Daimler Double Six, Ferrari 512 TR, Mercedes SL 600

Willkommen in der Welt der 12-Zylinder!

Der V12 gilt als das Maß der Dinge, seine exzessive Technik als hoch emotional und Image fördernd. Ein Daimler Double Six, ein Ferrari 512 TR und ein Mercedes SL 600 stehen bereit, um uns diesen Mythos näher zu bringen.

Daimler Double Six, Ferrari 512 TR, Mercedes SL 600 Foto: Arturo Rivas 49 Bilder

Der Motor läuft bereits, doch ich höre ihn einfach nicht, spüre auch nichts. Also ein zweiter Startversuch. Zündschlüssel nach links und das Ganze noch mal von vorn. Und dann noch einmal. Manchmal ist es zum Verzweifeln. Warum will dieser Jaguar – pardon Daimler nicht anspringen? Wir haben einen Fototermin, und der Ferrari und der Mercedes warten vermutlich schon.

Enormer konstruktiver Aufwand

Moment – hat sich die Nadel des Drehzahlmessers da nicht gerade bewegt? Ja, genau. Laut Zeiger 800 Touren. Doch im Cockpit des XJ ist im Standgas praktisch nichts davon zu vernehmen, dass im Bug ein großvolumiger Verbrennungsmotor soeben seine Arbeit aufgenommen hat. Nur beim Anfahren dringt ein Säuseln bis zum Fahrer. Kaum vernehmbar, dennoch selbstbewusst genug, um mich ein weiteres Mal innerhalb kürzester Zeit nachhaltig zu beeindrucken. Willkommen in der Welt der Zwölfzylinder!

Nur wenige Marken haben sich überhaupt an ihm versucht. Der konstruktive Aufwand – natürlich enorm. Der Gegenwert allerdings immens. Höchste Laufkultur dank eines perfekten Massenausgleichs, und angesichts der exzessiven Technik größtmögliches Prestige bei gleichzeitig maximaler Faszination. Wir sprechen hier vom König aller Verbrennungsmotoren.

Leistung sollte bei einem so aufwendig konstruierten Triebwerk ohnehin ausreichend vorhanden sein, bei einem Supersportwagen wie dem Ferrari 512 TR mit 428 PS etwas mehr, bei einer repräsentativen Limousine wie dem Daimler Double Six mit 288 PS naturgemäß etwas weniger. Der V12 aus dem Mercedes SL 600 könnte die vernunftorientierten 395 PS sicherlich überbieten, doch auch hier wird sich am Ende ganz bestimmt niemand ernsthaft über mangelnde Power beschweren.

Der Daimler Double Six als Wellness-Oase

Zurück zum Daimler Double Six, Baujahr 1979, der den Zunamen Vanden Plas trägt. Eine Wellness-Oase inklusive langem Radstand und reichlich Chromschmuck – mehr XJ geht nicht. Allerdings ein Modell aus der nicht ganz unumstrittenen zweiten Serie, um das Jaguar-Fans auf der Suche nach einem Gebrauchten lange Zeit einen großen Bogen machten. Die Verarbeitungsqualität lausig, die Elektrik unzuverlässig, der Antrieb launisch und obendrein massive Rostprobleme.

Gegen Mitte der 70er hatte British Leyland den 1966 übernommenen Nobelhersteller fast zu Grunde gespart. Wer einen zuverlässigen XJ fahren wollte, griff lieber gleich zur dritten Serie. Die mag formal zwar an Attraktivität gegenüber ihren Vorgängern verloren haben, profitierte jedoch von einer spürbar gestiegenen Verarbeitungsqualität.

Also besser nicht mit diesem Auto vom Hof fahren? Zu spät. 20, 25 Kilometer liegen bereits hinter uns, und die Anzeigen für Öldruck und Wassertemperatur signalisieren einen optimalen Betriebszustand. Der sprichwörtliche Fahrkomfort verströmt absolute Geborgenheit. Überhaupt dieser Innenraum. Hochwertiges Wurzelholz für das Instrumentenbrett und in den Türverkleidungen, feinflorige Schaffwollteppiche im gesamten Fußraum und feinstes Connolly-Leder auf den speziell geformten Einzelsitzen und der breiten Rückbank. Auf einmal versteht man, warum die traditionsreiche Marke Daimler seit jeher Hoflieferant für das britische Königshaus ist.

Als Fahrer und Beifahrer sitzt man erwartungsgemäß sehr bequem, aber ungewöhnlich tief, fast wie in einem Sportwagen. Mein rechter Arm ruht auf einer massiven Mittelkonsole, aus der auch der dünne Automatikwahlhebel ragt. Drei Gangstufen stehen zur Verfügung, um die Kraft des V12 gleichmäßig in Vortrieb umzusetzen, doch von den Schaltvorgängen bekommt man in der Kabine kaum etwas mit.

