Chevrolet Corvette, Ford Mustang, Plymouth Roadrunner

Muss es ein Big-Block-V8 sein?

Wie würden die Helden des Kult-Western Rio Bravo entscheiden, wenn sie ihre Pferde gegen ein US-Auto tauschen müssten? Zur Wahl stehen das Muscle Car Plymouth Roadrunner, der Sportwagen Chevrolet Corvette sowie das Pony Car Ford Mustang.

Chevrolet Corvette, Ford Mustang Boss 302, Plymouth Roadrunner 440 Foto: Arturo Rivas 39 Bilder

Wer sich heute einen sportlichen US-Klassiker zulegen möchte, hat die Wahl zwischen drei Fahrzeugformaten: Muscle Car, Pony Car und Corvette. Damit ist man sowohl für seinen Lieblings-Boulevard als auch für die Rallye Liège-Rome bestens motorisiert. Doch worin liegen die Unterschiede - und vor allem: Wie viel Fahrvergnügen bieten die drei Coupé-Konzepte? Chrysler stellt mit einem Plymouth Roadrunner von 1970 das Muscle Car mit 7,2 Liter Hubraum. GM schickt eine Corvette von 1968 mit einem 5,4-Liter-V8 ins Rennen. Und Ford liefert eines der begehrtesten Pony Cars überhaupt: Mustang Boss 302 von 1969 mit bis zu 6.500/min drehendem Fünfliter-V8, von dem nur 1628 Einheiten entstanden.

Der Plymouth Roadrunner ist ein echtes Muscle-Car

Zuerst der Plymouth Roadrunner, der längste, breiteste und stärkste unter den drei Kandidaten. Satte 380 SAE-PS beschleunigen das 5,18 Meter lange und 1,7 Tonnen schwere Coupé in knapp sieben Sekunden von null auf 100 km/h. Eine Corvette mit Basismotorisierung, ein Jaguar E-Type und sogar ein Maserati Ghibli können das kaum besser. Und damit ist bereits der höhere Sinn eines echten Muscle Cars beschrieben, wenn vier feixende College-Jungs an der Ampel mit ihrem Plymouth Roadrunner einen europäischen Super-Sportwagen verblasen, der deutlich mehr als eine Hand voll Dollars gekostet hat. 

Muscle Car bedeutet Leistung satt. Sonst nichts. Hierzu nahmen die Entwickler ein Standard-Coupé aus der US-Mittelklasse (Intermediate), das noch immer die fünf Meter deutlich übertraf, und pflanzten einen getunten Big-Block-Motor aus der Fullsize-Klasse ein. Das waren die großen Limousinen und Station Wagons, die knapp zwei Tonnen auf die Waage brachten und die fünfeinhalb Meter oft locker überschritten. Fertig war der Plymouth Roadrunner als Muscle Car. 

Beim Plymouth Roadrunner stellte der brave Plymouth Belvedere/Satellite (bessere Ausstattung) das Basismodell. Die schwächste Sekretärinnen-Version des Belvedere mit 3,7-Liter-V6 leistete gerade mal 147 SAE-PS, also sagenhafte 233 SAE-PS weniger als unser Roadrunner bei nahezu identischer Technik. Kann das gutgehen? 

Plymouth Roadrunner mit Tic-Toc-Tach und Pistolengriff

Unser Plymouth Roadrunner besitzt neben dem 7,2-Liter-Motor noch das schwarze "Rallye"-Instrumentenbrett mit sechs runden Anzeigen. Ganz links der irre "Tic-Toc-Tach", eine Kombination aus Zeigeruhr im Drehzahlmesser, der in Amerika generell "Tachometer" heißt und unter Sportfahrern eine beinahe mythische Verehrung genießt. Dann der legendäre Mittelschalthebel des Vierganggetriebes, der tief unten aus dem Fußraum heraus nach oben wächst, in einem hölzernen "Pistolgrip" endet und so schnelle Gangwechsel ermöglichen soll. 

Im herrlichen Kontrast dazu erscheint die breite Front-Sitzbank, auf der sogar mehr als zwei glorreiche Halunken Platz nehmen könnten, wenn ihnen nicht der martialische Schalthebel in die Quere käme. Auch das Farbschema des Innenraums in Gold und Grün erinnert an die schmucken sechziger Jahre, als die Innenräume noch nicht dem Diktat trostlos schwarzer Sportlichkeit unterworfen waren. 

