Birkin-Bentley Single-Seater im Fahrbericht

British Masterpiece

Bei der Goodwood Auktion am 29. Juni 2012 kam der erste Birkin-Bentley Single-Seater unter den Hammer. Motor Klassik fuhr das für knapp 6,26 Millionen Euro versteigerte Prachtstück Probe.

Birkin-Bentley Single-Seater, Seitenansicht Foto: Simon Clay 34 Bilder

James Knight mustert mich mit skeptischem Blick. Der Auktionator und Leiter der Automobilabteilung von Bonhams muss aufpassen, dass ich so pfleglich wie möglich mit dem Millionen-Mobil umgehe, das in Goodwood versteigert wird. Doch seine reservierte Begrüßung hat keinen monetären Hintergrund. Ich ahne seine Gedanken, als ich versuche, meine Beine am Lenkrad mit dem Durchmesser eines Mega-Pizzatellers vorbei in Richtung Pedale des Birkin-Bentley zu lotsen: „Wie beim Namen der Queen will dieser Typ auf den Fahrersitz kommen und dann auch noch mit dem Auto fahren?“ Knight ist also nur besorgt um mich, überdies ein stets freundlicher Mann, der seine Bedenken nur mit englisch gefärbter Vorsicht indirekt äußert: „Birkin muss wesentlich kleiner gewesen sein als Sie.“

Einstieg mit Hindernissen

Das Einstiegs-Erlebnis in die einmalige Gelegenheit, den einsitzigen Blower von Bentley Boy Tim Birkin in Goodwood zu fahren, beginnt also mit einer ungelenken Turnübung. Die Wolken mit dem tristen Teint von verbrauchter Polierwatte über uns heben auch nicht die Stimmung. James Knight will mich motivieren: „Birkin muss wirklich sehr viel kleiner gewesen sein.“ Ist egal - ich sitze. Erster Eindruck: Geht doch, aber „Ergonomie“ muss für Birkin der Begriff aus einem Sciencefiction-Roman gewesen sein.

Der Rennsitz des Birkin-Bentley ist einfach auf dem flachen Unterboden angeschraubt, die Sitzfläche besteht aus blanken Alu-Platten. Erstmal den Motor starten, dann läuft schon alles: Der Vierzylinder nimmt mit vertrautem, gelassenem Bass seine Arbeit auf. „Denken Sie daran, dass das Bremspedal rechts sitzt - und der runde Knopf in der Mitte ist das Gaspedal“, ruft Knight ins Auto.

Er betont das so, als wollte er fragen: „Möchten Sie den Bentley wirklich selbst fahren?“ Yes, Sir, das will ich unbedingt. Über die außenliegende Schaltung lege ich den ersten Gang ein, verdrehe mein rechtes Bein unter dem Lenkradkranz, um die Kupplung kommen zu lassen, und die frei stehenden Räder beginnen sich zu drehen.

Auf den Spuren eines Pioniers

Ich folge der Spur von Tim Birkin, der sich 1930 den Traum eines einsitzigen Blower-Bentleys erfüllte, um in den Steilkurven von Brooklands auf Rekordjagd zu gehen. Über 220 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit hat der Rennfahrer im Schnitt auf der 4,4 Kilometer langen äußeren Strecke der Rennanlage erreicht. Es gibt ein Foto, auf dem das Auto mit der Stromlinienkarosserie mit allen vier Rädern in der Luft ist.

Neben meiner linken Schulter prangt ein Messingschild, auf dem Birkins Heldentaten mit diesem Auto aufgeführt sind. Ich will noch nicht mal so tun, als würde ich mich in die Nähe solcher Geschwindigkeiten wagen. Schon die enge und kurze Bergrennstrecke von Goodwood setzt dem Bentley natürliche Grenzen: Im dritten Gang bei 3.000 Umdrehungen ist Schluss.

