Winterfahrer

3 Klassiker für jeden Tag

Einen Klassiker nur an wenigen Wochenenden im Sommer bewegen? Das ist nicht die Welt von Nicole Haag, Peter Rasspe und Christian Rühle. Sie fahren das ganze Jahr über ein altes Auto – und zwar jeden Tag.

Mercedes-Benz 230 TE, Nicole Haag mit Töchtern Foto: 16635 9 Bilder

Dass man ihrem Auto hinterherschaut, daran hat sich Nicole Haag inzwischen gewöhnt. Sie weiß selbst am besten, was sie an ihrem Mercedes-Benz 230 TE (W 123) hat, der bei einem Kilometerstand von 370.000 noch immer so aussieht, als ob er erst kürzlich ausgeliefert worden sei. Nicht wenige würden so ein gepflegtes Exemplar inzwischen nur noch an ausgewählten Tagen im Sommer bewegen. Heute ist aber nicht Sommer. Heute ist ein bitterkalter, wenn auch ungewöhnlich sonniger Tag.

Auch im Winter offen unterwegs

Während Nicole Haag am frühen Nachmittag ihre Tochter Luise und deren Freundin Lea von der Schule abholt, macht sich Peter Rasspe am Verdeck seines Austin-Healey 3000 zu schaffen. Gut zehn Minuten später fädelt sich der Stuttgarter Kinderarzt mit dem schwarzen Roadster in den Verkehr ein, um im Zentrum schnell ein paar Besorgungen zu erledigen.

Im selben Moment koppelt Christian Rühle, Chef der US-Car- Spezialisten Old School Customs aus dem schwäbischen Weinstadt, einen Hänger mit Bauschutt an seinen Ford F 100. Der 40 Jahre alte Pick-up trägt sein H-Kennzeichen mit der Würde eines hart geprüften Arbeitstieres und begeistert seinen Fahrer weniger mit Komfort als vielmehr mit der Unerschütterlichkeit eines Bulldozers – gepaart mit dem satten Achtzylinder-Sound eines 5,9- Liter-Aggregats.

Haag, Rasspe und Rühle kennen sich nicht, und ihre Autos haben praktisch kaum Gemeinsamkeiten. Und dennoch findet sich ein Nenner, der die drei Besitzer miteinander in Verbindung bringt: Sie wollen keinen Tag im Jahr auf das einzigartige Fahrgefühl eines – oder besser: ihres Klassikers verzichten. Diese Autos waren selbst dann noch im Einsatz, als im Dezember witterungsbedingt weder Züge noch S-Bahnen fuhren.

Hervorragende Wintereigenschaften des Mercedes W123 T-Modells

Auf ein moderneres Fahrzeug als ihren 27 Jahre alten champagnerfarbenen 230er, der liebevoll Goldesel genannt wird, hätte Nicole Haag auch gar nicht umsteigen können. Am ehesten wäre bei Eis und Schnee wohl noch der Land Rover ihres Mannes aus dem Jahr 1982 in Frage gekommen, der mit fünf weiteren Old- und Youngtimern den Familien-Fuhrpark bereichert.

Aber warum überhaupt ein neues Auto erstehen, wenn das alte immer noch selbst widrigste Umstände mit Bravour meistert? „Unser Goldesel hat uns nicht einmal im Skiurlaub in Österreich im Stich gelassen – und da waren die Straßen wirklich verschneit“, erklärt Nicole Haag, die in attraktiver Stuttgarter Aussichtslage wohnt und mit ihrem Mercedes täglich Steigungen meistern muss, wie viele sie wohl eher in einem Mittelgebirge als in einer Großstadt vermuten würden. Auf die offensichtlich hervorragenden Winterfahreigenschaften eines 123er lässt die autobegeisterte Schwäbin schon lange nichts mehr kommen.

Der 230 TE macht immer eine gute Figur

Ebenso wenig auf das Mercedes-typische Geborgenheitsgefühl. Reinsetzen und wohlfühlen – da können zeitgenössische Automobile aus der Sicht von Nicole Haag einfach nicht mithalten, sie sind ihr zu charakter- und emotionslos. Das T-Modell dankt die Einstellung seiner Besitzerin sommers wie winters mit der Zuverlässigkeit eines schweizerischen Uhrwerks – und das bereits seit 20 Jahren, die der stilvolle Benz zur Familie gehört. „Dieses Auto macht einfach immer eine gute Figur, ob ich damit nun einkaufen oder am Abend ins Theater fahre.“

Die Art und Weise, wie Nicole über ihren Mercedes spricht, lässt auf eine unzerrüttbare Verbindung sowie auf einen großen Besitzerstolz schließen – genau so hatte sich das der Konzern 1977 wohl vorgestellt, als er die Kombi-Version präsentierte: Mit Dachreling, schicken Alu-Rädern und Metalliclackierung wirkte der neue Stationwagen so elegant, dass selbst die Limousinen- Fahrer plötzlich um ihren Prestigestatus bangten.
 
Die Mehrzahl der noch existierenden T-Modelle der W 123- Baureihe dürften heute vermutlich ein wenig neidisch in Richtung der Garage von Nicole Haag blicken. Damit auch in Zukunft alles so bleibt wie gehabt, ließ sie ihren 230er erst kürzlich restaurieren, und so wie es aussieht, wird sich am Grundstock der Haag’schen Autosammlung vorerst wenig ändern. An der Grundeinstellung der Besitzerin gegenüber der Alltagstauglichkeit eines Klassikers ohnehin nicht.

