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Fahrbericht Alfa Romeo GTV 6

Toller Alfa-V6 im kantigen Giugiaro-Kleid

Das Alfa-Coupé mit dem brillanten V6 der Limousine sollte "die Lücke schließen, die Alfa noch von Ferrari trennt." Doch der von Giugiaro gezeichnete GTV wurde zum Flop. Warum eigentlich?

Alfa Romeo GTV 6 Foto: Hardy Mutschler 13 Bilder

Manche Autos scheitern auch an den Ansprüchen, die ihre Erbauer an sie stellen. Vielleicht war das beim Alfa Romeo GTV 6 so. Denn das neue Alfa-Coupé mit dem V6 der Limousine sollte nach einer vollmundigen Aussage des damaligen Entwicklungschefs Filippo Surace nicht weniger als "die Lücke schließen, die Alfa noch von Ferrari trennt." Dabei erging es dem GTV ein wenig so wie einem Schüler, der zwar eifrig bemüht ist, die Erwartungen seiner Eltern zu erfüllen, es aber dennoch nicht schafft, nur Einsen nach Hause zu bringen.

Ferrari in Reichweite

Immerhin war Ferrari zu Beginn der achtziger Jahre näher gerückt. Auch weil die Leistung der ersten Einspritz-Achtzylinder bei Ferrari auf ein Niveau gesunken war, das nicht mehr allzu weit von einem gut gehenden Alfa-Sechszylinder entfernt lag. Und am Motor dürfte es am wenigsten gelegen haben, dass der Alfa Romeo GTV 6 kein durchschlagender Erfolg war. Der weiß auch heute noch in einem über 20 Jahre alten Exemplar mit knapp über 100.000 Kilometern auf der Uhr zu überzeugen. 

Der Leichtmetall-V6 des hier vorgestellten Coupés in Silbermetallic springt trotz der eisigen Temperaturen so spontan an, als habe er nicht die Nacht vor dem Fototermin draußen verbracht. Die ersten Kilometer in Richtung Gotthardt-Tunnel geraten entsprechend vorsichtig. Die Drehzahl bleibt unter 3.000, und der Blick pendelt zwischen den Anzeigen für Kühlmitteltemperatur und Öldruck und den dunkel drohenden Schneewolken über der Zentralschweiz.  Dabei hat Urs Stalder vorsorglich zwei Ersatzräder in den Kofferraum des Alfa Romeo GTV 6 gelegt. "Ihr könnt die Winterpneus montieren, wenn's vor dem Gotthardt Schnee hat", hatte der junge Alfa-Schrauber das Team verabschiedet. Die Anzeigen signalisieren schon weit vor dem Tunnel gesunde Werte, die Winterpneus können im Kofferraum bleiben. Im Tessin scheint die  Sonne, und die Landstraßen Richtung Lago Maggiore sind trocken.  Endlich kann der Sechszylinder seine sportlichen Talente zeigen.

In Sachen Elastizität lässt der GTV Porsche 0944 und Co. hinter sich

So ab 3.500 Umdrehungen bläst das Triebwerk richtig zum Angriff. Untermalt von immer lustvoller werdendem Röhren aus dem Auspuff schiebt es das  rund 1.200 Kilogramm leichte Coupé vehement nach vorn. Wie gut der erste Sechszylinder-Sportwagen von Alfa seit dem 2600 Sprint wirklich geht, durfte er 1984 in einem Vergleichstest in auto motor und sport beweisen. 

Zwar konnte er sich in Höchstgeschwindigkeit und Beschleunigung nicht von den  zum Vergleich angetretenen Konkurrenten Nissan 300 ZX, Porsche 944 und Alpine A 310 absetzen - doch in der Elastizitätswertung schlug die Stunde des Alfa Romeo GTV 6. Sowohl in der Disziplin 40 bis 100 km/h im vierten Gang als auch bei 60 bis 120 km/h im Fünften ließ er die Konkurrenz deutlich hinter sich. 

