Chevrolet Camaro SS im Fahrbericht

Mustang-Rivale mit Kriegsbemalung

Der Chevrolet Camaro wird nun, nach mehr als 20 Jahren Unterbrechung, wieder offiziell von GM in Deutschland vertriebenen. Motor Klassik fuhr das Vorbild von 1969 ausgiebig zur Probe: Einen Camaro SS 396 mit 375 SAE-PS.

Chevrolet Camaro SS, Frontansicht Foto: Hardy Mutschler 16 Bilder

Muss man sich das antun? Wer gerade noch in einem modernen Auto gefahren ist und in einen Chevrolet Camaro von 1969 umsteigt, schaut mit gemischten Gefühlen durch die Windschutzscheibe auf die Motorhaube mit den zwei Reihen Ansaugluft-Öffnungen. Wären wir mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit gereist, dann können das keine 43 Jahre gewesen sein, sondern mindestens ein halbes Jahrtausend.

Außen wild, innen filigran und fragil

Zunächst ist der alte Chevrolet Camaro kein besonders großes Auto. Man sitzt also ziemlich dicht an der sich scheppernd schließenden Tür auf einem dünnen, weich gepolsterten, völlig konturlosen Sitz. Das schön geformte Dreispeichen-Lenkrad aus glänzendem Metall martert die Hände mit einem dünnen Kunststoffkranz. Aus schwarzem Kunststoff besteht auch die ausladende Oberkante des Instrumentenbretts, die als Prallfläche für die Gesichter der Insassen bei einem Unfall dienen soll. Schultergurte gab es damals nur gegen Aufpreis.

Die beiden großen Rundinstrumente stecken in quadratisch ausgeformten Höhlen und schauen schüchtern von unten herauf den Fahrer an. Das gesamte Instrumentenbrett des Chevrolet Camaro scheint sich unter der darüberliegenden Prallfläche zu verstecken und sich in Richtung des dunklen Fußraums diskret zurückzuziehen. Auf der Mittelkonsole wachen noch vier rechteckig geformte Anzeigen über das Wohl und Wehe der V8-Maschine und blicken ebenfalls aus der Tiefe des Raums den Fahrer von unten an. Die Zug- und Schieberegler für Licht und Klima wirken so zerbrechlich und fragil, dass man es kaum wagt, sie anzufassen.

Camaro mit Fischkutter-Sound

Mit dem typischen "Tschrrriiiitt" aller damaligen GM-Anlasser setzt sich der 6,5-Liter-V8 in Bewegung und explodiert zum Leben. Aus dem Doppelrohr-Auspuff des Chevrolet Camaro klingt das beruhigende "Rororororo" eines Fischkutters. Leichte Vibrationen setzen sich bis zum harten Lenkradkranz und sogar bis zur Rückenlehne des Fahrersitzes durch. Immerhin soll der 6,5-Liter-V8 satte 375 SAE-PS produzieren.

Der Mittelschalthabel mit dem weißen Schaltknauf im Format einer Billardkugel schaukelt leicht im Takt der monotonen Auspuffmelodie. Mit viel Muskeleinsatz zwingt der linke Fahrerfuß das Kupplungspedal des Chevrolet Camaro auf den Boden. Umso leichter, geradezu butterweich, flutscht der Schalthebel von Neutral in den Ersten. Die Kupplung kommt spät und energisch, was bei diesem Monstermotor und der leichten Camaro-Karosserie keine großen Probleme macht. Bereits ab 800/min fahren wir ohne Bullenreitsprünge an und wechseln bei 2.000/min geschmeidig die Gänge.

Im dritten Gang geht eigentlich alles. Gut so, denn wir konzentrieren uns jetzt auf das Lenken. Der dünne Lenkradkranz ist entschuldigt, weil der Kraftaufwand dank Servo-Unterstützung minimal ist. Doch den Chevrolet Camaro auf der Straße zu halten, benötigt etwas Übung und sogar Cowboy-Erfahrung. Schließlich ist der Camaro wie der Rivale Ford Mustang ein Pony-Car. Geradeaus sollte man die Zügel locker lassen und ohne Hast aus dem breiten Nullbereich der Lenkung heraus kleine Richtungskorrekturen machen. Das geht auch mit zwei Fingern.

