Drei Audi Quattro im Fahrbericht

Welcher Quattro ist der beste?

Der Audi Quattro revolutionierte die Sportwagen-Welt und beförderte die Ingolstädter dank des Vierradantriebs in den Rang eines Premiumherstellers. Motor Klassik ging mit drei Audi Quattro auf die Suche nach dem Mythos im Zentraldifferenzial.

Audi Quattro, Sport Quattro und Quattro 20V Foto: Hardy Mutschler 20 Bilder

Schön fand den Audi Quattro keiner

Zugegeben, dass ein Audi Quattro schön sei, wurde nie behauptet, damals im März 1980, als ein diamantsilberner Quattro mit geschmiedeten Fuchs-Rädern in Genf die Sansation war, erfand die Fachpresse die aberwitzigsten Superlative für den allradgetriebenen Audi. Nur schön fand ihn keiner. Sogar Designchef Harmut Warkuß fühlte sich bemüßigt, fast entschuldigende Worte für sein Produkt zu finden: „Was wir visuell symbolisieren wollten, war ein Auto, das kein Sturm umblasen kann. Es sollte etwas ruppig aussehen und kein Chi-chi-Auto sein. Es sollte nicht die Eleganz, sondern sein Können in den Vordergrund bringen.“

Das zweifellos ist Warkuß gelungen. Selbst der zierlichste aus der Quattro-Familie, das Urmodell von 1980, steht breit und stämmig auf seinen Sechszöllern, die mit Reifen im bescheidenen 205er-Format bestückt sind. Ein wenig so wie eine osteuropäische Sprinterin aus der Anabolika-Ära. Nein, dass ein Sturm dieses Auto umblasen könnte, danach sieht es nun wirklich nicht aus.  

Bei Rallyes kann man auch mit einem cW-Wert von 0,4 gewinnen

Die Zeit war aber gnädig mit den Warkußschen Ecken und Kanten. Der Urquattro ist ein kleines Auto geworden. Gerade mal 4.404 Millimeter lang und 1.723 Millimeter breit, trotz der bauchigen Kotflügel. Weitab von jeder rundgelutschten Windschlüpfigkeit scheint das Audi Coupé heute noch viel antiquierter, als es mit seinem 30 Jahren ist. Immerhin deutete bereits zwei Jahre nach der Quattro-Präsentation der Audi 100 Typ 44 an, in welche Richtung die Designreise in den nächsten Jahrzehnten gehen sollte. 

Für Rallyesiege war ein damals schon fast beschämender cW-Wert von 0,4 jedenfalls kein Hindernis. Und die Kantigkeit hat heute erst recht ihre Vorteile: Die Karosserie ist beispielhaft übersichtlich, die Motorhaube lässt sich vom Fahrerplatz überblicken, und man sitzt entspannt und aufrecht. Verglichen mit den dämmerigen Höhlen vieler moderner Sportwagen erscheint das Audi-Interieur geräumig und lichtdurchflutet wie der Wintergarten einer Bauhaus-Villa. Nur die Inneneinrichtung kann bei Neulingen, die unvorbereitet im Urquattro Platz nehmen, für Irritationen -sorgen. Instrumente und Bedienelemente kommen vom Audi 80 und sind aus traurig braunem Kunststoff gegossen.

Spaßfaktor Zebravelours – und 200 PS

Das so genannte Zebravelours, mit dem nicht nur das Gestühl, sondern auch Türtafeln und Dachhimmel tapeziert sind, könnte aus dem Elvis Presleys Jungle Room in Graceland stammen. Nur zwei grüne Leuchten und zwei unscheinbare Hebelchen, die dort montiert sind, wo beim Käfer und beim 911 die Heizungsbetätigung sitzt, erinnern daran, dass dieser Audi etwas ganz Besonderes ist. Mit ihnen werden nämlich nicht Luftklappen in Heizbirnen, sondern Sperren bedient, und der Quattro hat gleich zwei davon. Eine im Zentraldifferenzial hinter dem Getriebe, die andere an der Hinterachse. Beide braucht man nur, wenn's im Schnee nicht mehr weiter geht oder auf Schotter richtig pressiert. 

Für den normalen Alltag reicht es, den Audi-Schlüssel umzudrehen und im nicht besonders exakten Getriebe nach dem passenden Gang zu wühlen. Was sich dann abspielt, ist weit beeindruckender, als es die technischen Daten vermuten lassen. 200 PS sind ja in einem modernen Auto nicht mehr viel, und jeder bessere Diesel-Kombi stemmt mehr als 285 Newtonmeter. Aber die Art und Weise, wie der Urquattro losgeht, wenn der Ladedruck in die Nähe der 1,0-bar-Markierung steigt und der Fünfzylinder losfaucht, ist immer noch so eindrucksvoll wie vor 30 Jahren. Lediglich das ausgeprägte Turboloch unterhalb von 3.500 Umdrehungen fordert etwas Gewöhnung. Man sieht sich versucht, in Rallyefahrer-Manier mit links zu bremsen, um die Turbine mit dem Gasfuß unter Dampf zu halten. Mit solchen Problemen braucht man sich im Sport Quattro nicht herumzuschlagen. 

Dort reicht ein deftiger Tritt aufs Gaspedal bei einer beliebiger Drehzahl zwischen 1.500 und 7.200 Umdrehungen in jedem beliebigen Gang, um weit mehr Leistung zu entfesseln, als man gerade brauchen würde. Dabei fühlt sich der kurze Quattro nach mindestens 100 PS mehr an als den amtlich attestierten 306. Das Besondere an dem Audi ist jedoch die feine Dosierbarkeit des Potenzials. Der Vierventilmotor reagiert auf jeden Millimeterbefehl am Gaspedal, Kurven lassen sich mit fast beliebiger Geschwindigkeit passieren. Und die Bremsen beißen so sensibel und nachdrücklich zu, dass man sich fragt, worin der Fortschritt der letzten zwanzig Jahre eigentlich liegen soll. Natürlich ist der Sport Quattro kein gewöhnlicher Audi von 1984.

