Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake

Luxus-Laster mit Holzaufbau

Ein Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake ist eine seltsam anmutende Erscheinung. Denn nur wenige Autos genießen einen derart lauten Ruf als Luxusobjekte für vermögende Bohemiens wie die von Rolls-Royce. Wozu diente aber der Umbau in einen praktischen Transporter? Die Antwort erfahren Sie hier.

 Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake (Chassis von 1928) Foto: Arturo Rivas 23 Bilder

Den Briten eilte schon vor Monty Pythons's Flying Circus der Ruf voraus, einen ausgeprägten Sinn für das Skurrile und leicht Überdrehte zu haben. In der Automobilgeschichte manifestierte sich diese Neigung auch darin, nahezu jedem Modell eine Kombi-Version zur Seite zu stellen, sei es in (Klein-)Serie oder als Einzelstück. Zu nennen wären unter vielen anderen: diverse umgebaute Aston Martin Sportcoupés, Jaguar XJS, Austin Mini Countryman und sogar zwei Lotus Elan mit dem herrlichen Spitznamen „Elanbulance“.

Pro Zylinder 1.273 Kubikzentimeter Hubraum

Natürlich mussten auch einige Rolls-Royce aus verschiedenen Epochen den Umbau zum Shooting Brake oder zum Estate erdulden. Doch dieser Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake aus dem Jahr 1928, der zunächst nur als fahrbares Chassis die Werkshallen von Derby verließ, trägt seinen aus Mahagoniholz gezimmerten Schrankaufbau mit einer derart selbstverständlichen Grandezza, dass sein Erscheinen in die Gesichter von Passanten am Straßenrand stets ein Lächeln zaubert.

Während der temporeichen Fahrt im Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake durch die ländliche Gegend südlich von Landshut erzählt der Rolls-Royce-Besitzer aus Bayern die Geschichte seines seltenen „Woodie“-Kombis. Wir sitzen dabei angesichts der riesigen Raumfülle im Heck etwas eingezwängt im vorderen, sich zur Motorhaube stark verjüngenden Teil des Fünfeinhalb-Meter-Lasters und beobachten uns selbst, wie wir über Land und durch Ortschaften rauschen. Uns eilen gut zwei Meter des Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake voraus; wir blicken auf riesige, leicht zitternde Scheinwerfer, imposant geschwungene Kotflügel und das kleine, halbnackte Mädel auf dem Kühlergrill.

Das Rauschen ist wörtlich zu nehmen, weil die Zündexplosionen in den sechs jeweils 1.273 Kubikzentimeter großen Zylindern (kein Schreibfehler!) des Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake nur durch ein Zischeln nach draußen dringen. Von unten steuert noch das Getriebe ein gedämpftes Singen mit tempoabhängiger Tonhöhe bei – ansonsten macht im Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake nur der Wind die Musik.

Fahrer hat zu tun – Lamellen verstellen, Gemisch abstimmen, Zündung und Standgas anpassen

Der Fahrer des erledigt dabei gleichzeitig die Aufgaben eines Maschinisten, denn mit Lenken, Gasgeben, Bremsen und einem gelegentlichen Gangwechsel gibt sich der mächtige Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake nicht zufrieden.

Sein Pilot muss bereits zum Motorstart und jetzt während der Fahrt mit nicht weniger als vier verschiedenen Regelbereichen für die besten Arbeitsbedingungen des 7,7-Liter-Motors sorgen: Wassertemperatur (bewegliche Kühlerlamellen), Gemischstärke im Vergaser, Früh- und Spätzündung und schließlich noch das Standgas. Den richtigen Mix zur gerade angesagten Außen- und Motortemperatur sowie zur Fahrsituation wählt der Woody-Besitzer aufgrund einiger tausend Kilometer Fahrpraxis, die er bereits mit seinem Phantom gesammelt hat. Dazu zählt auch eine Reise mit einigen Freunden zu den Schlössern der Loire, die der stämmige Brite ohne jegliche technische Probleme absolvierte.

Trotz allen Schaltens und Waltens und mit viel Verve durchfahrener Kurven und Ortschaften – immer in Bewegung bleiben! – erfahren wir die Geschichte, wie es zu der Verwandlung des Rolls-Royce in einen Kleinlaster kam: „Der Wagen hatte zunächst eine konventionelle Six-Light-Saloon-Karosserie von Knibbs mit jeweils drei Seitenfenstern, wurde aber 1940 zum Militärdienst eingezogen.“

Neuer Einsatzzweck im Krieg: Schnell-Transporter

Die Royal Air Force baute ihn zu einem Schnell-Transporter um, in dem man Techniker und Ersatzteile zu notgelandeten Flugzeugen bringen und deren Besatzungen abholen konnte. Dank kleiner Klappstühle im Heck und gegenüber der breiten Rücksitzbank fanden bis zu zehn Personen in dem Holzaufbau Platz. Den Umbau besorgte die Karosserie-Firma Weaver.