Dabei profitiert der Alfa Romeo GTV 6 nicht nur von seiner harmonischen Kraftentfaltung - zwischen 2.500 und 5.500 Umdrehungen liegen mindestens 200 Newtonmeter an - sondern auch vom gekonnt abgestimmten Fünfganggetriebe. Alfa entsagte dem damals vorherrschenden Trend zu überlangen Übersetzungen und stufte die Schaltbox so ab, dass der Motor voll ausdrehen kann. Erst bei der Maximaldrehzahl von 6.300 Touren erreicht das Coupé seine Höchstgeschwindigkeit. 

Hohes Geräuschniveau - wie schön!

Ein kleiner Nachteil dieser Auslegung ist das hohe Geräuschniveau bei schneller Fahrt. Wobei die Lebensäußerungen des Leichtmetall-Sechszylinders damit nur sehr unzureichend beschrieben sind. Je nach Drehzahl und Last reicht sein Repertoire vom gelangweilten Brummeln bis zum befreiten Aufbrüllen - trotz serienmäßiger Auspuffanlage und Bosch L-Jetronic. So ertappt man sich immer wieder dabei, wie man die Gänge ein wenig höher ausdreht als unbedingt nötig und das Runterschalten mit einer kleinen Dosis Zwischengas untermalt.

Auch auto-motor-und-sport-Tester Wolfgang König zeigte sich von dem Alfa-Antrieb beeindruckt. Er lobte "jenen unverkennbaren Ton eines Vollbluts, dem Freunde klassischer Sportwagen nur schwer widerstehen können". Was freilich nichts daran änderte, dass der Porsche 944 in der Antriebswertung des Vergleichstests mehr Punkte sammelte. Dem Hauptkritikpunkt der Tester von 1984 kann man heute gelassen begegnen: "Der Schalthebel muss geräuschvoll und unexakt über extrem lange Wege gestoßen werden und entpuppt sich als ärgerliche Zumutung." Natürlich ist die Schaltbarkeit des an der Hinterachse postierten Getriebes heute nicht besser geworden.

Schwergängige Lenkung, starke Seitenneigung

Doch mit einiger Gewöhnung kommt man gut damit zurecht und empfindet sie kaum schlimmer als bei so manchem Heckmotorauto. Zumal man ja dank des elastischen Motors eine ausgesprochen schaltfaule Fahrweise an den Tag legen kann.  Ein wenig schwerer tut man sich da mit dem Fahrverhalten des schnellen Alfa Romeo GTV 6. Die Lenkung ist etwas schwergängig und in der Mittellage seltsam gummiartig, sodass es nur mit Übung gelingt, einen schnellen, sauberen Strich zu fahren.

Und die starke Seitenneigung sorgt zusammen mit dem untersteuernden Eigenlenkverhalten vor allem in engen Biegungen für wenig sportliches Fahrvergnügen.  In schnellen Passagen kommt mehr Freude auf. Da liegt der Alfa satt und neutral. Erst sehr spät erinnern die aufwimmernden 195er-Pneus daran, dass dieses Auto ein wenig in die Jahre gekommen ist.  Die vielen Stopps auf den Fotofahrten rund um den Lago bieten viel Zeit, um im Alfa Romeo GTV 6 heimisch zu werden. Die Sitzposition wird immer besser, je länger man in dem knappen Sportsitz hockt. 

Ja doch, entweder sind die Beine zu lang oder die Arme zu kurz - das ist bei einem Ferrari aus den 50er Jahren kaum anders. Man gewöhnt sich daran, schließlich ist ein italienischer Sportwagen kein Familienvan.

Alfa-Eigenheiten und akzeptabler Komfort

Nur mit den als Tennisschläger getarnten Kopfstützen möchte man nicht so gern in Berührung kommen. Als Alfa-Freund ist man mit den Jahren demütig geworden. Man freut sich über Kleinigkeiten. Der Alfa Romeo GTV 6 hat immerhin ein höhenverstellbares Lenkrad. Und die Pedale sind so angeordnet, dass man auch mit Camelboots fahren kann. Die wirre Heizungsbetätigung ist heute kein Ärgernis mehr, und die ein wenig müde gewordenen Fensterheber werden als eine markentypische Charaktereigenschaft abgehakt.