Nicht einmal Abrollgeräusche dringen bis in dieses edle Refugium vor, Stöße ebenfalls nicht. Vorder- und Hinterachse sind jeweils in einem Hilfsrahmen montiert, der die XJ-Besatzung wunderbar gegen nahezu sämtliche Unebenheiten abschottet.
Nein, Sorgen mache ich mir keine mehr.

Das Aubergine-farbige Fotomodell mit dem schwarzen Vinyldach, welches aus dem fein sortierten Showroom des im Stuttgarter Meilenwerk ansässigen Händlers Arthur Bechtel stammt (siehe Seite 153), hinterlässt nicht das Gefühl, im nächsten Moment auf seinen Schutzbrief angewiesen zu sein. Man spürt es dem Auto an, das es in der 31-jährigen Obhut seines derzeitigen (Noch-) Besitzers wohl überaus behutsam behandelt wurde.

Selbst bei hohen Drehzahlen leise

Knapp 50 Kilometer. Es wird schwer werden, diesen Wagen wieder herzugeben. Der 5,3-Liter-V12, ursprünglich für Rennzwecke entwickelt und zuvor ebenso im E-Type installiert, begeistert durch seine außergewöhnliche Durchzugskraft bereits aus dem Drehzahlkeller. Leistung scheint offensichtlich zur Genüge vorhanden zu sein, und allein dieses Wissen entspannt ungemein.

Vollgas-Sperenzien? Hat dieser V12 längst nicht mehr nötig. Dennoch begeistert der Kurzhuber durch seine Drehfreude, selbst jenseits von 5.000 Touren. Aber nicht einmal dann wird er wirklich laut.

Nur noch wenige Meter bis zum vereinbarten Treffpunkt. Das rote Geschoss dort auf dem Parkplatz muss unser zweiter Zwölfzylinder-Kandidat sein, ein Ferrari 512 TR, Baujahr 1993. Besitzer Roland Hilner, Schwimm-Meister aus Karlsruhe, freut sich bereits auf die Ausfahrt, hält mit kurzen Gasstößen das 428 PS starke Triebwerk bei Laune. Purer Formel 1-Sound. Laut, aggressiv, herausfordernd. Das, was dort im Heck wie ein wildes eingesperrtes Tier um sein Leben brüllt, ist ein Meisterwerk mit vier obenliegenden Nockenwellen, 48 Ventilen und rot gefärbten Zylinderkopfdeckeln.

Ich darf gleich hinter dem Steuer Platz nehmen. Doch ganz so sportlich-nüchtern wie erwartet, geht es auch im Ferrari nicht zu. Connolly-Leder auf den Schalensitzen, und überhaupt wirkt die Kabine des nur 113 Zentimeter hohen Mittelmotor-Boliden überraschend hell und luftig. Doch die in Rot gehaltenen Zeiger und Ziffern der sieben Veglia-Instrumente, die offene Schaltkulisse und natürlich das allgegenwärtige Cavallino Rampante erinnern gleich wieder daran, in welchem Universum man sich gerade befindet.

November 1991: Ferrari präsentiert den 512 TR als Nachfolger des allmählich in die Jahre gekommenen Testarossa. Keine radikale Neuentwicklung, eher eine grundlegende Optimierung – die Form wie beim Vorgänger mit einem ultra-breiten Heck streng auf maximalen Abtrieb getrimmt. Die markanten Rippen entlang der Flanken sind ebenfalls geblieben, durch sie wird der Fahrtwind direkt in die seitlich hinter der Kabine verlegten Kühler geleitet.

Aber jetzt endlich rauf auf die Straße. Der erste Gang – natürlich links hinten, die Kupplung ein echtes Pfund. Doch der Italo-Sportler gibt sich selbst beim Rangieren einigermaßen handzahm. Gleich darauf ein gerades Stück Landstraße. Leichte Beute für diesen Boliden, dessen Tachonadel im Nu bei Tempo einhundert steht. Gespräche während der Beschleunigungsphase? Eher schwierig. Von null bis 200 in nicht einmal 17 Sekunden, brüllt Besitzer Hilner zu mir herüber. Ich spüre, dass sich dieser Hochleistungs-Zwölfzylinder erst oberhalb von 4000 Touren so richtig wohl fühlt.