Der Bentley liebt lange, schnelle Geraden

Aber die schmale Asphaltpiste gehört allein mir, ich darf zumindest mal am Birkin-Champagner nippen. Schnell macht mir der lange, rote Bentley klar, dass er am liebsten geradeaus fährt. Zu langsam darf das Tempo aber dabei nicht werden, sonst steigt die Temperatur des Kühlwassers rasch in den gefährlichen Bereich.

Trotz machtvoll klingender 240 PS, die der Kompressormotor im Idealfall bei 4.200 Umdrehungen auf die Hinterräder stemmt, lässt sich das Auto weich und mit Genuss fahren. Der Fahrspaß ist auf einer verkehrsarmen Landstraße mit dem Birkin-Bentley genauso groß wie auf einer Rennstrecke.

Blower-Kleinserie für Enthusiasten

Tim Birkin, der aus einer reichen Familie stammt, hat Automobilgeschichte geschrieben. Zum Leidwesen von Firmengründer Walter Owen Bentley begeistert sich Birkin so sehr für per Kompressor aufgeladene Motoren, dass er eine eigene Firma gründet und eine Kleinserie von 50 Blowern plant. Diese Zahl wird er allerdings nie erreichen, es sollen bis Juli 1931 nur etwa 40 Chassis verkauft worden sein.

„Den Kompressor für Bentley-Motoren habe ich immer als von der Natur verfehlt gehalten“, sagte Bentley kopfschüttelnd. Doch Birkin ist nicht abzuhalten, setzt all sein Geld auf die Blower-Bentleys. Statt der 130 PS des Saugmotors leistet der Blower in der Serienversion bis zu 182 britische Pferde. Als Birkins Finanzen erschöpft sind, sucht er sich vermögende Unterstützer wie Dorothy Paget, die Tochter eines Adeligen mit guten Beziehungen zur amerikanischen Bankenszene.

Premiere des Blower-Bentley im Jahr 1929

Der erste Blower-Bentley aus Birkins Manufaktur rollt 1929 als viersitziger Tourer aus der Halle in Welwyn Garden, 35 Kilometer von Londons Stadtzentrum entfernt. Das Premierenstück wird schon kurze Zeit später zunächst in einen Renn-Roadster und dann in den Monoposto umgebaut.

Für die Stromlinienform mit der gerundeten Kühlerverkleidung und dem lang auslaufenden Heck beauftragt er Reid Railton, einen englischen Spezialist für vor allem in Brooklands gefragte Aufbauten. Karosserie und Innenraum des Birkin-Bentley sind nur darauf ausgerichtet, die Antriebsleistung in Geschwindigkeit umzumünzen.

„Bei aller Unbequemlichkeit ist es das begeisterndste Auto, um damit sowohl auf der Straße als auch auf der Rennstrecke zu fahren“, schwärmte Vorbesitzer Dr. George Daniels, der sich zu Lebzeiten nie von diesem berühmtesten Bentley Special getrennt hätte. Über 30 Jahre befand sich der rote Einsitzer in seiner Sammlung. Nach seinem Tod im Oktober vergangenen Jahres wurde der Birkin Bentley nun in Goodwood versteigert.

Treuer Besitzer des ersten Birkin-Bentley

Doch nicht allein der Fahrspaß machte für Birkin-Fan Daniels die Faszination des Einzelstücks aus: Die Geschichte des Autos mit der Chassisnummer HB 3402 ist eng mit dem Schicksal des Rennfahrers und Firmenchefs verknüpft. „Blower Number 1“ war nicht nur der erste Kompressor-Bentley, den Birkins Firma baute, sondern es war zugleich der letzte, mit dem er Rennen bestritt.

Im Mai 1931 hatte seine Gönnerin Dorothy Paget alle Blower-Bentley verkauft und die Unterstützung von Birkins hochfliegenden Plänen eingestellt - nur Nummer 1 behielt sie und meldete das Auto mit Birkin als Fahrer bei Rennen in Brooklands. So konnte der ehrgeizige Brite versuchen, seinen Rekord zurückzuerobern, den er im März 1930 mit dem Auto aufgestellt, aber schon drei Monate später wieder verloren hatte.