Immerhin ist der Komfort akzeptabel. Das Fahrwerk ist nicht überhart abgestimmt, und die für heutige Verhältnisse geradezu ballon-artigen Reifen dämpfen einiges weg. An die heftige Seitenneigung bei schneller Kurvenfahrt muss man sich freilich gewöhnen. Aber das war schon bei der Giulia-Limousine kaum anders. Bleibt die Frage, warum der Alfa Romeo GTV 6 kein Erfolg war? Der Preis hat sicher dazu beigetragen, dass sich nur in der Wolle gefärbte Alfisten für den GTV erwärmen konnten.

In vier Jahren 6.000 Mark Preiserhöhung

Bei der Markteinführung kostete er mit rund 30.000 Mark etwa so viel wie ein Porsche 924, und schon vier Jahre später stieg der Preis auf über 36.000 Mark. Dafür gab's bereits einen ausgewachsenen Mercedes. Auch in der Fachpresse wurde der Alfa Romeo GTV 6 - wie alle Alfa dieser Epoche -  zunehmend kritisch beurteilt. Die Qualitäten des Motors standen außer Zweifel, aber Fahrwerk, Innenraumanmutung und Verarbeitung waren nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Der Umstieg auf Frontantrieb kam mit dem 164

Zudem stand Alfa Romeo 1986 kurz vor der Eingliederung in den Fiat-Konzern. Zusammen mit Lancia sollte Alfa eine Art Nobelsparte von  Fiat bilden.  An einen Nachfolger des Alfa Romeo GTV 6 wurde dabei nicht gedacht. Mit der Präsentation des 164 und seiner Schwestermodelle Lancia Thema und Fiat Croma standen die Zeichen im Konzern endgültig auf Frontantrieb. Die Alfetta-Plattform fristete als Alfa 75 noch ein kurzes Dasein bis zur Vorstellung des frontgetriebenen 155. Einen neuen GTV gab es erst 1995. Wahlweise mit Vierzylinder-Twinspark, allerdings auf einem Fiat-Basismotor aufbauend oder mit dem famosen V6. Die Motoren trieben freilich die Vorderräder an. Immerhin erwies sich der neue GTV als langlebig.

Das Tessin ist immer noch Alfa-Land. Vom tiefer gelegten 75 bis zum brandneuen Sprint GT begegnen dem Alfa Romeo GTV 6 zahllose Geschwister. Viele Fahrer älterer Modelle grüßen mit einem  lässigen Winken. Doch meist hat man den Eindruck, man bewegt sich in dem silbergrauen GTV 6 nicht auffälliger als etwa in einem mausgrauen Golf II.

"Gib mal Gas, ich will den Motor hören"

Das ändert sich auf der Rückfahrt. Nördlich der Alpen regnet es wieder, einige Schneeflocken mischen sich dazu. Die Winterreifen auf den Original-Alus können dennoch im Kofferraum bleiben. Die Heizung ist besser als ihr Ruf, und irgendwo hinter Luzern spielt das 80er-Jahre-Blaupunkt-Radio plötzlich SWR 3. Nur noch wenige Kilometer bis zur Werkstatt von Urs Stalder und Jürg Moser. In Zürich ist es dunkel. Der Alfa Romeo GTV 6 wird voll getankt. Knapp elf Liter feines Super hat sich der Sechszylinder im Schnitt je 100 Kilometer gegönnt.

Kurz danach rollt ein W 124-Kombi an einer Ampel neben den Alfa. Der Fahrer gestikuliert und lässt sein Beifahrerfenster runter. "Gib mal Gas, ich will den Motor hören", ruft er. Machen wir doch gern - und nehmen ihm bis zur nächsten Rotphase gute 20 Meter ab. Es regnet immer noch, als wir den Alfa Romeo GTV 6 wieder parken. Kein leichter Abschied nach über 1.000 Kilometern. Aber vermutlich fiele er ohne eigenen Alfa-Sechszylinder in der Garage noch ein wenig schwerer.