Bolwell Nagari

Supersportler aus Down Under

Der Bolwell Nagari ist in Europa nahezu unbekannt, in Australien ist der Sportwagen dagegen fast ein Nationalheiligtum: Down Under entstand Ende der 60er Jahre mit dem Bolwell Nagari ein ernst zu nehmender Sportwagen mit monströsen V8-Motoren. 

Foto: Hans Neubert, Werk 16 Bilder

"Let’s have some Bolwell Moments", meint Steve in seiner entspannten, australischen Art. Und reicht den unscheinbaren, kleinen Zündschlüssel herüber, als sei er nur ein Kinderbonbon. Der rote Bolwell Nagari des Unternehmers aus Adelaide steht geduckt und angriffslustig am Straßenrand. Doch bevor in wenigen Augenblicken 290 PS auf 925 kg losgelassen werden, gilt es, sich durch den engen Türspalt in den noch engeren Innenraum einzufädeln. Und gleich darauf Platz für die Füße zu finden – leider genau dort, wo sich schon drei winzige Pedale um jeden Millimeter zanken. Ist die Tür erst zu, kann sich auch der Rest des Körpers nicht mehr bewegen. Es drückt und zwickt an allen Ecken.

Extrem: 5,7-Liter-V8 mit 290 PS in der 925 Kilo-Flunder

Hat der Bolwell Nagari Schuld am Platzmangel? Oder der Fahrer, nach all den australischen Barbecues? Egal. Für eine Diät ist es jetzt zu spät. Das helle Sirren des Anlassers ist das letzte irdische Geräusch in den Ohren, dann bricht das Inferno los: Beben. Donnern. Brüllen. 5.751 Kubikzentimeter in acht, offenbar nur ungefähr gleich großen Zylindern entfachen eine Urgewalt, wie sie sonst höchstens Vulkanausbrüche oder tektonische Plattenverschiebungen zustande bringen.

Das ungehobelte Schütteln des Triebwerks scheint den kleinen Bolwell Nagari schon im Leerlauf an seine Belastungsgrenzen zu bringen. Blubbert etwa Lava unter der Motorhaube? Lieber gar nicht erst nachsehen. Widerwillig rastet der erste Gang ein, die servofreie Lenkung stemmt sich im Stand gegen nahezu jeden Bewegungsversuch. Also los. Und spätestens jetzt versagen all die niedlichen Metaphern, die man sich vorher für ein Erlebnis dieser Art zurechtlegen könnte. Nein, das hier ist kein Känguruh nach einem Elektroschock und auch kein australischer Riff hai im Blutrausch.

Bolwell’s Geschichte

Das hier ist einfach ein brutal losrotzender Ford 351 Cleveland V8, der mit der 1,11 Meter niedrigen und vier Meter kurzen Glasfiberkarosse macht, was er will. Der Bolwell Nagari schießt davon wie ein Kampfjet auf dem Katapult eines Flugzeugträgers, nagelt das Hirn des Fahrers unerbittlich an die viel zu kurze Kopfstütze und sorgt nur deshalb nicht für den bei Jetpiloten gefürchteten Tunnelblick, weil Sekundenbruchteile später, bei 5.000/min, schon der nächste Gang eingelegt werden will. Das ist nicht einfach: Die im Schalten ungeübte linke Hand rührt im widerspenstigen Ford Toploader-Getriebe herum. Steve auf dem Beifahrersitz grinst wissend. Endlich, der Zweite ist drin. Die infernalische Beschleunigungsorgie wiederholt sich, kein bisschen behäbiger. Der V8 bohrt sich tief in die Ohren, gleich unter dem Hintern beginnt der Asphalt, direkt über dem Kopf schützt nur eine dünne Schicht Glasfiber vor der brennenden, australischen Sonne.

Die Straße endet am Horizont, der Bolwell Nagari saugt sie so gierig auf wie den Sprit aus dem Tank. Nach etwas mehr als 5 Sekunden wischt der kleine rote Zeiger des Tachos an der 100 vorbei. Das war’s. Noch 10 km/h mehr, und die Polizei von South Australia dürfte uns bereits 279 Dollar abknöpfen. Höchste Zeit also, durchzuatmen, in den vierten Gang zu schlüpfen und sich beim Cruisen mit Steve über die Geschichte von Bolwell zu unterhalten.

Geht es um Australien, denken Europäer an Koalas, rote Felsen oder Sonnencremes, deren hohe Schutzfaktoren fast wie Druckfehler wirken. An australische Automarken denken sie kaum. Kein Wunder, denn die sind ungefähr so zahlreich wie arktische Badehosenhersteller. Zugegeben, da gibt es den Kleinserienhersteller Elfin. Und Holden, eine GM-Marke, die sich in der Vergangenheit oft damit begnügte, dicke V8- Motoren in biedere Opelkarossen zu verpfl anzen. Schade, denn in automobiler Hinsicht zeigten sich auf der Unterseite unseres Planeten einst viel versprechende Ansätze.

