Renault Alpine 1600 S im Fahrbericht

Flach, hart und verflixt schnell

Seit 40 Jahren schreibt Klaus Westrup über Autos in auto motor und sport. Für Motor Klassik blättert er in seinem alten Notizbuch mit Fahrberichten und erinnert sich, diesmal an einen ultraflachen französischen Sportwagen, den Renault Alpine 1600 S.

Renault Alpine 1600 S, Frontansicht Foto: Archiv 6 Bilder

Einem normal gewachsenen Mitteleuropäer reicht dieses Auto nur bis zum Bauchnabel. Genau 1,13 Meter misst die Flunder namens Alpine in der Höhe, korrekter dieser Renault-Alpine oder, umgekehrt, Alpine-Renault. Die kleine, nicht einmal vier Meter lange Straßen-Rakete mit korrektem Namen Renault Alpine 1600 S stammt aus einer Fabrik im französischen Epinay-sur-Seine, wo ausschließlich wettbewerbsmäßig gedacht wird und wo Anfang der siebziger Jahre Renault bereits das Sagen hat.

Warum diese Ehe? Vielleicht möchte der französische Großhersteller und Massenproduzent von universellen Kleinwagen à la R 4 oder komfortablen Mittelklässlern à la R 16 einfach nur zeigen, dass er auch anders kann – schnell, hart, laut und agil.

Fahrer im Renault Alpine 1600 S sitzt wie eingegossen

Wenn man so will, ist der Renault Alpine 1600 S ein Anti-Renault. Es fängt schon mit dem Einsteigen an. Mit normalen, uns allen vertrauten Bewegungsabläufen hat das nicht mehr das Geringste zu tun. Man sollte zumindest nebenberuflich Akrobat sein, muss die Füße schon während des Einfädelns akkurat sortieren, denn später kann es zu spät und alle Mühe umsonst sein. Am engsten ist der Renault Alpine 1600 S im Pedalbereich, einer finsteren, schwer durchdringlichen Höhle, die auf zu große Füße sofort mit Überforderung und anschließender Verklemmung reagiert.

Geschafft – hoffentlich hat niemand zugesehen. Nun liegt man mehr als man sitzt, aber die Position steht einer dynamischen Fortbewegung nicht im Wege. Man kann mit ausgestreckten Armen fahren, die extrem schlechten Sichtverhältnisse sind jedoch gewöhnungsbedürftig. Ampeln lassen sich aufgrund der tiefen Sitzposition nur sehr schlecht beobachten, bei Dunkelheit wird man von den brav mit Abblendlicht entgegenkommenden Autos fast immer geblendet, auch der Blick auf die zahlreichen Instrumente des Renault Alpine 1600 S ist getrübt.

In wesentlichen Bereichen, also bei Tachometer und Drehzahlmesser, stört die dicke Wurst von Lederlenkrad. Der Scheibenwischer des Renault Alpine 1600 S arbeitet nur einstufig und ist höchst umständlich mittels Taste am Instrumentenbrett zu aktivieren.

Kein Gran Turismo, dafür ein Tempo-Mobil

Wir sehen uns um – gute Verarbeitung sieht anders aus. Überall unsaubere Klebestellen, nach kurzem Gebrauch stellen beide Fensterkurbeln ihre Funktion ein. Einen richtigen Kofferraum gibt es auch nicht, wenn man einmal den hinter den beiden Sitzen verbleibenden Platz außer Acht lässt. Der Renault Alpine 1600 S will kein richtiger Gran Turismo sein, nichts für die gepflegte große Reise. Er ist Tempo-Mobil – und das mit einem bescheidenen maschinellen Aufwand.

Dieser befindet sich im Heck des Renault Alpine 1600 S, ein längs eingebauter Vierzylinder, der in seinen Grundzügen vom braven, ursprünglich nur 55 PS leistenden Triebwerk des Renault R 16 stammt. Nun sind es bei genau 1565 Kubikzentimetern Volumen 110 PS, in Wettbewerbsversion sogar 160.

Ein solcher Renn-Alpine hat 1971 mit Dieter Kern am Lenkrad die Deutsche Bergmeisterschaft gewonnen – mit kurzer, bissiger Gesamtübersetzung und einer Kunststoff-Karosse, die in Rennversion gerade einmal 27 Kilogramm wiegt. Auch das Serien-Auto verschmäht an dieser Stelle Stahlblech, gibt sich ja ohnehin ganz minimalistisch. Die Waage zeigt folgerichtig nur 820 Kilogramm vollgetankt, das Leistungsgewicht beträgt 7,5 Kilogramm pro PS.

Schneller als der Porsche 911 S

Das verspricht viel Dynamik, und in diesem Punkt enttäuscht der Alpine kein bisschen. Null auf 100 km/h in 7,3 Sekunden, da fährt sogar die Porsche-Ikone 911 S ein Zehntel hinterher. Beeindruckend speziell in dieser bescheidenen Hubraum-Kategorie die Fähigkeit des Renault Alpine 1600 S, auch bei hohen Geschwindigkeiten noch spürbar zuzulegen.

Erst bei 220 km/h ist Schluss – damals das gelegentlich zitierte Wahnsinns-Tempo, mindestens so eindrucksvoll wie die 100 km/h, die der Renault Alpine 1600 S noch im zweiten Gang erreicht. Maximal 7.000 Touren dreht der im Kern ganz brave Stoßstangen-Vierzylinder – nebenbei ist er auch noch Langhuber.

Und er lässt sich das von zwei Weber Horizontal-Doppelvergasern aufbereitete Superbenzin-Gemisch schmecken. Fast 15 Liter pro 100 Kilometer sind es im Testmittel – überwiegend rasant zurückgelegte Kilometer, was sonst bei diesem Auto.

Renault Alpine 1600 S ist kein Auto für Anfänger

Wie fährt es sich, mit seiner hinteren Pendelachse, dem Heckmotor und einer dadurch bedingten Gewichtsverteilung von 350 Kilogramm vorn und 470 hinten? Nicht unproblematisch, wie erwartet. Das Erdgeschoss braucht einen Könner beim schnellen Kurvenfahren, jemand der rechtzeitig merkt, wann die mit Michelin XAS-Reifen bestückte Heckpartie des Renault Alpine 1600 S ihre Haftfähigkeit verliert und der Alpine in Stümperhand pirouettenhaft die Bahn verlässt.

Zugegeben, der Grenzbereich liegt hoch, aber die ziemlich direkt übersetzte Lenkung verlangt ruhige und gezielte Kommandos. Das Gegenlenken muss mit kleinsten Ausschlägen vorgenommen werden – nichts für Anfänger, schon gar nichts für Untalentierte.

23.000 Mark kostet der Renault Alpine 1600 S 1972, damals verdammt viel Geld für 110 PS und 820 Kilogramm Auto. Wer soll so etwas kaufen? Der einstige Testbericht bemüht sich um ein salomonisches Urteil. Einerseits sei die blaue Flunder ja nicht nur sehr teuer, sondern auch schlecht verarbeitet, pflegebedürftig, hart, laut und durstig. Andererseits, wenn man in ihr so etwas wie einen straßen- und verkehrstauglichen Rennwagen sehe, könne man durchaus von einem günstigen Preis, brauchbarem Komfort und einem akzeptablen Motorgeräusch sprechen. Eine Empfehlung für den Renault Alpine 1600 S bleibt aus.

Die Kollegen von sport auto haben Renault Alpine mit dem modernen Nachfolger Renault Mégane RS verglichen .