Dodge Charger R/T und Plymouth Road Runner

Fat Toys - Power ohne Ende

Fette Maschinen mit gigantischen Hubräumen und jeder Menge Power sorgen bei Muscle Cars für eine Fahrfreude der besonderen Art. Zwei Mopars geben Gas: Dodge Charger R/T und Plymouth Road Runner.

Foto: Hardy Mutschler 19 Bilder

Jurassic Park im Hamburger Hafen? Keineswegs. Das Furcht erregende Gebrüll stammt nämlich nicht aus der Kehle eines aggressiven Tyrannosaurus, sondern aus den armdicken TTI-Auspuffrohren zweier Muscle Cars, die sich zum Motor Klassik-Fototermin eingefunden haben. Um es gleich mal vorwegzusagen: Nicht jedes US-Auto mit einem großvolumigen V-Achtzylinder zählt zu der Fahrzeugkategorie der Muscle Cars.

Streng genommen gebührt der Titel Muscle Car nur sportlich orientierten Wagen mittleren Formats mit einem großen V8 zu einem erschwinglichen Preis. Sofern, wie in den meisten Fällen, eine Basisversion existiert, gilt diese nicht als Muscle Car, selbst wenn sie einen großen Motor unter der Haube hat. So zählt beispielsweise ein Chevrolet Chevelle nur in der SS-Ausführung als Muscle Car, oder ein Oldsmobile 422, nicht aber ein Cutlass.

Man kennt ihn aus Bullitts Rückspiegel

Die Wurzeln der Muscle Cars reichen mindestens bis zu den mit Hemi-Motoren (Hemi weist auf den hemisphärischen Brennraum hin) befeuerten Fahrzeugen der 50er Jahre zurück. Mit der 1962 von Chrysler herausgebrachten Max Wedge 413-Maschine (Max steht hier für Maximum und Wedge für die besondere Brennraumform), die damals bei so ziemlich allen Beschleunigungsrennen auf dem Drag Strip dominierte, bekamen die amerikanischen PS-Freaks neuen Rückenwind. Zunächst war aber nur die Rede von Super Cars, bevor sich Ende der 70er Jahre der Begriff Muscle Cars etablierte. Bereits eine Dekade zuvor, nämlich im Jahr 1968, entstanden unsere beiden Titelhelden. Beginnen wir mit dem Dodge Charger, einem 1966 auf dem Markt erschienenen Sportcoupé, das auf dem Dodge Coronet basiert und eine Art Ford Mustang im Großformat darstellte.

Zum Meilenstein der Muscle Cars geriet aber erst der stylistisch gründlich überarbeitete 68er Jahrgang mit seinem Coke-Bottle-Design und einer bis heute unerreicht grimmigen Front. Genau dieser dunkle und breite, Furcht erregende Schlund, der sich im Kultfilm Bullit immer wieder im Rückspiegel von Steve McQueens Mustang breit machte, gefällt Mopar-Fan Frank zum Felde am Charger besonders gut. Der scheinbar über die gesamte Wagenfront reichende schwarze Grill wirkt allerdings weit weniger düster, wenn per Unterdruck die Partien vor den Scheinwerfern nach oben weichen. Aber das empfinden Charger-Fans so daneben wie Batman ohne Kopfhaube.

Besser als die 1968er Hits

Die Riffelung des Charger-Kühlergrills fungiert übrigens als Designelement. Sie findet sich am Instrumentenbrett, am Schalthebel, der Mittelkonsole, am Schnelltankverschluss und sogar an der Einfassung der runden Rückleuchten wieder. Lackiert in Knallorange kommt Franks Dodge Charger besonders auffällig daher, zumal er neben den Bumblebee-Streifen am Heck, die man übrigens abbestellen konnte, mit einem nicht serienmäßigen NASCAR-Outfit aufwartet. Mit den Aufklebern und der Startnummer schlägt Frank eine Brücke zu den wilden Rennschlachten auf den Hochgeschwindigkeitsovalen, die mit hochgezüchteten Muscle Cars dieser Art ausgefochten wurden – wenn auch der Charger hier nicht so erfolgreich war.

