Mercedes E 50 AMG (W 210)

AMG-Schnäppchen mit 347 PS ab 3.500 €

Sie sind selten. Sie sind besonders. Sie sind stark. Und unglaublich billig. Einige Mercedes E 50 AMG haben sich in die Preisniederungen gewöhnlicher Gebrauchtwagen verirrt. Aber gewöhnlich macht sie das nicht.

Mercedes E 50 AMG, Frontansicht 12 Bilder

150.000 Mark Neupreis

Ist er sich wirklich sicher, dass er keine Eins vergessen hat, als er den Preis aufschrieb: 4.950 Euro? Das soll tatsächlich reichen, um diesen Mercedes E 50 AMG der Baureihe W 210 zu kaufen, der vor 200.000 Kilometern 150.000 Mark gekostet hat? Wo ist da der Haken? Während sich der Fünfliter im Leerlauf mit deutlichem Tickern aus dem Zylinderkopf das Leichtmetall durchwärmt, befestigt Roland Haas seine roten Händlerkennzeichen und meint kopfschüttelnd, dass es keinen Haken gebe.

Der Preis stimme leider so: "Der Markt gibt gerade nicht mehr her", sagt der Mann, der in Waldenbuch mit Autos handelt. "Jetzt ist er so günstig wie nie wieder", prognostiziert er. "Jetzt steht er da, in ein paar Jahren muss man einen guten Mercedes E 50 AMG ganz bestimmt lange suchen."

Vielleicht hat er recht. Vielleicht ist es nur das Stigma des ungeliebten Vieraugengesichts, das auch den Mercedes E 50 AMG einbremst. Vielleicht drückt auch das Image derer, die ihn bislang in dritter oder vierter Hand bewegten, den Preis nieder. Egal. Den Wert dieses besonderen Zwozehners schmälert das nicht. Das liegt vor allem auch daran, dass ihm seine Besonderheit kaum anzusehen ist.

Der Mercedes E 50 AMG ist ein dezente Kraftmaschine

Der Mercedes E 50 AMG der Baureihe W 210 ist kein Angeber. Er ist nicht mal auffällig oder gar aufdringlich, im Gegenteil. Seine Erscheinung ist so dezent wie die all derer, die nichts beweisen müssen. Nicht mal eine Typbezeichnung trägt dieses Exemplar am Heckdeckel, der Tacho endet bei bescheidenen 280. Keine plumpe 300, die er, weil abgeregelt, ja ohnehin nie erreicht. Schweller, Heckschürze, Frontspoiler, das ist alles, was ihn kennzeichnet. Gut, die einteiligen Scheibenräder noch. All das aber ließ sich auch als Zubehör für einen ganz normalen W210 ordern.

Und wer sieht schon gleich, dass auf den beiden Endrohren AMG steht? Um dasselbe Kürzel im Multi-Instrument zu entdecken, muss man ihm schon durchs blau getönte Glas glotzen. Oder unter der Haube nachsehen. Auf einer schwarzen Kunststoffabdeckung unter dem Mercedes-Stern platziert krönen die drei Buchstaben, worum es bei diesem Mercedes E 50 AMG im Wesentlichen geht: fünf Liter, acht Zylinder, 347 PS, Drehmomentgewalt ab Standgas. Und eben dieses Kürzel: AMG.

AMG und die legendäre Rote Sau

Es setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der Namen Aufrecht und Melcher, das G steht für Großaspach, den Geburtsort Werner Aufrechts. Gemeinsam mit Eberhard Melcher, auch er zuvor als Entwicklungsingenieur bei Daimler, gründete er 1967 das "Aufrecht Melcher Großaspach Ingenieurbüro, Konstruktion und Versuch zur Entwicklung von Rennmotoren". Es ist ein Tuningbetrieb, der vier Jahre später mit einer Handvoll Mechaniker nach Spa anreist, um mit einem 400 PS starken 300 SEL 6.8, vorbereitet über einer von Hand geschaufelten Grube, bei den 24 Stunden an den Start zu gehen. Das Auto fährt gegen die etablierte Konkurrenz auf den zweiten Platz im Gesamtklassement und schreibt als "Rote Sau" Renngeschichte.

Der sensationelle Erfolg etabliert für AMG einen Ruf, der schon bald Weltgeltung hat. AMG wird zum Mythos. Und 1999 mehrheitlich zur Daimler-Tochter. Seit 1990 schon hatte es einen Kooperationsvertrag gegeben, seit neun Jahren ist AMG nun vollständig in der Hand des Konzerns. Der Mercedes E 50 AMG der Baureihe W 210 verkörpert beispielhaft die Elemente dieser Zeitraffer-Geschichte in seinem zwitterhaften Wesen.

