Audi 100 CS (Typ 44) mit über 300.000 km

Viel Auto für 500 Euro

Audi 100 CS, Typ 44 - groß, billig, vollverzinkt. Nie wieder Rost für nur 500 Euro. Aber ein karger Vierzylinder mit weit über 300 000 km auf der Uhr. Der Design-Meilenstein der Achtziger kriegt trotzdem seine Chance.

Audi 100 CS, Typ 44, Seitenansicht Foto: Karl-Heinz Augustin 20 Bilder

Die Anhängerkupplung muss weg, das ist mein erster Gedanke. Ihre Wirkung ist verheerend. Sie stört das Gesamtkunstwerk. Eine aerodynamisch ausgefeilte Karosserie, eine Skulptur, die der Wind sich selbst geschaffen hat – und dann so ein furchtbarer rostiger Haken dran. Nur 590 Euro soll der Audi 100 kosten, den ich gerade prüfend umrunde. 990 waren es anfangs. Vielleicht ist der schmalbrüstige Vierzylinder Kassengift, oder die astronomischen 308.000 Kilometer schrecken die baltische Kundschaft ab. Sie kauft am liebsten alte Audi, aber schon lange keine mehr, die 28 sind.

Unzerstörbarer Motor

Ich entdeckte die Badewanne, wie die dritte Audi-100-Generation heute liebevoll-ironisch genannt wird, beim Automarkt IN in der Audi-Metropole Ingolstadt. "Kaufe jedes Auto", verspricht ein großes Plakat über der umzäunten Einfahrt. Natürlich steht der alte 100er-Audi ganz hinten in der letzten Reihe. Der silberne Lack glänzt in der Sonne, die marineblauen Polster sehen durch die grün getönten Scheiben sehr farbsatt aus.

Ich frage nach dem Schlüssel, um mir den Audi 100 näher anzusehen. Automarkt-Mitarbeiter Jens Hennig kann den Wagen nur empfehlen: "Erste Hand, kein Rost, innen wie außen sehr gepflegt - für das Geld ein echtes Schnäppchen." Rasch ist die tote Batterie überbrückt, spontan, aber unwillig nimmt der brummige, unzerstörbare Tassenstößelmotor seine Arbeit auf. Erst der Choke, den ich bei einem 86er-Modell nie erwartet hätte, verhilft ihm zu passablem Rundlauf.

Makellose Polster in Marine-Blau

Während die Hydrostößel in der Warmlaufphase noch leise tackern, sitze ich hinter dem großen blankgewetzten Lenkrad und lasse das Auto auf mich wirken. Die Polster sind fast makellos, die Kunststofflandschaft der Instrumententafel ohne Risse. So ein Audi 100 ist nicht gerade mein Traumauto, aber dieser hier kommt für das Geld erstaunlich gut. Also ist der Deal keine Frage mehr. Zehn Fünfziger wechseln den Besitzer, die 90 Euro sind für eine neue Batterie. Glücklich fahre ich vom Hof, der Kies knirscht unter den gut profillierten Reifen, vier Original-Alu-Räder liegen im Kofferraum.

Man merkt an den vielen Details, dass der Erstbesitzer des Audi 100 ein penibler Oberstudienrat war, mit Fächerkombination Mathematik und Physik, wie ich später erfahre. Der Aschenbecher ist jungfräulich, die Bordmappe komplett, das Wartungsheft bis 290.000 km lückenlos geführt. Viele Reparatur-Rechnungen liegen im Handschuhfach. Ich gönne mir einen kleinen Mittagsimbiss mit Blick auf den Wagen. Die unverwechselbare Form aus dem Pantone-Stift des damaligen Audi-Chefdesigners Hartmut Warkuß gefällt mir trotz der langen Überhänge und der stark gerundeten Flanken. Sie ist allemal harmonischer als die des anderen Aerodynamik- Extremisten Ford Sierra.

Fürstliches Raumgefühl im Audi 100

Mit meinem neuen Audi 100 würde ich sofort voll besetzt im Morgengrauen nach Paris fahren. Das Raumgefühl ist fürstlich, man möchte am liebsten hinten sitzen, auch weil der Fahrspaß mit dem komfortablen Fronttriebler eher limitiert ist. Das liegt gar nicht mal am langhubigen, elastischen Motor, der mit dem nur 1.100 Kilo schweren Leichtbau-Auto erstaunlich wenig Mühe hat. Es ist die fehlende Lenkhilfe, die entspanntes Cruisen anfangs vereitelt, weil man eckig fährt und sich an die geringen Rückstellkräfte der indirekten Lenkung gewöhnen muss.

Nur eine kleine Luke zur Freiheit öffnet das Kurbeldach des Audi 100, aber besser als nichts. Immerhin gibt es getöntes Glas, Zentralverriegelung und Nebelscheinwerfer. Sogar ein Sonnenschutzrollo auf der Hutablage hat sich der Oberstudienrat gegönnt. Macht einen Neupreis von 32.380,07 Mark inklusive Radio "gamma", das leider einem Blaupunkt Düsseldorf weichen musste.

Der 5. Zylinder fehlt - vor allem akustisch

Ich bin raus aus der Stadt, fahre im Audi 100 über einsame Landstraßen bei schönstem Frühlingswetter Richtung Augsburg, manchmal spüre ich den Phantomschmerz des fünften Zylinders. Im Geiste höre ich beim Beschleunigen seinen bezaubernden Klang wie eine akustische Fata Morgana. Der Motor mit der ungeraden Zahl trommelt so schön, und seine Stakkato-Akustik erinnert nicht selten an einen V8. Doch die 88 PS des braven Vierzylinders reichen aus, um zügig mitzuhalten. Es hätte noch schlimmer kommen können, wäre der 75-PSBasismotor vorne an Bord.

Der Audi 100 hat dank des 80-Liter-Tanks eine enorme Reichweite, 1.000 km sind bei moderatem Tempo locker drin, also von Ingolstadt bis nach Budapest. Als Reisewagen macht er sich gut, sein Federungskomfort überzeugt. Während ich so lenke und denke, wird mir bewusst, was für ein Segen die vollverzinkte Karosserie doch ist. Keine angebissenen Radläufe, keine perforierten Kotflügel, keine Wagenheberaufnahmen, die aussehen wie Blätterteig.

Da fallen mir meine 124er-Mercedes ein, die zwar einen satten Türenklang bieten und vor allem innen wertvoller verarbeitet sind, aber mit denen jede TÜV-Prüfung eine Zitterpartie bedeutet. Der 28 Jahre alte Audi zeigt dagegen nur ein paar modelltypische Schwächen. Die Kunststoffzierleisten an den Seitenfenstern lösen sich, und der Dachhimmel krümelt von hinten weg.

Effizientes Langzeitauto

Manchmal bleibt das Zählwerk im Tacho für eine Weile stehen, die 308.000 könnten auch 380.000 sein, aber das kümmert mich nicht. Die Technik des Audi 100 ist bei bester Gesundheit, die Karosserie auch. Mein Audi ist ein nachhaltiges Langzeitauto, dessen Lebensuhr noch lange nicht abläuft. Er ist so effizient und ökologisch wie der viel bewunderte A2, nur nicht so cool im Auftritt.

Oder doch? Als ich durch Aichach fahre, lächelt eine junge Frau und reckt den Daumen hoch. Eine erstaunliche Geste, die für einen billigen, aber seltenen Gebrauchtwagen fast einer Liebeserklärung gleichkommt. Oder wirkt er doch schon alt und besonders, der scheinbar so zeitlose Audi 100 mit der strömungsgünstigen Badewannenform?