Cadillac Sixty Special Fleetwood

Caddy on the rocks

Der Cadillac Sixty Special Fleetwood bietet kühle Farben, verschwenderisches Design, hochwertiges Material und solide Technik. Und: Dieser Cadillac will mehr sein als ein Auto. 

Cadillac Sixty Special Fleetwood
Foto: Hardy Mutschler 23 Bilder

Schwarz, Pink oder ein helles Beige? Welche Farbe steht einer Cadillac- Limousine aus den späten 50er Jahren am besten? Schwarz fällt aus, weil damit ein großer Heckflossen-Ami mit Doppelscheinwerfern sofort wie ein Gangster-Auto aussieht oder – fast das Gleiche – wie ein Zil, in dem einst hohe UdSSR-Funktionäre durch Moskau rollten. Aber ein Cadillac ist im Grunde seiner tief untenliegenden Nockenwelle eigentlich ein netter, ehrlicher und dabei heller Bursche. Pink geht auch nicht, weil inzwischen die Augen weh tun, wenn uns ein Eldorado oder Fleetwood in Schweinchen-Rosa begegnen, die auf ihre alten Tage Brautpaare zum Altar transportieren oder für Wasserbetten Reklame fahren.

Pink geht nur bei Elvis’ Mutter

Es gab nie einen originalen Pink Cadillac aus Detroit. Der rosafarbene 55er Fleetwood, den Elvis seiner Mutter Gladys schenkte, war grau und wurde extra umlackiert. Auch Clint Eastwoods Pink Cadillac im gleichnamigen Kinofilm von 1989 - ein 59er Series 62 Convertible – , trat in Zweit- oder gar Dritt-Lackierung vor die Kamera. Richtig zur Geltung kommt ein 58er Sixty Special im hellen, originalen Beige, dazu ein frisches, kühles Türkis für Dach und Interieur. So wirkt der immerhin 5,7 Meter lange und gut zwei Meter breite Hardtop Sedan leicht und luftig wie ein Schaumgebäck oder eine Wolke am herbstlichen Abendhimmel. Der grosszügig verteilte Chromschmuck verschmilzt wie ein dezentes Make-up mit der Karosserie. Das lang gezogene Heck, die hoch aufragenden Leitwerke und das Fehlen von Dachpfosten lassen das viertürige Luftschloss beinahe zerbrechlich wirken.

Unter dem heiter bis wolkig gestalteten Blechkleid steckt jedoch ein harter Hightech- Kern, für den Cadillac damals noch höher im Kurs stand als für die extravagante Karosserie, die sich von anderen US Limousinen des gleichen Jahrgangs gar nicht einmal so sehr abhob. Der Buick 75 Roadmaster sah dem Sixty Special ziemlich ähnlich. Nur die dezenteren Heckflossen, der Kühlergrill mit Stoßstangen und vor allem die Flanken mit anders verlaufenden Zier-Lichtkanten machten den Unterschied. Und natürlich die Technik, sodass Cadillac in einer Zeitschriftenanzeige von 1958 stolz behaupten konnte: „The decision that needs no explanation.“ Wer sich für einen Sixty Special entschieden hatte, der bekam zunächst einmal vom V8-Spezialisten schlechthin – Cadillac baute 1914 den ersten US-V8-Motor – eine besonders kräftige Sechsliter-Maschine mit hydraulischen Ventilstößeln, hoher Verdichtung, Vierfach-Vergaser und 310 SAEPS bei 4800/min. Buick-Fahrer mussten mit 60 SAE-PS weniger leben.

Die 1957 eingeführte, später bei Pininfarina in Italien montierte Topbaureihe Eldorado Brougham brachte es dank drei Doppelvergasern sogar auf 355 SAE-PS. Seit 1957 besaßen zudem alle Cadillac einen stabilen, 186 Kilogramm leichten, X-förmigen Rohrrahmen und auf Wunsch Luftfederung. Auch unser im Originallack belassener Sixty Special fährt wie eine Wolke auf Luft und glänzt darüber hinaus mit folgender, noch voll funktionsfähiger Komfortausstattung: Röhrenradio mit Stationstasten und elektrisch ausfahrbarer Antenne, vier elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung, elektrisch verstellbare vordere Sitzbank, automatische Heizung und Klimaanlage, Nebellampen, das Autotronic Eye zum automatischen Abblenden bei Gegenverkehr und einen von innen zu öffnenden Kofferraumdeckel. Doch nicht nur die Bordelektrik scheint für die Ewigkeit gebaut, sondern auch die auf dem Rohrrahmen ruhende Karosserie und besonders der legendäre Grill.