Ein V12-Motor wie eine Skulptur

Ich will sehen, woher diese Kraft stammt und gehe vor Ehrfurcht fast in die Knie. Ein Motor wie eine Skulptur. Keine wild wuchernde Schlangengrube wie beim Jaguar, sondern pure Ästhetik in den Farben Rot, Silber und Schwarz. Die beiden fein verrippten Luftsammler sind mit Testarossa-Schriftzügen verziert, von ihnen führen pro Seite jeweils sechs geschwungene Ansaugrohre bis tief ins Untergeschoss, wo sich rechts und links die beiden in einem Winkel von 180 Grad angeordneten Zylinderbänke verstecken. Die flache Bauweise, die diesem Triebwerk oft genug fälschlicherweise die Bezeichnung Boxer einbrachte, vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass es sich hier um einen lupenreinen V12 handelt.

Zurück zum Treffpunkt, wo sich nun auch der Mercedes eingefunden hat. Der SL 600 der Baureihe R 129 gehört zum Fuhrpark von Roland Schmid, der seit einem Motorradunfall Mitte der Neunziger querschnittsgelähmt ist. Auto fahren zählt dennoch zu den großen Leidenschaften des des 47-Jährigen. Gas geben und Bremsen geschieht mittels einer speziellen Vorrichtung per Hand.

Saccos großer Wurf

Vom Supersportler zum Luxus-Cruiser – der Wechsel vom Ferrari in den Mercedes gleicht abermals einem Übergang in eine gänzlich andere Welt. Eine, in die sich bereits die Moderne eingeschlichen hat.

Elektrisch verstellbare Sicherheitssitze, ein Bügel, der bei drohendem Überschlag selbsttätig ausfährt, das integrierte Windschott, Airbags, ABS und ASR – der SL, Baujahr 1996, vermittelt in diesem Trio am wenigsten Oldtimer-Feeling, dafür erwartungsgemäß die größte Reife. Reinsetzen, losfahren, genießen. Wer einst bereit war, mindestens 217 740 Mark für einen solchen 600er auszugeben, erhielt ein Fünf-Sterne-All-Inclusive-Paket.

Doch der sachlich-schöne R 129 aus der Feder des Desingchefs Bruno Sacco gilt trotz aller zukunftsweisenden Features und beispielhafter Perfektion gleichermaßen als Verbeugung vor der Vergangenheit. Die Grundform der legendären SL-Vorgänger – lange Haube, kurzes Heck – ist weiterhin erkennbar, wenn auch nur zaghaft.

Zwei dezente V12-Logos an den vorderen Kotflügeln wecken endgültig meine Neugier, der Blick unter die Haube findet diesmal vor der Ausfahrt statt. Cleaner Maschinenbau, symmetrisch gestylt und bis ins letzte Detail arrangiert. Vier obenliegende Nockenwellen, vier Ventile, 395 PS. Der monströse Sechsliter-V12 (M 120) besteht im Grunde seines Wesens aus zwei 24VSechszylindern und sieht aus, als könne er vor Kraft kaum laufen.

Der Mercedes SL – ein Ferrari-Jäger

Doch er ist ein sanfter Riese, noch geräuschloser als der V12 im Jaguar und dennoch ein Ferrari-Jäger. Der Sprint von null auf 100 gelingt im fast zwei Tonnen schweren SL in nur 6,0 Sekunden, damit ist er dem rund 500 Kilo leichteren 512 TR (5,3 s) ziemlich dicht auf den Fersen. Kraft ist also im Überfluss vorhanden, doch der mächtige Zwölfer macht – anders als die Maschine im Heck seines italienischen Kollegen – keinerlei Aufhebens davon. Alles geschieht im Verborgenen, selbst die Schaltvorgänge der Fünfgang-Automatik gehen spurlos an der bequem aufgehobenen Besatzung vorbei.

Später Nachmittag. Das letzte Gruppenfoto fürs Heft, neue Eindrücke im Kopf. Sachlich gesehen bleibt so ein V12 das Maß der Dinge. Emotional sowieso.

V12-Fazit von Motor Klassik-Redakteur Michael Schröder

Der V12 ist und bleibt eine Ansage, egal, in welchem Modell er sich befindet. Seine Ausgewogenheit und natürlich seine unerreichte Laufruhe machen ihn zum idealen Partner einer Luxus-Limousine. Der Daimler verteidigt sein einstiges Alleinstellungsmerkmal vehement – Leistung als stille Reserve und natürlich für das Prestige. Wenn XJ, dann bitte nur als V12.

Der Ferrari hingegen fordert. Einfach nur so dahingleiten, um entspannt von A nach B zu reisen, lehnt er vehement ab. Dafür ist sein einzigartig modellierter V12 zu laut, zu aggressiv, zu schnell. Wer mit ihm glücklich werden will, muss bereit sein, Opfer zu bringen. Anders der SL, der im modernen Verkehr kaum auffällt. Ein perfekter Luxus-Cruiser für den Boulevard, jedoch mit Kraft im Überfluss.