Bis 1953 bleibt die Geschichte des Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake im Dunkeln, um danach durch eine neue Besitzerin umso mehr zu erstrahlen: Mirabel Topham. Der resolut auftretenden, kräftige gebauten und steinreichen Dame gehörte der Aintree Racecourse, dessen Veranstaltungen sie leitete. Dazu zählte auch das berüchtigte Grand National Hindernisrennen, dem 1954 vier Pferde, aber zum Glück keine Jockeys zum Opfer fielen.

Im gleichen Jahr war auf dem Aintree-Gelände, das etwa zehn Kilometer nördlich von Liverpool liegt, auch eine Automobilrennstrecke eröffnet worden. Dort fand fünfmal der Britische Formel 1-Grand Prix statt. Die prominentesten Sieger waren Stirling Moss und Jim Clark. Moss gelang 1957 in Aintree sogar ein von den Racefans sehnlichst erwarteter Erfolg: der erste Formel 1-Sieg eines britischen Piloten in einem britischen Vanwall-Rennwagen.

Der Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake diente auf dem Aintree-Gelände, in der Regel gefahren von Mirabels Neffe James Bidwell-Topham, als zuverlässiges Mädchen für alles. „Man kann davon ausgehen, dass der Rolls-Royce auch als Streckenfahrzeug zum Einsatz kam und gestrandete Rennfahrer einsammelte oder illustre Gäste der Lady Topham von den Hotels abholte“, berichtet der Besitzer des Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake. Die riesige, aus einem Zeppelin stammende Zeituhr und daneben der Rundenzähler aus einem Bugatti sind Indizien dafür, dass der Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake auch als Zeitnehmer-Häuschen diente.

Aufbau aus 150 Jahre altem Mahagoni-Holz

Jetzt ereichen wir im Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake allmählich unser Ziel, die kunstvoll im Renaissance-Stil ausgestattete Festungsanlage Burg Trausnitz inmitten von Landshut. Wirklich beinahe so geräuschlos wie ein Phantom – der knirschende Kies unter den Rädern macht den größten Lärm – durchfahren wir die Vorburg und deren Tore.

Im Innenhof der Anlage erfreuen wir uns an den vielen Ausstattungsdetails des großen Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake, dessen Aufbau aus heute etwa 150 Jahre altem Mahagoniholz vom Karosserie-Spezialisten Hooper grundlegend überholt und optimiert wurde. Wann das genau war, ist heute nicht mehr festzustellen, dürfte aber noch vor der Topham-Ära, also Ende der 40er Jahre, erfolgt sein. Und in diesem Zustand blieb der Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake erhalten, gewartet von verschiedenen Rolls-Royce-Sepzialisten, die ihre Plaketten im Auto hinterließen.

Einer der großen Errungenschaften im Wangeninneren des Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake ist ein Autoradio mit zwei Stationswahlreglern, die jeweils einen Sender für „Country Music“ und einen für „City Music“ anbieten. Ebenso beeindruckt das gigantische Sammelsurium an Werkzeug, untergebracht in den Trittbrettern und unter den Frontsitzen, als gelte es an der Rallye Peking-Paris teilzunehmen. Was jedoch an dem Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake am meisten fasziniert: Alle sechs Türen des Holzaufbaus lassen sich völlig mühelos und reibungsfrei öffnen, nichts klemmt, schleift oder quietscht.

Im Rolls mit Gummiboot auf dem Dach zum Badesee

Bei so viel perfekter Handwerksarbeit ist leicht zu verstehen, dass der stilvolle Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake bis 1981 in Familienbesitz blieb und erst nach dem Tod von James Bidwell-Topham zunächst an einen britischen Sammler veräußert wurde und dann in den Besitz des deutschen Rolls-Royce-Enthusiasten kam. Und der nutzt den mondänen Rolls-Royce Phantom I Shooting Brake so pragmatisch wie damals: „Wenn wir mit unserem Sohn und seinen Freunden zum Badesee fahren, wird das aufgeblasene Gummiboot schon mal auf dem Dach transportiert.“