VW Golf und Toyota Corolla im Fahrbericht

Aller Welts Wagen

Sie sind die Weltbestseller schlechthin. Kein anderes Auto verkaufte sich häufiger als Golf und Corolla. Den Grundstein dieses Erfolgs legt en VW mit dem Golf II und Toyota mit dem Corolla der fünften Generation. Beide kamen 1983.

VW Golf II, Frontansicht Foto: Ingolf Pompe 10 Bilder

Es geschieht an einem sonnigen beinahe schon zu heißen Dienstag. In Wolfsburg löst am 25. Juni 2002 ein VW Golf IV mit der Nummer 21.517.415 den Käfer als meistgebautes Auto der Welt ab. Gut zwei Jahre hatte es nach der Präsentation des Golf im Juni 1974 gedauert, bis sich die erste Million verkauft hatte. 1988 knackt VW die zehn Millionen, und im Sommer des vergangenen Jahres feiert man sich selbst und Golf Nummer 30.000.000.

Bereits zwei Jahre werkelt Volkswagen mit einem Milliardenbudget an der Entwicklung eines Autos, das mit radikal neuem Konzept den Käfer ablösen und den Konzern aus den roten Zahlen führen soll, als Toyota den Corolla in Deutschland einführt. 1971 kaufen 654 Leute den Wagen für 6.890 Mark. International ist das 1966 präsentierte Modell längst ein Bestseller. 1970 lässt es die Millionenmarke hinter sich, 1983 schon schafft die vierte Genera tion die zehnte Million, und aktuell zählt Toyota selbst mehr als 37 Millionen Corolla in allen erdenklichen Varianten und inklusive einiger Derivate: Limousine, Liftback, Compact, Coupé, Minivan. Und mit wechselndem Konzept. Mit der fünften Ausgabe wechselt Toyota auf Frontantrieb. Allein das Coupé behält Heckantrieb.

Konzeptwechsel bei Volkswagen

Der Golf II hingegen steht bei Volkswagen für den Konzeptwechsel schlechthin. Wasser- statt Luftkühlung, Reihenstatt Boxermotor, Front- statt Heckantrieb, Kiste statt Kugel. Man denkt daran, dem Käfer-Nachfolger einen Tiernamen zu geben – Dachs – und plant den Wagen ursprünglich mit Mittelmotor und Heckantrieb. Zu teuer, befindet Generaldirektor Rudolf Leiding und gibt 1971 eine klare Marschrichtung vor: "mehr Fahrzeuge mit Frontantrieb und Wasserkühlung".

So wird der VW Golf II formal wie technisch ein Gegenentwurf zum Käfer. Ein anderes Auto ist er trotzdem nicht. Er ist in dem Sinne nicht revolutionär, als dass er auf demselben Erfolgsrezept basiert wie sein Vorgänger: Der VW Golf II soll nicht Bedürfnisse schaffen, sondern sie befriedigen. Wenn auch der Käfer weiter geliebt wird, der Golf wird gebraucht, von VW und von den Kunden. Massenhaft akzeptiert ist er als schlichter Gebrauchsgegenstand, ohne dabei als Massenware verbraucht zu werden.

VW Golf II ein schweres Erbe

Dabei tritt der zweite VW Golf ein noch schwereres Erbe an als sein Vorgänger. Denn er konnte nicht als Neuerer auftreten, sondern musste an den Erfolg des strahlenden Originals anschließen, ohne als Retter des Konzerns hofiert zu werden. Tatsächlich aber ist es der Golf II, mit dem VW wuchs, weil er sich nicht allein dem Namen nach als Volkswagen etablieren kann und so ein Image prägt, von dem das Unternehmen noch heute profitiert. Zehn Karosserieentwürfe, sechs Millionen Testkilometer und sechs Jahre Entwicklung haben den Golf wachsen lassen. Die zweite Variante ist 17 Zentimeter länger als Nummer eins, zwei Zentner schwerer und im Detail so viel gediegener, dass sie sich auch heute nicht überholt anfühlt. Der VW Golf II fährt sich, wie wenn man einen guten alten Freund trifft. Jadegrün, dieser feine und unaufdringliche Ton, kleidet ihn gut. Hier und da drückte das Stadtleben ihm ein paar Dellen ins Blech, der simplen Eleganz seiner Figur kann das nichts anhaben. Er trägt die Spuren des Alltags so souverän wie die Bürde, die er 1983 auf sich zu nehmen hatte.

Im selben Jahr stellt Toyota das Modell E80 als "Quintessenz des Familienautos" vor. Der fünfte Corolla soll demnach "ohne Abstriche Weltniveau" erreichen. Sein Chefentwickler Fumio Agetsuma gestand: "Als der Rallye-Fahrer Ove Andersson und weitere Experten befanden, der Wagen sei den europäischen Autos derselben Klasse einen Schritt voraus, war das wundervoller, als hätte man meinen eigenen Sohn gelobt."

In Deutschland schafft das liebste Toyota-Kind es dennoch nicht an die Spitze. Ihm fehlt das Gesicht, das der VW Golf für die Kompaktklasse definiert hat. Gerade die jüngere Generation suche im Zuge verbesserter Lebensverhältnisse nach eigenen Formen von Stil und Ausdruck, ihr Wertesystem sei komplizierter und vielschichtiger geworden. Auf diesen Trend eine automobile Antwort zu geben, sei das Hauptaugenmerk bei der Entwicklung des E80 gewesen. Vielleicht liegt darin der wesentliche Unterschied zwischen ihm und dem deutschen Konkurrenten: Der eine hat einen Trend geschaffen, der andere versuchte nur, darauf zu reagieren.

VW Golf II ebenfalls ein Pragmatiker

Der erste Toyota Corolla mit Frontantrieb tut das ebenso gut wie diejenigen, die vor ihm kamen und die auf ihn folgten. Aber auch ebenso brav. Schon das Wort "Corolla", es entstammt dem Lateinischen und bedeutet meist so viel wie Blumenkränzchen oder -krönchen, löst bei vielen spontanes Gähnen aus. Extreme Zuverlässigkeit macht ein Auto nicht spannend, und ein günstiger Preis als Wettbewerbsvorteil japanischer Autos hat nie zu deren gesteigerter Wertschätzung beigetragen. In ihrer Unauffälligkeit waren die kompakten Toyota eine Zeit lang von der Vernunft diktierte Gebrauchsgegenstände, die es zum Familienmitglied nie schafften, dann wurde die einstige stille Dienstbarkeit den meisten zum Verhängnis. Sie gingen unter in der von ihnen selbst geschaffenen Massenhaftigkeit, bevor Export oder Schrott ihr Schicksal besiegelten. Die wenigen Verbliebenen schleichen gebeugt wie ihre Halter durch den Lebensabend, oder sie stehen, eine rostige Felge in ölschlieriger Pfütze, bei Händlern mit komischen Namen ganz hinten auf dem Kies, umgeben von der Melancholie des Abgelebten, Abgelegten, Verlassenen, Vergessenen.

Und so schafft er es nach über dreißig Jahren dann doch noch, uns emotional zu erreichen, der Toyota Corolla. Für den VW Golf II, obschon ebenfalls ein Pragmatiker, war das nie ein Problem.