Aber so ganz unpassend ist die Aufmachung nicht, immerhin handelt es sich um ein echtes R/T-Modell, das heutzutage besonders begehrt ist. Das R steht hierbei für Road und das T für Track, sprich: Diese Version wählten sportlich orientierte Charger-Käufer, die beim Gasgeben den Asphalt mit tiefschwarzen Power Stripes verzieren wollten. Waren nämlich im Standardmodell serienmäßig ein 318 cui oder auf Wunsch ein 383-Motor montiert, kamen im R/T Maschinen mit einem ungeheuren Hubraum von 440 Cubic Inches zum Einsatz, was rund 7,2 Liter entspricht. Zwar ließen sich dessen Leistungswerte noch durch den Einbau eines Hemi-Treibsatzes toppen, doch es ist schon erschütternd genug, was der zumindest auf dem Papier 375 PS starke 440er in dem Muscle Car anrichtet.

Dodge warb für den R/T damals mit den Worten „das einzige Auto, das so gut aussieht, wie es fährt“, und zumindest in puncto Beschleunigung trifft dies zu. Doch zunächst demonstriert uns Frank, wie sich im ersten Gang des dreistufigen Torqueflite-Getriebes die 275er-Reifen beim Burnout in Rauch auflösen. Der brachiale Sound des V8 klingt besser als alle Nummer-Eins-Hits von 1968, und die dabei entstehenden Schallwellen eignen sich hervorragend als Bauchmassage. Das Wimmern der durchdrehenden Räder des Muscle Cars geht in dieser Geräuschkulisse vollkommen unter. Kleine schwarze Krümel fliegen davon, die Luft riecht nach verbranntem Gummi – und der Charger verschwindet im Rauch, als hätte jemand eine Nebelbombe gezündet. Was für eine tolle Vorstellung, die zusammengelaufenen Hafenarbeiter applaudieren und johlen.

Ein neuer Stern am Himmel

Den Gasfuß ungestümer Fahrer sollte man mit einem Hinweis im Cockpit bremsen: „No smoking please“. Doch die Kraft des Charger lässt sich auch so dosieren, dass er ohne viel Schlupf wie ein Geschoss davonprescht. So bereitet das Cruisen mit kurzen Zwischenspurts in diesem nicht unkomfortablen Muscle Car ein besonderes Vergnügen. Frank setzt seinen Charger sogar gelegentlich für längere Reisen ein, was abgesehen vom etwa 20 Liter pro 100 Kilometer betragenden Verbrauch problemlos verläuft. Und damit der R/T in schnellen Kurven auf Kurs bleibt, hat ihm Frank stärkere Drehstäbe, einen Stabi hinten und Konis spendiert. Kommen wir zu unserem zweiten Muscle Car-Kandidaten, ebenfalls einem Mopar-Vertreter. Der Begriff Mopar entstand übrigens aus den Wörtern Motor Parts und bezeichnete die Ersatzteil- und Performance-Abteilung von Chrysler. Und wie der Charger basiert der Plymouth Road Runner auf dem so genannten B-Body. Doch trotz dieser technischen Verwandtschaft besitzt der Plymouth einen völlig eigenständigen Charakter.

Viele sehen im 1964 präsentierten Pontiac GTO das erste wahre Muscle Car. Als das Fachblatt Motor Trend im Jahr 1968 den GTO zum Auto des Jahres krönte, schien aber die ursprüngliche Bedeutung eines Muscle Cars bei den Autokonstrukteuren immer mehr in Vergessenheit geraten zu sein. Ihre Produkte wurden zu luxuriös und vor allen Dingen zu teuer. Plymouth entdeckte den „Missing Link“, wie es in der Werbung hieß, und besann sich auf die alten Tage.

Bestseller mit Muscle Car-Tugenden: billig und stark

Aus einem abgespeckten Belvedere, der noch nicht einmal einen Bodenteppich, sondern nur Gummimatten mit auf den Weg bekam, schuf Plymouth einen neuen Stern am Muscle-Car-Himmel – den Road Runner. Seine Leuchtkraft stellte alle Erwartungen in den Schatten. Die Mixtur aus einfacher Ausstattung, üppiger Leistung und kleinem Preis ließ die Verkaufszahlen von den erwarteten 2.500 Exemplaren auf satte 45.000 schnellen. Mit einem Grundpreis von 2.896 Dollar war der Road Runner rund 600 Dollar günstiger als beispielsweise ein Dodge Charger R/T. Dafür kommt er aber auch wesentlich biederer daher, wie ein Vergleich anlässlich des Fototermins deutlich machte.

