Standzeit mit dem Anhänger holen müsste – was Bellanti verneint: "Die Bremsen sind bestimmt nicht fest. Ich bin das Auto zwischendurch immer mal wieder kurz gefahren, weil sich Afrikaner dafür interessierten. Die wollten aber so gut wie nichts zahlen, also blieb der Wagen eben stehen." Jahraus, jahrein und am Ende auch noch offen.

Achthundert sind mir entschieden zu viel. Insgeheim hoffe ich aber, dass den Mercedes bald jemand kauft, bevor es zu spät ist. Das einstige Qualitätsauto, als Neuwagen immerhin 56.789,50 Mark teuer, ist trotz einiger übler Rostnarben locker gut für eine weitere Viertelmillion Kilometer zwischen Senegal und Nigeria. Den kehligen, kernigen Klang des Fünfzylinder-Diesels kenne ich noch vom Taxistand. Auf der Rückfahrt, während ich über das Auto nachdenke, für das nicht viel spricht außer einer intakten Fahrersitzwange und einem sparsamen, anspruchslosen Motor, spiele ich ihn gelegentlich ein.

Monate vergehen, und immer wieder gibt es weit interessantere Autos für mein Beuteschema als den weißen Diesel aus Ingolstadt. Aber der traurige Held lässt mich nicht ruhen. Wieder nehme ich die Ausfahrt Ingolstadt-Süd, ich brauche den Thrill, ich will wissen, wie sich ein Auto anfühlt, das vier Jahre im Freien gestanden hat, ein Selbstversuch der besonderen Art. Ich will es wieder ins Leben zurückholen. Im Laderaum des Fotografen-Autos liegen Original-Radkappen, ohne fahre ich nicht. Einen Stern für die Kühlermaske, der Wagen soll nicht so total abgerockt aussehen, besorge ich noch unterwegs beim Neuburger Mercedes-Lokalmatador Peter Praunsmändtl.

Giuseppe Bellanti zeigt sich zäh, aber irgendwann so um die 500 Euro schlägt er mürrisch ein und gibt mir eine 100-Ah-Batterie auf einem Wägelchen mit. "Was will dieser Mann mit diesem Auto?", fragt er immer wieder verzweifelt. Zehn Liter Diesel sind im Reservekanister, ich lasse sie mit gierigem Schmatzen in den 70-Liter-Tank des Mercedes reingluckern. Motorhaube auf, Ölkontrolle, schwarze Schmiere fast am Maximum. Letzter Ölwechsel mit Shell Helix erst bei 246.789 km, aber im November 2009. Vorglühen ist vage, die Kontrollleuchte mit dem Glühwendelsymbol bleibt dunkel.

Fünf Minuten verharrt der Zündschlüssel in dieser Stellung. Ich hoffe, dass irgendeine geheime Macht die Vorkammern des Mercedes zum Glühen bringt. Dann "Start!", der Anlasser dreht, der OM 602 rumpelt unwillig los, auf zwei Zylindern, dann auf drei, vier, fünf! Bläulich-weiße Wolken stößt der Fünfzylinder in ungleichem Takt aus. Ich leide mit der Mechanik, jetzt bei laufendem Motor geht die Vorglühkontrolle an, ein Zeichen dafür, dass mindestens eine Glühkerze kaputt ist.

So ein alter Vorkammerdiesel nagelt nach langer Standzeit im Leerlauf so metallisch hart, dass man glaubt, alle Lagerschäden dieser Welt zu hören. Ich habe Angst vor der eigenen Courage. War es wirklich eine gute Idee, diese Mistkarre mit dem links übel verrosteten Windschutzscheibenrahmen zu kaufen, denke ich bei mir, als ich seufzend den Gang einlege. Das Anfahrmoment des Fünfzylinders stemmt sich kurz und heftig gegen die festgerosteten Bremsklötze.

Dann tut es einen heftigen Ruck, und der Wagen ist frei. Frei nach vier Jahren Waldrand, frei nach vier Herbstlaubattacken. Blätter, die seine Abläufe verstopften und die im Motorraum und in den Haubenspalten zu Humus wurden. Die ersten fünf Platzrunden wecken leise Hoffnung, der Blauanteil im Rauch sinkt, der Mercedes nagelt nicht mehr ganz so mit dem Vorschlaghammer, bei steigender Öltemperatur stellt sich sogar ein gewisser Rundlauf ein.

Waschen zwingend nötig

Rote Nummer dran und erst mal ein paar Bremsproben hinlegen. Die rostigen vier Scheiben reiben sich lautstark an den Belägen, es schleift und kreischt erbärmlich, ich kriege schier eine Gänsehaut. Irgendwann lässt auch das nach, der Wagen rollt frei und bremst danach erstaunlich gut.

Weil ich keine Lust habe, mit dem äußerlich verrotteten Wagen ständig von der Polizei angehalten zu werden, geht es erst mal ans Waschen. Einweichen und kräftiges Schrubben mit der Waschbürste ist angesagt, darunter kommt zumindest partiell ein strahlendes Weiß zum Vorschein. Nach diesem Kraftakt der vorläufigen Grobreinigung entspanne ich mich an der Tankstelle bei einem Sandwich. Das Mercedes-Radio bleibt mangels Code stumm, er ist nirgendwo hinterlegt, auch nicht in der Bordmappe. Darin finde ich ein Arzt-Rezept und einen handgeschriebenen, klein gefalteten Zettel, der in großen Blockbuchstaben etwas über das Schicksal seines letzten Halters (Jahrgang 1934) aussagt. "An das Klinikum Großhadern, Wagen bitte nicht abschleppen. Besitzer liegt in der Klinik. Entlassungstermin ungewiss. Parkgebühren sind nachbezahlt", steht auf dem vergilbten Papier. Mir wird klar, dass die Fahrt zum Krankenhaus wohl seine letzte war.

In den Pompadourtaschen der Rücksitzlehnen stecken jede Menge ADAC-Straßenkarten und bündelweise Tankquittungen, die meisten über zehn Euro. Ich tanke voll, mache mich auf den Heimweg, Fotograf Karl-Heinz Augustin sichert mich mit seinem Allrad-Octavia hinten ab. Unterwegs in Neuburg finden wir eine passend trashige Location für ein paar schön inszenierte Fotos des wiederbelebten Mercedes. Hier entsteht auch das Aufmacherbild von der übermütigen Pfützenfahrt. Technisch ist alles in Ordnung – bis auf eine brennende ABS-Kontrollleuchte und das Schiebedach, das nicht geht.

Mercedes 250 D mit mildem Temperament

Der Vorkammer-Saugdiesel alter Prägung hat zwar 94 PS und ist warm gefahren von angenehmer Laufruhe, aber er hat verglichen mit einem gleich teuren 230 E weder Leistung noch Drehmoment. Geruhsame Fortbewegung ist also angesagt. Auf der B 16 dieselt der Fünfzylinder mit Tempo 90 bei 2.500/min im 5. Gang zufrieden vor sich hin. Nur das stuckerige Wummern der ausgehärteten Winterreifen erinnert noch an die vier Jahre im Freien.