Der E 50 AMG ist ein Zwitterwesen

Er beherrscht trotz seines härteren Fahrwerks auf der einen Seite die gepflegten und manchmal etwas steifen Umgangsformen eines typischen Mercedes, gibt vollausgestattet, wie er ist, gerne die komfortable, gediegene, ja sogar brave Limousine ab. Wie ein E 230 kann auch der Mercedes E 50 AMG ganz zurückhaltend daherrollen, nur eben lässiger und souveräner. Durchs Schiebedach weht der Sommer herein, auf kleiner Landstraße weicht die Eile der Gelassenheit, und beinahe einlullend ruhig wummert dann der große Achtzylinder vor sich hin. Kurz über der Leerlaufdrehzahl massiert einem sein sanftes und tiefes Brummeln die Seele. Die Stimme dieses Motors klingt, als murmelte er 1.500-mal in der Minute ein Mantra zur Tiefenentspannung.

Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Denn andererseits wohnt in diesem Motor hübsch gezähmt und gut erzogen eben auch das Erbe der "Roten Sau". Andere Nockenwellen steuern die Gaswechsel schärfer. Eine durchsatzfreudigere Ansaug- und Auspuffanlage, größere Einlassventile und bearbeitete Köpfe befreien seine Atmung. So kommt der Fünfliter auf 27 PS mehr, als er im Mercedes E 50 AMG-Vorgänger E 500 leistet, dem SL 500 und der S-Klasse hat er 21 PS voraus. Und weder das eine noch das andere hört sich nach einer Menge an. Aber die Menge macht's auch nicht. Es ist die Art, die sich dann zeigt, wenn man dem Kickdown doch nicht widerstehen kann: das zweite Gesicht.

Der E 50 AMG bedient niedere Instinkte

Es braucht im Mercedes E 50 AMG aus dem Stand kaum zwei Sekunden, bis die Automatik die Nadel des Drehzahlmessers das erste Mal vom roten Bereich zurückholen muss. Bis dahin mindestens muss die Traktionskontrolle mithelfen, den Zorn des getretenen Achtzylinders zu bändigen, und auch als es die Nadel beim nächsten schnellen Schaltvorgang das zweite Mal zwischen die 4.000 und 5.000 zurückschlägt, dauert es nicht lang, bis sich der V8 unter Volllast schon wieder auf 6.000 Touren gepumpt hat. Völlig unbeeindruckt von irgendwelchen Widerständen eilt im Tacho der orange Zeiger an der 100 vorbei, nicht weniger schnell an der 120 und der 140.

Erst jenseits der 160 nimmt sich der Mercedes E 50 AMG ein paar Atemzüge mehr, bis die Kolben wieder bei Nenndrehzahl durch die Zylinder jagen. Der Auftritt nährt Allmachtsfantasien, er bedient niedere Instinkte. Und es ist so schön, ihnen zu folgen. Selbst unter größter Vehemenz aber geht dem E 50 das Kultivierte nicht verloren, nie verirrt er sich ins Ordinäre, auch klanglich nicht. Und das alles gibt's für weniger als 5.000 Euro? Vielleicht ist das ja schon der Haken an der Sache: Das Angebot ist einfach zu verführerisch. Gerade mal 3.500 Euro sollen gegenwärtig die billigsten Exemplare jenes Autos kosten, das vor nicht mal 20 Jahren noch die teuerste und exklusivste Art darstellte, einen Mercedes zu bewegen? Ein guter 123er kostet mit knapp der Hälfte der Leistung gerne weit mehr als das Doppelte.

Bei AMG in Handarbeit montiert - ein Mann, ein Motor

Bei einer ähnlichen Wertentwicklung müsste es jeden anderen W210 zum Preis einer Tüte Bonbons geben. Nun ja, zum Teil ist das so. Aber dieses Manufakturprodukt? Immerhin lief die Herstellung des Mercedes E 50 AMG nicht normal am Band in Sindelfingen, wo die Daimler-Werker den E 420 bauten, auf dem der E 50 basiert. Früh steuerte man diese besondere E-Klasse aus dem normalen Fertigungsablauf heraus, um den Antrieb bei AMG selbst in Handarbeit zu montieren, und zwar nach einem ebenso simplen wie einnehmenden Prinzip: Ein Mann - ein Motor. Das macht jeden dieser Achtzylinder zu einem Einzelstück, zu einem Original, und adelt ihn zum mechanischen Meisterwerk – zu haben für unter 5.000 Euro.

Fazit von Michael Orth zum Mercedes E 50 AMG

M + S im Juni? Die Reifen sind ein Zugeständnis an den Dumpingpreis für den einst sehr teuren Mercedes E 50 AMG. Preislich ist er angekommen in den Niederungen des Gewöhnlichen. Dort aber gehört er nicht hin, und dort wird er nicht bleiben, dafür ist er viel zu selten. Wer lässt sich vom Vieraugengesicht verführen, wer von diesem besonderen V8 herausfordern?