Alfa Romeo Giulia Sprint GT

50 Jahre Bertone!

Zum großen Jubiläum des ewig jungen Alfa Romeo Giulia Sprint GT hat Motor Klassik zum Familientreffen gebeten: Vom Stammvater über den GTV und den GTA bis hin zum GT Junior zeigen alle Versionen die gleichen Erbanlagen.

Alfa Romeo, Bertone, Verschiedene Fahrzeuge Foto: Hardy Mutschler 42 Bilder

Einen „Bertone“ einfach nur zu fahren ist so unwürdig, wie ein aus frischen Zutaten zubereitetes Mahl meines italienischen Lieblingskochs Sante de Santis in wenigen Minuten herunterzuschlingen.

Man muss sich Zeit lassen, um alle Facetten des Giulia Sprint GT zu genießen. Mehr noch als die genial schlichte Karosserieform reizt der Einstieg in den Wagen: Das Lenkrad mit poliertem Holzkranz und drei blanken Stahlspeichen von Mellebore, der bequeme wie funktionale Ledersessel und die links und rechts von edlem Holz eingefassten Veglia-Rundinstrumente lassen feinsten klassischen Genuss erwarten.

Der Motor ist das Herz, die Seele und die Stimme

Erst nach ein paar Minuten drehe ich den Zündschlüssel des Alfa Romeo 1300 GT Junior: Der klassische Alfa-Vierzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen läuft auf Anhieb rund. Der Motor brummt dabei wie die rauchig-melancholische Stimme des aus Asti stammenden Sängers Paolo Conte, wenn er die von ihm komponierten Lieder „Azzuro“ oder „Via con me“ anstimmt.

Beim Klang des Leichtmetall-Aggregats muss ich an ein Zitat des englischen Sachbuchautors und Journalisten John Simister denken: „Der Motor ist das Herz, die Seele und die Stimme“ eines Autos. Die Betrachtungen über den unter der Regie von Orazio Satta Puliga entwickelten Motor stellt Simister an den Anfang seines Buchs, in dem er die wichtigsten Antriebsquellen der Autogeschichte würdigt. Er schließt mit dem Satz: „Kein italienischer Motor steht mehr für diesen Gedanken als der archetypische Alfa Romeo DOHC.“

Giorgio Giugiaro zeichnet mit dem Alfa Bertone ein Meisterwerk

Dank des Motors und des Fahrwerks lässt der Bertone in Aktion keine Wünsche offen: Das klingt nach einem Klassiker in Perfektion, einem aalglatten Typen ohne Ecken und Kanten. Doch die Karosserielinien des Typs, die 1960 von einem damals gerade mal 21 Jahre alten Piemonteser gezeichnet werden, haben sehr wohl die Charakter bildenen Ecken und Kanten. Der Name des Gestalters: Giorgio Giugiaro. Seit Dezember 1959 arbeitet er für das Unternehmen von Nuccio Bertone.

Der Design-Jungspund, der aus einer Familie von Kirchen- und Freskenmalern aus Garessio in der Provinz Cuneo stammt, lernt schnell: Daher darf er für Bertone das Coupé zeichnen, das Alfa Romeo in Auftrag gegeben hat. Die Mailänder haben bei Bertone die Karosserieform für einen sportlichen 2 + 2-Türer auf Basis der neuen Limousine Giulia bestellt – die Ablösung für das Fünfziger-Jahre-Kleid des Giulietta Sprint.

Bertone im Museum of Modern Art in New York

Als im September 1963 zunächst im Alfa-Werk Arese vor Journalisten und dann im gleißenden Scheinwerferlicht der IAA in Frankfurt das Seidentuch von der kantigen Karosse gleitet, steht das eckige Gütesiegel „Disegno di Bertone“ an der unteren Kante des vorderen Kotflügels für das „Bel Design“ im Automobilbau.

Der Alfa Romeo Giulia Sprint GT gehört als Kind seiner Zeit in eine Reihe mit den wichtigsten Objekten des italienischen Designs, vom Rang vergleichbar mit der Olivetti-Reiseschreibmaschine von Ettore Sottsass oder dem Klappstuhl „Plia“ von Giancarlo Piretti. Die italienischen Industriedesigner gelten in der Sechzigern und Siebzigern als die weltweit führenden Formgestalter – gefestigt wird dieser Ruf durch eine Ausstellung im Museum of Modern Art in New York 1972. Der Alfa Romeo Giulia Sprint GT, so wissen wir heute, ist ein Frühwerk des Formgestalters, der 1999 zum Automobildesigner des 20. Jahrhunderts gewählt wurde: „Disegno di Giugiaro“ also.