Täglicher Weg zur Arbeit für's Hobby

Peter Rasspe setzt seinen Austin-Healey 3000 Mk I ähnlich kompromisslos im Sommer wie im Winter ein – und das bereits seit 18 Jahren. Der Kinderarzt will so wenig wie möglich auf den Fahrspaß verzichten, den ihm der Roadster (Baujahr 1960) bietet. Und weil nicht nur der Job, sondern auch drei Kinder viel Zeit fordern, muss eben die tägliche Fahrt quer durch Stuttgart zur Arbeit und zurück bereits für das Hobby herhalten.

„Es ist ohnehin nicht mein Ding, so ein Auto nur an einigen wenigen Wochenenden im Sommer aus der Garage zu holen.“ Dass im Winter bei geschlossenem Dach dagegen regelmäßig die Scheiben beschlagen oder es schon mal aus allen Ecken zieht, verbucht Rasspe als Roadster-typische Herausforderung, der er sich bereitwillig stellt. Der Mann schwört auf dieses Fahrerlebnis.

Den einzigen wirklichen Nachteil des Healey aus der Sicht eines Besitzers, der mit dem Auto nicht selten unter Termindruck unterwegs ist, sieht Rasspe im rund zehn Minuten dauernden Öffnungsprozedere des Daches. Während der Wagen im Sommer ausschließlich offen gefahren wird, sehnt sich der Arzt für den Wintereinsatz nach einem einfacheren Verdeckmechanismus als bei der Healey-Version mit den seitlichen Steckscheiben: „Für spontane Oben-ohne-Fahrten reicht oftmals leider nicht die Zeit“, resümiert der Stuttgarter.

Für Notfälle steht ein W126 bereit

Dem Auto scheint der harte Alltags-Winter-Einsatz kaum etwas auszumachen. Nachdem Rasspe den Healey 1993 gekauft hatte, ließ er den Roadster erst einmal komplett restaurieren, seitdem waren bis auf die üblichen Wartungsarbeiten praktisch keinerlei lebenserhaltenden Maßnahmen mehr erforderlich. So viel Zuverlässigkeit belohnt sein Besitzer mit einem eindeutigen Versprechen: „Dieses Auto wird nicht verkauft.“ Zudem sind die beiden älteren Kinder in diesem Roadster quasi aufgewachsen. Sie würden es ihrem Vater nie verzeihen, wenn es den Healey plötzlich nicht mehr geben würde.

Dass ihm viele Oldtimer-Besitzer wie -Fans kopfschüttelnd hinterherschauen, sobald sie den Roadster auf winterlich anmutenden Straßen erblickt haben, ist für Rasspe nichts Neues. Für wirklich schlechte Tage hält der Roadster-Fan allerdings ein Ersatzfahrzeug bereit: Dann steigt er in einen Mercedes-Benz 500 SEL (W 126) aus dem Jahr 1984 um. Aber nur dann.

Oldtimer als Arbeitstier

Gegen die beiden gepflegten Autos von Nicole Haag und Peter Rasspe wirkt der Ford F 100 Pick-up von Christian Rühle nun wie das, was er im Grunde seines archaischen Wesens auch ist – ein reines Nutzfahrzeug. Rühle selbst geht mit dem Kleinlaster von 1970 noch härter zu Gericht, spricht von automobiler Massenware, für die sich in dessen Heimatland heute kaum ein Mensch ernsthaft interessieren würde. „Gebrauchte F 100 lassen sich vermutlich nicht einmal mehr in Mexiko an den Mann bringen.“

Für Christian Rühle, der sich mit seiner Firma Old School Customs ganz auf die Restaurierung von US-Klassikern spezialisiert hat (www.oldschoolcustoms.de), ist der Ford mit der praktischen Ladefläche nach fünf Wintern inzwischen jedoch so etwas wie ein guter Kumpel geworden. Der - abgesehen vom Benzinverbrauch -, recht anspruchslos seine Arbeit erledigt.

„An diesem Auto ist ja auch nicht viel dran, was kaputtgehen könnte.“ Größere Reparaturen würden sich wegen des vergleichsweise geringen Werts des Fahrzeugs allerdings auch kaum lohnen. Obendrein sei die Teileversorgung für einen 40 Jahre alten F 100 recht problematisch, weil es praktisch keine Sammlerszene und somit auch keinen Bedarf für irgendwelche Parts gäbe.

Wenig Traktion, kaum Komfort

Dennoch - oder gerade deswegen freut sich Christian Rühle, der im Sommer in einem 65er Buick Riviera anzutreffen ist, über jeden Kilometer in seinem Pritschenwagen. Entspannt zirkelt er das Auto über die von leichtem Raureif überzogenen Landstraßen und genießt dabei das Gefühl jener unnachahmlichen Souveränität, wie sie nur ein 5,9-Liter-V8-Aggregat zu bieten vermag.

Für dieses Fahrerlebnis nimmt der US-Car-Fan gern in Kauf, dass so ein Pick-up auf verschneiten Wegen nicht gerade ein Traktionswunder ist. Und dass so ein Auto seine Besatzung zudem nicht mit übermäßig viel Komfort verwöhnt. Fahren als Herausforderung inklusive einer Prise Abenteuer - in diesen Punkten dürften sich Rühle und der Roadster-Fan Rasspe einig sein.

Sicher ist sich Christian Rühle auch darüber, dass er die Beziehung zu seinem Ford F 100 als Winterfahrzeug noch möglichst lange Zeit aufrecht erhalten will. „So lange dieses Auto fährt, gibt es keinen wirklichen Grund, sich nach einer Alternative umzuschauen.“