Sieg mit neuem altem Kompressor

Um aus dem Bentley 4 1/2 litre mehr Leistung herauszuquetschen, baute er statt des ursprünglichen Amherst Villiers-Kompressors einen Verdichter von Powerplus ein. Doch Birkin sah keine Verbesserung und rüstete für die Saison 1932 wieder zurück. Als er am 24. März in Brooklands erschien, war die Stromlinienkarosserie vom feinen Blau auf ein aggressives Rot umlackiert - als äußeres Zeichen für seinen Angriffswillen. Birkin hatte Erfolg: Mit einem Schnitt von 222,025 Kilometern pro Stunde absolvierte er die schnellste Runde - ein neuer Rekord.

Im Sommer kann Tim Birkin den Rekord sogar noch einmal bestätigen - bei seinem letzten Rennen in Brooklands und dem letzten Einsatz seines Monoposto, der bis 1939 im Besitz von Dorothy Paget bleibt. Birkin stirbt im Juni 1933 an einer Blutvergiftung oder den Folgen einer Malariainfektion. Auch sein ehemaliger Bentley-Teamkollege Dr. Benjafield, der als Arzt in London praktiziert, kann ihm nicht helfen.

Tim Birkins Siegerauto unter dem Hammer

Birkins Blower Single-Seater aber überlebte und ist bis heute Zeuge für den Mut und den Tatendrang seines Erbauers. In den 60er Jahren restauriert, weist sein Lebenslauf nur wenige Besitzerstationen auf. Alle Eigner blieben dem Auto mit dem Kennzeichen „UU 5871“ und der unverwechselbaren Karosserie sehr lange treu. Jetzt ist der Bentley Special auf dem Weg zu einem neuen Liebhaber. Ich habe den Monoposto wohlbehalten wieder im Fahrerlager geparkt. James Knight lässt den Star seiner Goodwood Auktion sogleich sicher im Transport-Lkw verstauen - der Bonhams-Mitarbeiter wirkt sehr entspannt. Anscheinend ahnte er im Voraus, dass der Birkin-Bentley die Erwartungen voll erfüllen und für knapp 6,26 Millionen Euro den Besitzer wechseln würde.

Sir Henry „Tim“ Birkin

Er war vielleicht der beste englische Rennfahrer seiner Generation. Durch seine verwegene Fahrweise und seine Erscheinung mit dem wehenden gepunkteten Schal war Birkin ein Idol der Jugend. Nach seiner Scheidung 1928 wandte er sich wieder dem Rennsport zu: Als einer der Bentley Boys gewann er 1929 das 24-Stunden-Rennen gemeinsam mit dem diamantreichen Woolf Barnato. Firmenchef Walter Owen Bentley sprach voller Respekt und zugleich Furcht von ihm: „Er war ein großartiger Fahrer, absolut frei von Angst und eisern entschieden. Aber seine Schwäche war die Neigung, auf Schau zu fahren sowie seine völlige Unbarmherzigkeit im Umgang mit den Wagen.“ Dennoch: 1931 gewann Birkin ein zweites Mal Le Mans auf Alfa Romeo. Nach einer Erkrankung starb Tim Birkin im Alter von 36 Jahren.

Die Rennstrecke von Brooklands

Gleich am Eröffnungstag der Rennstrecke am 17. Juni 1907 raste ein Darracq mit 130 Kilometern pro Stunde über die Betonpiste. Im Betrieb blieb sie nur bis 1939. Die schnellste je gezeitete Runde auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke Outer Circuit hält John Cobb im Napier-Railton (24 Liter Hubraum, 500 PS) mit einem Schnitt von 230,8 km/h. Heute befindet sich auf dem Gelände nahe des Städtchens Weybridge ein Museum zur Geschichte der Rennstrecke und die Mercedes-Benz-Welt des britischen Importeurs der Marke.