Rekordfahrzeug Fiat Mephistofele

Dieser Oldie geht wie der Teufel

Rennwagen-Chassis plus Flugzeug-Triebwerk ergibt Rekord-Fahrzeug: Der Fiat Mefistofele war am 12. Juli 1924 auf öffentlicher Straße 234,98 km/h schnell – und wir durften einen Teufelsritt in ihm erleben.

Fiat Mefistofele, Frontansicht Foto: Arturo Rivas 18 Bilder

Würden Sie sich in einen Formel 1 von 1999 setzen, dem ein Verrückter eine Starfighter-Düse ins Heck gesteckt hat? Die Zeit verharmlost ja so einiges, und Oldtimer wirken meist irgendwie lieblich. Doch letztendlich steige ich gerade in einen Starfighter-Formel 1 von 1922, den Mefistofele. Der britische Rennfahrer Ernest Eldridge ließ ihn aus einem verunfallten Fiat-Rennwagen zusammendengeln – und einem Flugzeugmotor des Typs Fiat A12 mit 21,7 Liter Hubraum und 320 PS. Den Namen trägt das vierrädrige Monster nicht zu Unrecht – es muss auf die Menschheit der zwanziger Jahre wie das Fahrzeug des Satans gewirkt haben. Es donnert und raucht, als würde sich gerade der Höllenschlund öffnen. Und so tauft ihn der Volksmund Mefistofele, frei nach der teuflischen Figur in Goethes Faust.

Beifahrer sitzt auf dem Holzboden

Nun wischt diese historische Erklärung das Unbehagen der Gegenwart ebenso wenig beiseite wie ein Blick auf die Verzögerungsanlage: Sie wirkt nur auf die Hinterräder, und ihre Effektivität stelle ich mir ähnlich miserabel vor wie das Betätigen einer abgenutzten Handbremse bei Tempo 300.

Ob sich der Copilot von Eldridge am 12. Juli 1924 wohl ähnliche Gedanken gemacht hat, als er für die Rekordfahrt in den Mefistofele stieg? Er hatte nur eine Aufgabe: bei einer bestimmten Drehzahl von Hand Sauerstoff aus einem Vorratstank in die nimmersatten Vergaser zu pumpen. Dies sei heute nicht nötig, erklärt mir Raffaele Terlizzi, der für die historische Sammlung von Fiat verantwortlich ist und unter dessen Leitung der Rekordwagen restauriert wurde. Ich solle einfach die Fahrt genießen.

Und ich solle anschließend beim Aussteigen einen großen Bogen um das oberarmdicke Flammrohr machen – es sei dann logischerweise sehr heiß. Doch erst einmal muss ich in den offenen Wagen klettern. Also zunächst den linken Fuß auf den schwarzen Eisenrahmen setzen, dann mit beiden Händen am Chassis festhalten, den rechten Fuß aufs Rad schwingen und ... Was ist eigentlich das? Es gibt keinen Beifahrersitz. Fahrer Terlizzi bemerkt das verdutzte Gesicht, grinst und signalisiert gestenreich, dass alles seine Richtigkeit habe.

Man sitzt auf dem Holzboden

Schon klar, der Mefistofele basiert auf dem Fiat SB4, einem Monoposto. Doch offensichtlich hatte der Hasardeur Eldridge seinen Umbau ebenso wenig für zwei vorgesehen. Und das blieb so – der Mefistofele ist maximal ein 1+1-Sitzer: Ich fädele meine Beine also zwischen Fahrer und Seitenwand in den viel zu engen Fußraum und quetsche mich irgendwie hinein, lande auf dem Bretterboden. Das Leben eines Copiloten kann hart sein. Keine Ahnung, wie wir uns gleich arrangieren werden, denn ich habe jetzt schon das Gefühl, dass ich eigentlich den ganzen Innenraum ausfüllen könnte. Also Schultern einziehen, so weit wie möglich nach links rutschen, ohne dabei das Auspuffrohr zu berühren. Trotzdem kuschele ich zwangsläufig mit Fahrer Terlizzi, der es gelassen hinnimmt.

"Now we can start", knarrt er mit charmantem italienischem Akzent, wobei ich weit und breit keinen kräftigen Mann mit Eisenstange sehe, der den Flugzeugmotor anwerfen könnte. Stattdessen rollt ein Fiat Campagnola heran. Der raubauzige Geländewagen im Stile eines Land Rover Defender trägt vorn eine Art Hirschgeweih und dockt damit an unserem Heck an.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Schon auf den ersten Metern schmatzt es aus den Vergasern, sprotzelt, gluckst, dann ein Ruck. Massageähnliche Vibrationen erklären die Theorie vom prinzipiell ausgeglichen laufenden Reihensechszylinder für null und nichtig. Ein furchteinflößendes Getöse brandet auf: Tiefbassiges Kolben-Gepoltere und hochfrequentes Mechanik-Rasseln mischt sich mit dem Heulen des Getriebes zu einem dissonanten Rabatz. Nun ist auch klar, woher der teuflische Name kommt.