Pudding-Lenkung und der Drang zum Diften

In Kurven dagegen benutzen wir wieder beide Hände und sind auf alles gefasst. Die ebenso leichtgängige wie unpräzise Lenkung lässt nur erahnen, wann die Vorderreifen das Handtuch werfen. Bei Bedarf ist auch der Einsatz der Sporen, Pardon: des Gaspedals nicht falsch, wenn nämlich die schwere Nase des Chevrolet Camaro in einer Kurve unbeirrt zum Straßenrand drängt. Hoffentlich ist dann der zweite Gang eingelegt, damit wir mindestens 200 PS an die Hinterachse liefern können. So bekommen wir die Kurvenbalance bis zum halbwegs kontrollierten Drift wieder in den Griff. Kann natürlich sein, dass uns jetzt wieder diese Pudding-Lenkung in die Quere kommt. Vom glatten Fahrersitz sind wir sowieso schon halb heruntergerutscht. Deshalb nochmal gefragt: Brauchen wir das wirklich? Muss man sich das antun?

Auf jeden Fall! Gibt es denn Schöneres als einen großen Ami-V8 wie den Chevrolet Camaro, der dank Schaltgetriebe jedes kleinste Gaspedal-Antippen in unbändigen Vortrieb umsetzt? Einen großen Ami-V8 in einer kompakten Karosserie, mit dem wir kämpfen müssen, weil die restliche Technik (aus heutiger Sicht) noch nicht fit genug war: Lenkung, Reifen, Bremsen, einfach alles? Dafür sind Helden am Lenkrad gefordert, die mit ihren fünf Sinnen und etwas Verstand dieses Manko ausgleichen.

Camaro - der ewige Ford Mustang-Rivale

Gleichzeitig tauchen wir ab in die faszinierende, naivglückliche Welt von damals, als nicht wenige dieses Auto für das Optimum hielten: Chevrolet Camaro SS 396. Immerhin 13.970 Käufer entschieden sich 1969 in den USA für das Coupé mit 6,5-Liter-V8 und mussten dafür gerademal 3.207 Dollar ausgeben. Zum Vergleich: Ein braver Familien-Kombi wie der Chevrolet Chevelle Nomad kostete mit Sechszylinder knapp 2.900 Dollar.

Von null auf 100 km/h mit Viergang-Schaltgetriebe in 6,5 Sekunden. Damit konnten mit Ausnahme des Ferrari Daytona und Lamborghini Miura alle Sportwagen aus Europa abgehängt werden. Außerdem sieht der Chevrolet Camaro total gierig aus und zeigt schon im Stehen seine unbändige Kraft.

Der 1967 vorgestellte Chevrolet Camaro und sein Schwestermodell Pontiac Firebird gelten im Allgemeinen als Antwort auf den 1965 eingeführten Ford Mustang. Doch bereits seit 1962 befasste sich das Chevrolet II Studio mit den Entwürfen für einen kompakten 2+2-Sitzer, aufgeschreckt durch den im gleichen Jahr präsentierten Mustang Show Car. GM-Designer John Schinella erinnert sich daran, dass der Serien-Mustang auch das Camaro-Design stark beeinflusst hat: "Wir liebten diese Proportionen. Lange Nase, kurzes Heck, langer Radstand, niedriges Dach und wenig Bodenfreiheit."

Der 1969er-Camaro wurde optisch auf Muskeln getrimmt

Der Hauptunterschied zum Mustang bestand in deutlicher konturierten Kotflügeln, insbesondere durch den hinteren Hüftschwung. Außerdem gab es neben dem Chevrolet Camaro Cabriolet nur eine Coupé-Variante mit flacher Heckscheibe und weich verlaufendem Stufenheck. Für 1969 erhielt der Camaro deutliche Karosserie-Modifikationen. Die bisher seit 1967 schlicht gehaltenen Fahrzeugflanken besaßen nur eine gerade Lichtkante zwischen den Radhäusern und eine an den Enden nach unten gebogene Schweller-Zierleiste, die im Corvette-Stil eine schlanke, muskulöse Taille erzeugten.

