Reise Bretagne im Mercedes 560 SEC

Im Gran Turismo an Frankreichs Küsten

Was macht man, wenn die Trennung von einem Mercedes 560 SEC bevorsteht? Eine Abschiedsreise mit dem großen Reisecoupé natürlich. Auf großer Fahrt im großen Wagen, quer durch die Bretagne.

Mercedes Benz 560 SEC Foto: Hans Neubert 15 Bilder

Unsere Koffer sind verstaut, auf einer feinen Matte aus dunkelblauem Velours. Der federleichte Heckdeckel aus Aluminium schließt leise - mit einem nasalen "Klick", hochnäsig wie eine Damenhandtasche von Hermès. Der Mercedes 560 SEC ist reisefertig. Unter uns: Zeigt er nicht schon bei Tempo null den Klassenunterschied zu allem, was Ende der 80er Jahre sonst so auf den Straßen unterwegs war?

Kein unbeholfen zurechtgebogenes Dünnblech, sondern elegante Linien wie eine Riva Aquarama. Kein unter der Last des Gepäcks zusammensinkender Cellulite-Popo, sondern ein stramm stehender Hintern, dank automatischem Niveauausgleich. Keine peinliche Askese des damals aufkommenden Müslizeitalters, sondern pure Ausstattungspracht: elektrische Gurtbringer, elektrisches Heckrollo, elektrischer Sonnenbrillenhalter. Na gut, der Sonnenbrillenhalter ist nicht drin, aber sonst übernimmt der Mercedes 560 SEC wirklich alles, was sonst mühsam von Hand erledigt werden muss.

Mercedes 560 SEC einst teuerstes Auto Deutschlands

Connaisseure sagen übrigens am besten "Seck", nicht "Es-eh-zeh". Denn so klingt das schön vornehm nach trockenem Champagner. Vornehmheit bleibt natürlich auch zu erwarten, vom einst teuersten Auto Deutschlands. Mindestens 146.490 Mark waren 1989 für den Mercedes 560 SEC hinzulegen, 1991 waren es schon mehr als 155.000 Mark. Richtig satt ausgestattet war er zu diesem Preis aber noch lange nicht. Das Amüsement namens "Rollo elektrisch für Heckfenster" kostete zum Beispiel 604,20 Mark Aufpreis. Herrlich arrogant fährt es nach oben und schützt uns vor Blicken aus dicht auffahrenden Kleintransportern. Wir gleiten auf der Autobahn Richtung Frankreich. Es sind 1.500 Kilometer bis in die Bretagne. Ein Klacks für das solide Coupé. Und ein Vergnügen für die beiden Menschen an Bord.

Leider ist diese Reise im Mercedes 560 SEC auch unsere letzte. Daran ist Herr Lübke schuld. Er hat den Garagenmietvertrag gekündigt - wegen Eigenbedarfs. Das bedeutet: Der Mercedes 560 SEC, eigentlich so etwas wie ein automobiles Nationalheiligtum, muss dem Hyundai Matrix von Herrn Lübke Platz machen. Das ist eine Schande. Und es ist das Ende meiner Beziehung zum blauen Benz, denn unter einer Laterne möchte ich ihn nicht vergammeln lassen. Er wird also in gute Hände abgegeben. Doch zuvor wird er von guten Händen noch ein letztes Mal quer durch Europa gefahren. Eine Abschiedstournee soll es werden, wie sie selbst Udo Jürgens nicht würdevoller hinkriegen könnte. Überhaupt, die Würde. Sie immerhin bekam dieser Wagen aufpreisfrei in die Wiege gelegt.

V8 des Mercedes 560 SEC leistet 279 PS

Allein dieser Motor des Mercedes 560 SEC: Aus 5.547 cm3 Hubraum holten die Mercedes-Ingenieure entspannte 430 Newtonmeter bei 3.750/min. Beste Voraussetzung für drehzahlfaules Dahinwummern, auch wenn moderne Dieselfahrer über solche Werte heute nur noch schmunzeln. Wer bei der Würde leichte Abstriche macht, kann bei über 5.000/min sogar 279 PS herauslassen. Das genügt immer noch, um nur 300 Meter nach dem Autobahnrastplatz Pforzheim Nord in eine Radarfalle zu geraten. Mist.