Ein kurzer Blick zurück zeigt: Der Campagnola steht längst, und wir rollen aus eigener Kraft. Verglichen mit dem Lärm ist der Vortrieb eher verhalten. Nur langsam nimmt der Mefistofele Fahrt auf. Die Rauchentwicklung steht zur Fahrleistung in keinem Verhältnis: Der Rekordwagen zieht eine undurchdringliche Schleppe aus Abgasen hinter sich her. Wobei sich ein Großteil bereits an der Krümmern vorbei ins Freie mogelt und vom Fahrtwind in unsere Richtung gedrückt wird – der beißende Qualm nimmt einem fast die Luft zum Atmen.

Was, wenn die Kette reißt?

Wir sind jetzt etwa 100 km/h schnell, was schon ein überwältigendes Höllenspektakel ist. Ich beurteile meine aktuelle Situation realistisch: Ich sitze auf dem blanken Holzboden eines Flugzeugtriebwerks auf vier Rädern, darum einige Bleche als notdürftige Karosserie – samt völlig ungenügender Bremsanlage. Zwei Ketten übertragen das Drehmoment auf die Hinterachse, wobei eine seitlich unter mir verläuft. Was ist, wenn sie reißt? Doch der völlig überreizte Verstand wischt alle Bedenken beiseite, kann nur noch die Anweisung geben: Grinsen!

Verrückte Rekordjagden

Ich muss verrückt sein, hier mitzufahren. Aber Eldridge war verrückter. Er jagte am 12. Juli 1924 mehr als doppelt so schnell über eine französische Landstraße nahe Arpajon bei Paris. Später wurde ein Durchschnittstempo von 234,98 km/h ausgewiesen, wobei ein ohrenbetäubender Orkan gewütet haben muss. Wie man auf dem Foto von einst sieht, trugen Fahrer und Beifahrer nicht einmal Helme.

Eine Woche zuvor schon erreichte Eldridge beim ersten Rekordversuch 230,55 km/h; dieser Wert wurde allerdings von den Offiziellen nicht anerkannt – der Mefistofele verfüge nicht über den vorgeschriebenen Rückwärtsgang, hieß es als ablehnende Begründung. So musste der britische Rekordjäger einen einbauen lassen, was technisch gesehen überhaupt nicht möglich war. Terlizzi hat so seine eigene Idee, wie der Mefistofele bei der Wiedervorführung zur zweiten Tempofahrt rückwärts fuhr: Ein langer Stab habe bis aufs Differenzial geführt, und der Beifahrer soll es per Muskelkraft bewegt haben. Ob diese Theorie stimmt, lässt sich heute nicht nachprüfen. Zumindest ist sie eine erzählenswerte Geschichte in der Geschichte.

Der linke Arm ist durchgegart

Auch wenn er geschummelt hat: Seit seinem Höllenritt steht der Brite mit diesem Bestwert in den Annalen. Was danach mit dem Mefistofele passierte, verliert sich im Dunkel der Geschichte. Irgendwann tauchte er allerdings beim Goodwood Festival of Speed auf, was Fiat-Patriarch Giovanni Agnelli auf den Plan rief – den Rekordwagen verleibte sich seine Turiner Sammlung ein. Dort stand der Bolide zunächst, bis er ab 2007 restauriert wurde.

Jetzt scheint der generalüberholte Mefistofele so gut in Schuss, wie die hanebüchene Konstruktion eben sein kann. Wie die meisten Fahrzeuge für Geschwindigkeits-Rekorde stürmt er am liebsten geradeaus und nimmt Biegungen bemerkenswert unwillig. Terlizzi muss ganz schön am Lenkrad schuften, um die 1,8 Tonnen weit ausholend um die Ecke zu wuchten. Dass dabei kaum nenneswert Querkräfte auf uns wirken, kommt mir vor allem in Rechtskurven gerade recht – schon so versuche ich krampfhaft, meinen linken Arm vom Auspuffrohr fernzuhalten. Gut durchgegart fühlt er sich dank enormer Abwärme dennoch bereits nach wenigen Hundert Metern an.

Wie Goethes Faust bin ich einen Pakt mit dem teuflischen Mefistofele eingegangen, habe mich kurz der abenteuerlichen Konstruktion aus einem Rennwagen und einem Flugzeugtriebwerk ausgesetzt. Ein dauerhaftes Verweilen des Augenblickes habe ich allerdings schon wegen der enormen Rauchentwicklung nicht herbeigesehnt.