Brüder Bolwell am Werk

Die Brüder Bolwell begannen Ende der Fünfziger in Melbourne mit dem Bau selbst konstruierter Rennwagen. Den Erstlingswerken folgten schnell erst zu nehmende Konstruktionen wie der Mk 4, ein Kitcar für ganze 169 australische Dollar. Einen Motor musste man allerdings selbst mitbringen. Der Durchbruch gelang 1966 mit dem Bolwell Mk 7, der auf Holden-Komponenten basierte. Mehr als 400 wurden verkauft, doch bald kamen Rufe nach mehr Leistung auf. Campbell Bolwell und sein Bruder Graeme, frisch zurück von einem Lehrjahr bei Lotus, schufen daraufhin den Nagari.

Die Basis: Ford-Technik und ein Stahlchassis in Y-Form. Dessen breite Frontgabelung wurde zunächst mit dem Ford 302 Windsor V8 bestückt, spätere Exemplare wie der hier gezeigte Wagen auch mit dem Ford 351 Cleveland. Über das Chassis stülpte man eine leichte Karosserie aus Glasfaser und verband die beiden Teile mit zehn massiven Bolzen. Hinzu kamen Details wie die Rücklichter vom Aston Martin DBS. Bis 1974 bauten zwölf Mitarbeiter rund 127 Bolwell Nagari, etwa 13 davon als Cabrios.

Ob diese Zahlen exakt sind, kann heute jedoch selbst Campbell Bolwell nicht bestätigen. Ob Coupé oder Cabrio, der Nagari hatte ein Leistungsgewicht, das nicht nur den meisten zeitgenössischen Sportwagen überlegen war. Sondern auch seinem eigenen Fahrwerk: Die Vorderachse mit ihrer Lenkung vom Austin 1800 CC war stoßanfällig und sorgt noch heute für ständige Ausbrüche, unter anderem auch von Schweiß. Nicht minder heikel war die Hinterachse mit ihren diagonalen Schubstreben. "A pain in the neck to drive", beschreibt John Low, Präsident des Bolwell Car Clubs South Australia, den Ritt im Bolwell Nagari.

Trotzdem ließ sich aus dem Wagen einiges herausholen: Der Bolwell Nagari gewann 1973 die Australian Sportscar Championship, mit sieben Siegen in neun Rennen sowie einem zweiten und einem dritten Platz. Die Konkurrenz ließ daraufhin sofort das Reglement ändern. Sportlich war übrigens auch der Listenpreis: Für die 6.200 Australischen Dollar war 1971 auch ein Porsche 911 drin. Doch wirklich im Weg standen dem Erfolg des Nagari bald andere Dinge: Drastisch verschärfte Zulassungsgesetze führten 1975 zum Konkurs.

Glasfaser-Künstler aus Australien bringen Nachfolger

Campbell Bolwell nutzte sein Wissen in der Verarbeitung von Glasfaser und wandte sich dem Bau von Booten, Lkw-Fahrerhäusern und Kinder-Flugsimulatoren zu. Bruder Graeme stieg vorübergehend ganz aus. Die Autoträume wurden begraben - vom eigenwillig gestylten Ikara Ende der 70er einmal abgesehen. Doch rund 40 Jahre nach dem Nagari arbeiten die Bolwell-Brüder wieder an einem neuen Sportwagen. Der New Nagari wurde 2008 auf der Melbourne Motor Show und der Sydney International Motor Show präsentiert und wird von einem aufgeladenen Toyota-V6 angetrieben - die Karosserie besteht natürlich wieder aus GFK.

Fahrgestellnummer 13 wurde ausgelassen

Zurück zum Ur-Nagari, dem unumstrittenen Herrscher auf den gewundenen Landstraßen durch das malerische Barossa Valley. Steve gerät langsam ins Schwitzen. Vielleicht, weil er ahnt, dass man das Steuer dieses Wagens nicht leichtfertig aus der Hand geben sollte. Vor allem aber, weil der Motor und die australische Sonne die Fahrgastzelle gnadenlos aufheizen. Klimaanlage? "No, mate. I'm sorry." Gefühlte 50 Grad herrschen in jenem Fußraum, der keiner ist. Und übertrumpfen mit Leichtigkeit die 30 Grad Driftwinkel, die sich in überschaubaren Kurven trotz griffiger, handgeschnitzter Rennreifen und trotz Steves Stirnrunzeln erreichen lassen. Mit jedem explosionsartigen Zwischensprint, mit jedem kurzen, seitlichen Versetzen und jeder kleinen Korrektur an der direkt übersetzten Lenkung wird es noch verständlicher, dass Campbell Bolwell einst die Fahrgestellnummer 13 ausfallen ließ. Dieser clevere Vorstoß in Sachen passive Sicherheit war jedoch nicht so erfolgreich wie erhofft - Unfälle gab's reichlich. Der Wagen war eben stärker als die Fahrkünste vieler Besitzer.

Dennoch: Wäre es hier drin nicht viel zu eng für einen Hut, man müsste ihn am Ende dieser Fahrt ehrfürchtig ziehen. Der Bolwell Nagari entwickelt eine Faszination, der man sich kaum verschließen kann. Dort, wo Menschen kopfüber herumlaufen, ohne von der Erde zu fallen, gibt es eben auch automobile Wunder.