Sport Quattro ist die Straßenversion des Rallyetiers

Genau 224 Stück wurden gebaut, und auch die nur, weil man mindestens 200 bauen musste, um den kurzen Rallye-Quattro in der Gruppe B homologieren zu können. Denn nachdem die Konkurrenz in der Rallye-Weltmeisterschaft mit eigenen Allradautos nachzog, erwies sich der Urquattro als zu lang, zu sperrig und zu schwer. Die Straßenversion des Rallyetiers kam als notdürftig zum Luxussportwagen herausgeputzes Rennauto auf die Straße. Man nimmt auf ledergepolstertem Recaro-Gestühl Platz, das ein wenig an den Trainerstuhl des FC Kaiserslautern erinnert und fühlt sich ansonsten wie in einem handelsüblichen Audi, dem aber ab der B-Säule 30 Zentimeter Radstand fehlen. Die Sitzbank hinten hätte man sich zu Gunsten des Leistungsgewichts auch schenken können. 

Sitzen könnten dort allenfalls Kinder im Vorschulalter. Aber die Musik spielt ohnehin unter der langen Schnauze. Der Motor scheint richtig aus dem Maschinenraum zu quellen, er beult Frontblech und Haube nach außen und schafft so Platz für zusätzliche Kühler, einen Zylinderkopf mit zwei Nockenwellen und 20 Ventilen und ein Turbo-Überdruckventil im Format eines mittleren Kochtopfs. Trotz großzügigem Einsatz superleichten Kevlars, eines Leichtmetall-Motors und weitgehenden Verzichts auf unnützen Tand – so fehlen dem Sport Quattro elektrische Fensterheber oder eine elektrische Sitzverstellung – wiegt er doch knapp 1.300 Kilogramm. Die Rallyeversion schaffte es mit Mühe an die 1.000er-Grenze. 

Zum Rallyesieger reichte es dennoch, wenn er auch nicht ganz die Hoffnungen seiner Erbauer erfüllte. Die 200 Serienautos kamen auch so schnell unters Volk. Für rund 200.000 Mark konnte man einen Kurzen erwerben, womit der Sport Quattro zum teuersten deutschen Auto seiner Zeit avancierte. Und zu einem der aufregendsten. Denn eine so kompromisslose Fahrmaschine, deren Rallye-Gene so ungefiltert spürbar sind wie in einem Lancia Stratos, hat es seither aus deutschen Landen nicht gegeben.

Audi Quattro 20 V ist ein Luxussportwagen der 90er

Da konnte auch die letzte Evolutionsstufe des Quattro-Coupés nicht mithalten. Der 20 V ersetzte ab 1989 den Quattro der ersten Serie, und nur Kenner können den Vierventiler auf Anhieb von seinem Vorgänger unterscheiden. Denn viele der Änderungen, die den 20 V auszeichnen, flossen bereits vor dem Modellwechsel in die Serie ein. So etwa die acht Zoll breiten Räder, die Mäusekino-Instrumente oder das aufgewertete Interieur. Dennoch erscheint einem der 20 V beim Umsteigen aus Ur- und Sport Quattro wie eine andere Welt: Feines Leder, eine Klimaanlage und allerlei Komfortextras verwandeln das kantige Coupé in einen Luxussportwagen der 90er.

Auch der Motor hat zugelegt: Mit Vierventil-Kopf und 2,2 Liter Hubraum entspricht er der Version, die auch in der zeitgenössischen 200-Limousine zum Einsatz kam. Wie eine Limousine fährt sich der 20 V mit seinen 220 PS dann auch. Unaufgeregt und ohne das Turboloch des Zweiventilers dreht der Fünfzylinder bis knapp über 6.000 Umdrehungen und befeuert das fast 1.500 Kilogramm schwere Coupé zu Fahrleistungen, die sich immer noch sehen lassen können.  Es geht einen Hauch besser als die Zweiventil-Version: 6,9 Sekunden von null auf Tempo hundert und 235 km/h Spitze. Kein Wunder also, dass gut erhaltene 20 V deutlich teurer gehandelt werden als das Vorgängermodell. Für ein Spitzenauto muss man schon 15.000 Euro anlegen. Aber es gibt auch was fürs Geld: die ausgereifteste Variante der Hightech-Ikone aus Ingolstadt mit nicht rostender Karosserie und einem abgasgereinigten Motor zum Preis eines besser ausgestatteten neuen Polo. 

Die erste Quattro-Version besticht mit dem Charme des ungehobelten Urmodells, die Zukunftsvision bayerischer Ingenieure mit der Innenausstattung einer sinistren Spätsiebziger-Bar, in der immer nur Yes-Platten aufgelegt werden. Ab rund 10.000 Euro gibt's gute Autos. Dem Sport Quattro gebührt natürlich die Krone. Er fährt und bremst auf Asphalt wie ein Rennauto, im zweiten Gang am Ortsende fühlt man sich fast wie Walter Röhrl 1985 in San Remo – er ist der Audi schlechthin. Dieses Auto transportiert den Vorsprung durch Technik so verdichtet, wie Flügeltürer, M1 und 959 für Mercedes-Benz, BMW und Porsche stehen. Und man kann ihn genau so schön finden. Wenn man 70.000 Euro übrig hat.