Das unscheinbar blaue Coupé gehört Martin Schütt. „Da ich immer Autos mit kleinen, hoch drehenden Motoren hatte, wollte ich mal was anderes“, erklärt er seinen Kauf. Die in zwei Blautönen gehaltene Sitzgarnitur des Muscle Cars ist ein Hingucker. Schnell jedoch ist klar, dass sie eher für einen gemütlichen Familienausflug mit der Großmutter als für rasante Überlandfahrten taugt.Während der Charger-Pilot zumindest einen gewissen Halt in einem Einzelsitz findet, muss sich der Plymouth-Treter am dürren Lenkradkranz festklammern, um nicht in schnellen Linkskurven über die glatte Sitzbank auf den Platz des Beifahrers zu schlittern, wo selbstredend weder ein Steuer noch Pedale oder Schalter vorgesehen sind.

50.000 gut angelegte Werbe-Dollar

Generell wartet das Road Runner-Cockpit mit recht wenigen Accessoires auf. Vermitteln im Charger diverse Rundinstrumente ein gewisses Maß an Sportlichkeit, erinnern der Bandtacho und das teilweise nackte Blech der Türen im Plymouth an die Aura spartanischer Limousinen der 50er Jahre. Immerhin hat Martin in seinem Muscle Car einen Drehzahlmesser ergänzt, den es als Option gab, sowie zusätzlich die für das Fahren auf hiesigen Straßen unerlässliche Temperaturanzeige für das Motoröl. Was dieses Instrument bei Big-Block-Fahrzeugen ohne nachgerüsteten Ölkühler gelegentlich anzeigt, würde manchen in Panik versetzen. Doch, wie bereits erwähnt, war die sparsame Ausstattung des Road Runner Programm.

Sie ist Bestandteil eines gewissen Understatements. Man sitzt gemütlich in einem geräumigen Innenraum und steuert mit Blick über eine Haube vom Format einer Ping-Pong-Platte ein kantiges Schiff durch den Verkehr. Dessen Sprintqualitäten ahnt keiner auch nur ansatzweise. So macht sich eine spitzbübische Freude breit – und man lauert auf Gegner, die es auszubeschleunigen lohnt. Plymouth rüstete den Road Runner serienmäßig mit einem 383 ci-Motor aus, der mit Zutaten wie Nockenwelle, Zylinderköpfen und Krümmer aus dem 440- High-Performance-Aggregat gewürzt war. Die dadurch erzielten 335 PS katapultieren das 1,6-Tonnen schwere Muscle Car in rund sieben Sekunden auf 100 km/h, und die Viertelmeile lässt sich, einen optimalen Start vorausgesetzt, innerhalb der 15-Sekunden-Grenze schaffen – nur wenig langsamer als ein stärkerer, jedoch gewichtigerer Charger R/T. Damit macht der Wagen seinem Namen alle Ehre – denn die gleichnamige Comic-Figur fegte wie ein Blitz durch die Zeichentrickwelt. Angeblich soll Plymouth 50.000 Dollar an Warner Brothers gezahlt haben, um sein Coupé mit diesem im wahrsten Sinn des Wortes Running Gag schmück zu dürfen.

Bei Martins Exemplar handelt es sich übrigens um ein Hardtop Coupé. Die Hardcore-Muscle-Car-Fans bevorzugen zwar wegen der größeren Steifigkeit die Version mit B-Säule, aber Martin will ja keine Rennen fahren, obwohl er dank eines getunten Motors hier die besten Chancen hätte. Wichtiger ist ihm, dass der Plymouth keine Servolenkung besitzt. Diese gab es wie beim Charger als Extra. Doch wegen ihrer Leichtgängigkeit vermittelt sie keinerlei Fahrbahnkontakt und reduziert den Fahrspaß. Die wahren Freaks bauen sie sogar aus, falls ihr Muscle Car mit diesem Feature ausgerüstet sein sollte. Unser Fototermin ist zu Ende. Martin und Frank steigen in ihre Wagen, die längst Kultstatus erlangt haben. Bald überdecken die Hafengeräusche das Brüllen der sich entfernenden V8. Zurück bleiben ein Kribbeln und ein schauerlich schönes Gefühl – zumindest ein Hauch von Jurassic Park.