Damals reichte es gerade so, um gegen den Erbfeind in Form des BMW Zwölfzylinders mit 300 PS zu bestehen. Die Fahrleistungen des Mercedes 560 SEC lagen auf fast gleichem Niveau, dank kleiner Tricks: Die Stuttgarter hatten ihrem Topmodell eine kürzere Achsübersetzung spendiert. Außerdem wurden die Fronthaube und der Heckdeckel aus Aluminium gefertigt, um zumindest eine Handvoll überflüssiger Pfunde loszuwerden.

Heute sorgt das gern mal für kosmetische Probleme: Denn Aluminium kann zwar nicht rosten, aber durchaus korrodieren. So blüht auch die Haut unseres Mercedes 560 SEC an mehreren Stellen. Derart geschmückt rollen wir über die Grenze nach Frankreich. Der Tempomat, ein lustiger kleiner Stängel links vom Lenkrad, braucht nur einen kurzen Hinweis mit dem Finger, um uns ab jetzt mit 120 quer durch die Republique Française zu schieben. Und weil nach sieben Stunden Fahrt der Rücken zwickt, wird einfach ein bisschen die luftbetriebene Lordosenstütze justiert. Selbst im teuersten Auto Deutschlands kostete sie 575,70 Mark Aufpreis - pro Sitz, versteht sich. Gut investiertes Geld, das druckluftbetriebene System funktioniert auch nach 20 Jahren tadellos.

In Frankreich ist der Mercedes 560 SEC ein Exot

So bewältigen wir nach kurzem Hotelaufenthalt auch die zweite Etappe ohne große Mühen. Dank der leichtgängigen Servolenkung lässt sich der Mercedes 560 SEC auch von der jungen Dame an Bord spielend herumkommandieren. Sogar das Tanken fällt leicht: Auf elf Liter sinkt der Verbrauch bei französischem Tempo. Kein schlechter Wert, wenn man bedenkt, dass der Dicke dafür die Erdkugel unter sich rotieren lässt. Schließlich ist es dann so weit: Uns wehen aus dem Westen endlich Meeresluft und der Geruch von frischen Crêpes entgegen. Das mit den Crêpes bilden wir uns zumindest ein.

Und so verbringt der Mercedes einen Großteil der nächsten Tage damit, über die kleinen Landstraßen der Bretagne zu räubern und seine immer dicker werdenden Insassen von einer Crêperie zur nächsten zu bugsieren. In Deutschland ist ein Mercedes 560 SEC schon lange ein rarer Typ. Aber hier ist er geradezu ein Exot. Zwischen den pseudo-futuristischen Peugeot und wulstigen Renault fällt der vornehme Benz auf wie ein Kastenweißbrot im Baguetteregal.

Immer wieder sehen wir aus unserem Mercedes 560 SEC heraus freudig hochgestreckte Daumen. Und treffen Fans wie Pierre, den alten Fischer unten am Hafen von Le Conquet, einem der westlichsten Punkte der Bretagne. Er strahlt und drückt sich sogar seine knollige Nase an den Seitenscheiben platt. Klar, das dunkelblaue Velours mit den seltsamen weißen Streifen finden manche nicht ganz geschmacksicher, neudeutsch würde man vielleicht sagen: leicht pornomäßig. Pierre aber entfährt ein anerkennendes "magnifique". Er meint damit wahrscheinlich dieses riesengroße Brett aus Wurzelholz, das den Innenraum so schön gemütlich, aber irgendwie auch barock macht. Und das sicher schon den Erstbesitzer über die vielen Hartplastikteile hinweggetröstet hat.

Bruno Sacco schuf die zeitlose Coupé-Linie

Wir kaufen Pierre ein paar gekochte Taschenkrebse ab und machen uns auf - zu einigen weiteren romantischen Plätzen an dieser Küste. Wer weiß, vielleicht ist es das letzte Mal, dass der Mercedes 560 SEC die französische Lebensart so ausgiebig genießen darf. Ganz sicher ist es das letzte Mal, dass währenddessen Krebssaft aus einer undichten Tüte in den Rücksitz sickert.