Geprägt vom Piemont

Wo ließe sich das goldene Jubiläum von Giugiaros meisterlichen Frühwerk besser feiern als in der norditalienschen Hügellandschaft, die den jungen Meister inspiriert haben muss: seine Heimat Piemont. Die Abstammung aus dieser italienischen Region, deren Name sich mit „Fuß der Berge“ übersetzen lässt, schärft das „harmonische Formgefühl fern jeder stilistischen Verrücktheit“ (auto, motor und sport 1964 über den Alfa Romeo Sprint GT). Und die Landschaft erzieht einen Schöpfer zu mönchartiger Bescheidenheit: „Ich habe nicht den Eindruck, etwas Weltbewegendes für die Menschheit geleistet zu haben“, bemerkt Giorgio Giugiaro heute rückblickend.

Zu dieser Zurückhaltung des Meisterdesigners passt die Junior-Ausgabe des vor 50 Jahren vorgestellten Sprint GT. Unser Alfa Romeo GT 1300 Junior von 1972 steht in Camagna Monferrato nordwestlich von Alessandria. Er ist außen in der vornehmen Farbe Grigio Medio Metallissato lackiert und innen mit tabakbrauner Lederausstattung auf dem Niveau des Spitzenmodells GTV. Noch dazu hat der Klassiker nur rund 23.500 Kilometer auf der Uhr: Ein schöneres Auto in dieser besonderes harmonischen späten „Bertone“-Form lässt sich kaum finden.

Exakte Lenkung, edles Interieur

Bei der Fahrt über die kurvigen Bergsträßchen, die sich immer wieder durch verlassen wirkende Dörfer winden, bietet das klassische Edelinterieur des Alfa Romeo GT 1300 Junior mit dem breiten Lenkradkranz aus Edelholz und passendem Instrumentenbrettfurnier den edlen Kontrast zur kargen und tristen Außenwelt unter wolkenverhangenem Himmelgrau.

Die leichtgängige und genaue Lenkung, der kompakte Radstand von 2,35 Meter, das leicht zu schaltende Getriebe sowie der durchzugsstarke 1,3-Liter-Vierzylinder, der die Kubikzentimeter der größeren Motoren des Alfa Romeo GT 1300 Junior kaum vermissen lässt, wandeln den Schwermut einer Erinnerungsfahrt zu einer unbeschwerten Tour in die Auto-Traumwelt, federleicht und schnörkellos wie der Geschmack des Grignolino-Rotweins, der hier im Monferrat-Gebiet angebaut wird.

Der Alfa Romeo 1300 GT Junior, der sein Gesicht mit nur zwei Hauptscheinwerfern neugierig um jede Ecke schiebt, begeistert heute noch so wie der Ur-Bertone 1964 den Testredakteur von auto, motor und sport: „Das GT-Coupé ist mit jenem sechsten Sinn für die Reize des Fahrens gebaut, den man nur bei wenigen Automobilfabriken findet.“

Spartanischer Anfang

Dabei bot der „Bertone“ mehr Komfort als die ebenfalls mit einer hinteren Starrachse ausgerüsteten englischen Sportwagen MG B und Triumph TR 4, die seinerzeit mit dem Alfa konkurrierten. Doch im Vergleich zu den späteren Sprösslingen der Sprint-GT-Familie sind die ersten Modelle viel spartanischer ausgestattet.

Die Sitze sind nur mit Kunstleder und Stoff bezogen, das Dreispeichen-Lenkrad besitzt einen schlichten Bakelitkranz, die Bedienung von Gas, Fußbremse und Kupplung erfolgt noch über stehende Pedale. Dazu wird die Kupplung mechanisch betätigt, und es gibt nur ein Einkreisbremssystem.

Doch an einem kann man alle „Bertones“ auch nach 50 Jahren noch erkennen – an ihrem hinreißenden Charakter.

Giorgio Giugiaro – der Designer des Alfa Bertone

Giorgio Giugiaro zeichnete die „Bertone“-Linie Als Giugiaro im Alter von 21 Jahren zu Bertone kam, war er noch ein unbekannter Nachwuchsgestalter. Als erstes Projekt für Bertone schuf er die Form für den Alfa Romeo 2000 Sprint Coupé (Typ 102.05), die er später für den Giulia Sprint GT perfektioniert. Giugiaro ist besessen von Autos: Um die Technik besser zu verstehen, schraubte er alte Autos auseinander – ein wichtiger Schritt zum Autodesigner des Jahrhunderts. www.bertone.it