Sitzbank, Taxi-Lenkrad und Pistolengriff. Dazu ein Big-Block Motor unter der langen Motorhaube. Noch fühlt man sich nicht so richtig wie einer, der mit dem Wolf tanzt. Noch überwiegt das Sekretärinnen-Gefühl - trotz dekorativem Tic-Toc-Tach vor der Nase. Immerhin brabbelt der Motor dunkel vor sich hin und lässt das riesige Coupé etwas zittern. Der Tritt auf das weit hervorstehende Kupplungspedal treibt eine erste kleine Schweißperle auf die Stirn. Es werden schnell mehr, als wir vom Parkplatz weg einige Haken schlagen müssen, immer mit der Sorge, wir könnten das Lenkrad verbiegen: keine Servolenkung! Jede flüssig mit enormer Schräglage durchfahrene Kurve wird so zum Erfolgserlebnis. Im Ringen mit der indirekten und schwergängigen Lenkung fährt man schon mal im dritten Gang an, aber dem Sieben-Liter-V8 ist das zum Glück völlig egal.

Der Plymouth Roadrunner braucht eine starke und sensible Hand

Auf freier Strecke wagen wir bei etwa 30 km/h einen Beschleunigungsversuch. Wir erleben ein kurzes "Roaar" und das Gefühl, als wäre einer hinten draufgefahren. Das gibt‘s doch nicht, denkt man, dieser knallharte Antritt schon bei etwas mehr als Standgas. Doch Roadrunner-Copilot und Besitzer Jochen Grimm beruhigt uns: "Bei Vollgas wirkt die schmale Originalbereifung wie eine Traktionskontrolle. Man muss dann schnell reagieren und gegenlenken, sogar noch im dritten Gang." 

Keine Frage, der brachiale Roadrunner braucht eine starke und ebenso sensible Hand, um seine exorbitante Leistung auf die Straße zu bringen, die nicht zu viele Kurven aufweisen sollte. Das leicht zu schaltende Getriebe, erstaunlich standfeste Bremsen und das hohe Drehmoment helfen einem dabei, auf der weich gepolsterten Sitzbank die Haltung zu bewahren. Ein Automobil also mit einem etwas knorrigen Charakter, das John Wayne, dem Hauptdarsteller in Rio Bravo, gefallen hätte. Auch der große Westernheld war immer nur dann schnell, wenn es wirklich darauf ankam. 

Die Corvette - und sonst nichts

Eine Corvette ist eine Corvette. Konkurrenz- und neidlos. Seit 1953. Nur Ford hatte von 1956 bis 1958 mit dem Thunderbird einen ebenfalls zweisitzigen, kompakten Sportwagen im Programm, der dann zum schwerfälligen Luxus-Coupé mutierte. Anfang der Siebziger sollte der von Ford vermarktete De Tomaso Pantera dem Chevy-Dauerbrenner den Platz am Sportwagenhimmel streitig machen - die englischsprachigen Prospekte waren schon gedruckt. Doch der Import scheiterte an den strengen Crash-Vorschriften der USA. Die Corvette blieb in den Staaten bis heute der einzige Großserien-Sportwagen und hat auch in Europa viele begeisterte Fans. 

Beim Anblick der silbernen C3 von 1968 aus dem Debütjahr der dritten Corvette-Generation denkt man unwillkürlich an die kraftvollen Kurven von Serena Williams. Vergesst endlich die Cola-Flasche! Dann der Wechsel vom limousinenhaften Roadrunner hinab in die Corvette, wo man sich im direkten Vergleich wie Sebastian Vettel in seinem Formel 1-Renner vorkommt. Die Corvette umschließt den Fahrer fast wie eine Gemini-Raumkapsel. Sitzen Jockey-Figuren hinter dem Corvette-Lenkrad, bleiben nur Kinn und Koteletten sichtbar. Es sei denn, man packt die beiden herausnehmbaren Dachhälften mitsamt der Heckscheibe in das Gepäckabteil hinter die Sitze. Die C3 hat nämlich serienmäßig ein Targa-Dach. 

Die wohl längste Wagenfront der Welt

Noch ein Unterschied zum geräumigen Roadrunner: Man sitzt in der immerhin 4,62 Meter langen Corvette fast schon auf der Hinterachse. Vor der Windschutzscheibe breitet sich deshalb hinab bis zur angepfeilten Stoßstange die wohl längste Wagenfront der Welt aus. Leider kann diese der Fahrer mit Ausnahme der beiden Kotflügelschwünge nur erahnen. Hingegen erfreut er sich an einer kompletten Instrumentierung und an einem perfekt platzierten Mittelschalthebel des Vierganggetriebes. 

Dem mit 1,5 Tonnen nicht zu schwer geratenen Gran Turismo genügt bereits der 5,4 Liter große Basis-V8 mit 304 SAE-PS, um standesgemäß vorwärts zu kommen. Der Verzicht auf die glorreichen Sieben-Liter-Maschinen wird zudem mit einer Gewichtsersparnis von 81 Kilogramm belohnt. Derart pfeilt die Corvette so präzise wie sonst kein anderer Ami und wie nur wenige Europäer um die Ecken. Dank ihres tief im Chassis und weit hinten platzierten Motors halten sich auch die Kurven- Schräglagen in engen Grenzen. 