Das 69er-Modell zeichnete sich dagegen durch oben begradigte Radaussschnitte und daran anschließende, nach hinten verlaufende Lichtkanten aus, die gerne Comic-Zeichner an ihren Autos anbringen, um Speed zu simulieren. Neu waren beim Chevrolet Camaro auch die fiktiven Lufteinlässe vor den hinteren Radhäusern.

Noch immer gab es für den Chevrolet Camaro die für das RS-Paket typischen verdeckten Hauptscheinwerfer, die auf beiden Seiten jetzt durch jeweils drei übereinander liegende, rechteckige Fensterchen ("Peephole Slits") vage zu erkennen waren. Das RS-Paket beinhaltete noch einige andere rein optische Retuschen und konnte mit dem SS-Paket kombiniert werden. Dann prangte anstatt dem "RS" das "SS" auf dem (am Tag) scheinwerferlosen Frontgrill. Die Bezeichnung SS, die beim neuen Chevrolet Camaro in Deutschland übrigens nicht auftaucht, steht für Super Sport und ist traditionsgemäß mit Ausnahme der Corvette den sportlichen Topmodellen von Chevrolet vorbehalten.

Deutlich verbessertes Fahrwerk beim Camaro SS

Ein weiteres Kennzeichen des 69er Chevrolet Camaro SS sind die vorn seitlich angebrachten Zierstreifen in Form von Eishockey-Schlägern. Und so heißen sie auch: "Hockey-Sticks". Natürlich wurde im Gegensatz zum RS beim SS auch unter dem Blech einiges verändert: direktere Lenkung, verbessertes Fahrwerk, Scheibenbremsen vorn. Als Standard-Motorisierung diente der L48 Turbo-Fire V8 mit 5,7 Liter Hubraum und 300 SAE-PS. Optional waren noch vier verschiedene Varianten des 6,5-Liter-V8 erhältlich, mit 325, 350 und 375 SAE-PS, dazu eine Version mit Zylinderköpfen aus Aluminium.

Eine Sonderstellung nahm der Chevrolet Camaro Z/28 ein mit leistungsstarkem Fünfliter-V8 (290 SAE-PS), der speziell für die damals beliebte Trans Am-Rennserie entwickelt wurde. Die SS-Camaro mit 6,5-Liter-V8 besitzen einen schwarzen Heckabschluss, den auch unser Fotofahrzeug aufweist. Ansonsten gäbe es noch eine andere Möglichkeit, die 396-Cubicinch-Maschine des Camaro schnell und einfach zu ermitteln: Wenn unter Volllast im zweiten Gang bei etwa 60 km/h weißer Rauch aus den hinteren Radhäusern weht.

Fazit von Motor Klassik-Redakteur Franz-Peter Hudek zum Camaro SS

Dieser 69er Chevrolet Camaro ist eine ständige Herausforderung, weil das Coupé mit Ausnahme von Autobahn-Hetzjagden forciertes Fahren klaglos aushält. Außerdem ist er die Kenner-Alternative für den Mustang, der inzwischen zum Massenauto mutierte. Den Mustang trägt man wie eine Baseball-Mütze, den Camaro wie ein Tattoo. Und übrigens: Auch mit 5,7-Liter-V8 und 300 SAE-PS lässt es sich angenehm reisen.

Die Chevrolet Camaro-Historie

Zwischen 1967 bis 2002 entstanden vier Camaro-Generationen (F-Body-Baureihe) mit deutlich zu unterscheidenden Karosserien. Jede Generation mit Ausnahme der ersten (1967 bis 1969) blieb durchschnittlich zehn Jahre im Programm. Die meisten optischen Veränderungen erhielt die zweite Generation: ab 1974 große Chromstoßstangen, ab 1975 vergrößerte Heckscheibe, ab 1978 Front und Heck aus Kunststoff.

Das Leistungstief war 1976 mit maximal 165 PS (350 Cui), das Leistungshoch 2001 mit 325 PS (350 Cui). Die Verkaufszahlen nahmen zuletzt drastisch ab. Zum Vergleich: Rekordjahr 1979 mit 282.571 Einheiten und 2001 nur noch 29.009 Einheiten