Feeling wie in einer 50-Jahre Eisdiele

Die Schnittpunkte der Längs- und Querleisten aus Alu werden von 144 projektilförmigen Metallbolzen („clothes pins“ – Wäscheklammern) fixiert, von denen Cadillac pro Tag mehr als 50 000 Stück montierte. Auch mit Wäscheklammern an der Wagenfront ist die Fahrt in einem 58er Sixty Special Fleetwood Four Door Hardtop Sedan ein ganz spezielles, unvergleichliches Erlebnis. Doch zuerst bewundern wir die rundum perfekt erhaltenen Spaltmaße – auch an den beiden schwungvoll geformten Fondtüren, die mangels B-Säule jeweils ihren eigenen Pfosten haben und dennoch satt und ohne Aufsetzer ins Schloss fallen. Dann öffnen wir die vordere Tür, rutschen unter der nach hinten gebogenen Panoramascheibe hindurch auf das breite Frontsofa.

Tür zu, und wir sitzen nicht in einem Auto, sondern in einer hübschen Eisdiele von 1958, wo wir eigentlich nicht fahren, sondern lieber einen Banansplit verzehren möchten – so kühl, so glänzend, so frisch, so herrlich wenig nach einem Auto wirkt das hellgrüne Cadillac-Interieur. Gar keine Frage, der Sixty Special versucht auch innen zu verschleiern, dass er eigentlich ein Auto ist – zumindest im direkten Vergleich mit Luxuswagen von heute, in denen unzählige Rundinstrumente, Schalter und Displays dominieren. Nicht im Caddy, wo uns gerade mal ein Bandtacho, eine Temperaturanzeige sowie eine Tank- und Zeituhr begegnen. Die meisten der metallenen Schalter für die Klimatisierung und Fenster sind mit Ausnahme der Radio-Drehknöpfe recht klein gehalten.

2,2 Tonnen werden von 250 PS angeschoben

Ganz anders die beiden üppig aufgepolsterten Sofas, über die sich ein weicher, längsgesteppter Stoffhimmel spannt, als säße man in einem geschlossenen Cabrio. Weil Kopfstützen fehlen und die Lehnen des Front-Sofas nicht sehr hoch ausfallen, kann jeder Fahrgast mit jedem quatschen oder bei Bedarf sogar schmusen. Und von allen Plätzen blickt man fast pfostenlos nach draußen. Ach so, fahren wollen wir ja auch! Der Motor läuft wohl schon, zumindest hört man von hinten ein leises Brabbeln. Den Lenkradwählhebel auf D gerückt – und schon geht´s los. Selbst das zierliche Lenkrad aus Hartplastik, das Pling macht, wenn man mit dem Fingernagel dranschnippt, verleugnet geschickt, dass hier gut 250 PS rund 2,2 Tonnen in Bewegung setzen. In Kurven neigt sich der große Wagen würdevoll und leicht untersteuernd zur Seite. Damit wir nicht vom Sofa rutschen, drehen sich Lenkrad und Oberkörper gemeinsam in die gleiche Richtung. Bei Landstraßentempo 100 hören wir nur ein beruhigendes Nuscheln der tief im Bug versenkten V8-Maschine.

Die Viergang- Automatik schaltet sanft und ohne Zugkraftunterbrechung, sodass wir erstaunlich souverän und sogar flott unterwegs sind. Der Wagen beschleunigt spurtstark und bremst standhaft, schaukelt dabei etwas über die Längsachse, was wir nicht übertreiben wollen, weil sonst unser imaginärer Bananensplit vom Tresen auf den flauschigen Bodenteppich kippt. "Magnificent beyond all expectations" - "großartig über alle Erwartungen hinaus" hieß ein anderer Cadillac-Werbespruch aus jener Zeit. Genau so lässt sich 50 Jahre später die Begegnung mit einem originalen, unrestaurierten Sixty Special umreißen. Einzige Bedingung: Zuvor bitte die schwarze oder - noch besser - die rosafarbene Cliché-Brille von der Nase nehmen.