Während der Mercedes 560 SEC mit seinen immerhin 1,8 Tonnen über malerische Brücken, bröckelige Straßen und durch verschlafene Örtchen schlurft, bedanken wir uns innerlich noch einmal bei den braven Mercedes-Ingenieuren: Bruno Sacco als Leiter der Abteilung Stilistik und Werner Breitschwerdt als Leiter des Bereichs Pkw-Aufbauten. Die beiden hatten schon bei der Präsentation der ersten Serie 1981 ein bemerkenswertes Coupé vorgeführt. Dessen Basis war die 1979 vorgestellte Limousine, mit einer um nur 8,5 Zentimeter verkürzten Bodengruppe.

Besonderheiten der S-Klasse-Coupés

Auf den ersten Blick anders war das Gesicht mit seiner typischen Coupé-Front, die schon den legendären Mercedes-Benz 300 SL zierte. Angeblich entschied man sich erst kurz vor Fertigstellung dagegen, auch beim Mercedes SEC den wuchtigen Chromgrill der Limousine beizubehalten. Eine coupé-eigene Lösung waren auch die Türgriffe. Ihr seltsam geformter, spoilerartiger Rahmen sollte vor Verschmutzung schützen. Noch eine Besonderheit: die fehlenden B-Säulen. Mit heruntergelassenen Seitenscheiben und offenem Schiebedach lässt sich der SEC deshalb fast wie ein Cabrio durchlüften.

So cruisen wir im Mercedes 560 SEC an der Küste entlang. Das Becker Mexico Cassette weht dazu einen Hauch von Alain Delons 80er-Jahre- Chanson "Comme au cinema" in unsere Ohren. Und als wir kurz vor Saint-Eden direkt an den paradiesischen Strand hinunterrollen, überrascht uns der SEC, indem er sich einen cleveren Trick einfallen lässt: Er fährt sich im feinen Sand fest, um in aller Ruhe hinaus auf den offenen Atlantik blicken zu können.

Antriebsschlupfregelung kostet Aufpreis

Ein Intermezzo, das man sich durchaus hätte sparen sollen: Denn einst hatte der Erstbesitzer zusätzliche 3.186,30 Mark für die Antriebsschlupfregelung bezahlt. Ein teurer Fehler - leider lässt sie sich nicht abschalten. Für den Betrieb mit Schneeketten lässt sie sich lediglich mit einem Schalter in ihrer Wirkung drosseln. Und so verhindert sie zuverlässig, dass sich der Mercedes 560 SEC mit leichtem Schlupf aus dem Sand fahren lässt. Wir müssen eben versuchen, das dicke Coupé ohne fremde Hilfe wieder flott zu bekommen. Zum Glück macht etwas Strandgut seinem Namen alle Ehre: In Form von angespültem Holz ist es tatsächlich sehr gut, um festgefahrenen Mercedesreifen wieder Grip zu geben. Die Rettung glückt, das muss gefeiert werden.

In Roscoff verlassen wir den Wagen mit dem Stern, für ein Restaurant mit Stern. Im "Le Yachtman" lassen wir uns - farblich passend - Homard bleue servieren. Und sehen zu, wie sich der Mercedes 560 SEC seine diamantblaumetallicfarbene Haut von der untergehenden Sonne streicheln lässt. Zurückhaltend und elegant steht er da, und auch ein bisschen hochnäsig. Er bleibt ein Wagen für die Haute Volée, trotz seiner 20 Jahre. Er hat uns quer durch Europa getragen, ohne jeden Defekt. Er hat Stil, selbst mit einer Ladung Krebssaft im Sitzpolster. Er ist ein Gran Turismo und ein wahrer Mercedes sowieso. Wer hätte gedacht, dass ihn so etwas Profanes wie ein Hyundai Matrix verdrängen könnte. Noch eine wehmütige Heimfahrt, dann heißt es: Au revoir, großer Sternenkreuzer, es war schön mit dir.