Der smarte Grooner Dean Martin, der in Rio Bravo - fast wie im richtigen Leben - den versoffenen Dude spielt, würde wohl die Corvette wählen. Schon deshalb, weil die Mädels ihn in dem Targa-Coupé schneller und eindeutiger erkennen würden.

Der rassigste Mustang heißt "The Boss" 

Nicht nur Bruce Springsteen durfte sich The Boss nennen, sondern auch eine unter Kennern hoch geschätze Sportvariante des Ford Mustang von 1969/70. Dieser Jahrgang besitzt die nach 1967 zum zweiten Mal grundlegend überarbeitete Karosserie des 1965 präsentierten Pony Cars. Das für den Mustang von Beginn an typische Stilmittel der nach hinten versetzten Hauptscheinwerfer wurde perfektioniert. Zudem schafften es die Designer, das Fastback mit Hilfe eines zweiten Seitenfensters besser in den Karosseriekörper zu integrieren. Dadurch konnten sie auch auf die seitlichen Kühlrippen am Dach verzichten. Der Mustang SportsRoof von 1969 - der Name "Fastback" wurde abgeschafft - ist damit das rassigste Pferd aus der Mustang-Zucht, vielleicht sogar das schönste Pony Car aller Zeiten. 

Der Begriff "Pony Car" ist auf den ersten Ford Mustang zurückzuführen, dessen großer Erfolg eine neue Generation von preisgünstigen Sportcoupés nach sich zog: Chevrolet Camaro, Pontiac Firebird, Dodge Challenger, Plymouth Barracuda und AMC Javelin. Auch diese für US-Verhältnisse kompakten Leichtgewichte, deren Sechszylinder-Basisversionen auf nur 1,3 Tonnen kamen, erhielten auf Wunsch die großen Sechs- und Siebenliter-V8, waren damit in der Regel jedoch erbarmungslos übermotorisiert. Im Übrigen rechnet man in der US-Car-Szene diese stark motorisierten Pony Cars nicht zu den Muscle Cars (siehe "Definitions" unter "Muscle Car History" auf www.classicmusclecars.com). 

Fit für die Trans-am-Rennen 

Der Mustang Boss 302 war 1969 neben dem neu eingeführten Mach 1 das deutlich sportlichere Pferd im Stall. Mit seiner Lufthutze, die nur beim 428er-Cobra-Jet-Motor auch wirklich funktionierte, und mit den Sicherungssplinten auf der Motorhaube machte der Mach 1 vor dem Diner oder der heimischen Garage eine bessere Figur als der Boss. Doch Kenner wussten schon damals: Der Boss 302 ist ein echter Renn-Mustang. Mit ihm konnte man morgens auf dem Racetrack trainieren und um zwölf Uhr mittags zum Lunch nach Hause fahren. 

Mit dem Boss 302 baute Ford einen für die Trans-Am-Rennserie maßgeschneiderten Mustang. Die Hubraumgröße war auf fünf Liter limitiert, sodass man vor allem über eine höhere Drehzahl, eine schärfere Nockenwelle und über größere Ventile die Motorleistung anhob - von den 220 SAE-PS des normalen Fünfliter-V8 auf die 290 SAE-PS der Boss-Maschine, die bei 5800/min parat standen. Hinzu kamen ein gründlich überarbeitetes Sportfahrwerk und ein eng gestuftes Viergang-Schaltgetriebe. 

Schon der provokante, rotzige Klang des kleinen Boss-V8, dessen Leerlauf-Drehzahl höher als beim Roadrunner und der Corvette liegt, wirkt bedrohlich. Ebenso der lange Kupplungsweg für das hart beanspruchte Fahrerbein. Erst auf den letzten Zentimetern macht die Kupplung mit der Wucht einer Bärenfalle zu. Wir fahren und vermissen zunächst den Motor-Punch aus niedrigen Drehzahlen. Doch der Ford bäumt sich dafür ab 3500/m wie ein wilder Hengst auf, presst seine Starrachse breitspurig auf den Asphalt, schafft auch in Kurven ein erstaunlich hohes Tempo und macht, wenn es darauf ankommt, sogar der Corvette das Leben schwer.

Rio-Bravo-Jungstar und Sänger Ricky Nelson hätte wohl den Boss 302 gewählt. Mit Achtzehn hat man nämlich noch Träume - vielleicht sogar vom Mustang-Sieg in einem Autorennen.