Ferrari 340/375 MM Berlinetta Tracktest

Rote Göttin in Le Mans

Vor 60 Jahren begann mit dem 340 MM Competizione für Ferrari in Le Mans die Schlacht um die erste Markenweltmeisterschaft. Heute ist die Begegnung mit dem Supersportwagen ein gewagter Ritt auf 8,5 Millionen Euro.

Ferrari 340/376 MM, Seitenansicht Foto: Hardy Mutschler 22 Bilder

Die Geschichte von Chassis 0320AM, das jetzt nach Le Mans zurückgekehrt ist, beginnt mit einer Riesenenttäuschung am 13. Juni 1953: Der Ferrari 340/375 MM Berlinetta mit der Startnummer 14 rollt beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans früh an die Box – es sind erst zwölf Runden des 24-Stunden-Marathons zurückgelegt. Aufgeregt deutet der 24 Jahre alte Scuderia-Novize Mike Hawthorn, wie stets mit einer Fliege am Kragen hinter dem Steuer, auf die Vorderradbremsen.

242 km/h auf der Hunaudières-Geraden

Für den neuen Golden Boy aus England ist es das erste Langstreckenrennen in Le Mans. Sein geschlossener Ferrari 340/375 MM Berlinetta ist schnell, wird auf der Hunaudières-Geraden mit 242 km/h gemessen. Jetzt aber steht der rasante Sportwagen mit der eleganten Pinin Farina-Karosserie. Die Mechaniker bemerken, dass das Auto Bremsflüssigkeit verliert. Sie lösen die zwei Lederriemen der Motorhaube, die in Le Mans Pflicht sind, ziehen die vier verchromten Schnellverschlüsse und heben den Alu-Deckel ab. Derweil jagt ein Auto nach dem anderen an den Boxen vorbei.

Eine gebrochene Bremsleitung wird hektisch repariert und Bremsflüssigkeit nachgefüllt. Die Haube des Ferrari 340/375 MM wird eilig verzurrt, aber das Auto mit der Startnummer 14 rollt weit abgeschlagen als 47. wieder zurück ins Rennen.

Frühes Aus für Ferrari Nummer 14

Zwei Runden später jedoch wird Hawthorn an Start-und-Ziel die schwarze Flagge mit seiner Startnummer gezeigt: Disqualifikation. Das Ende des Einsatzes von Ferrari 340/375 MM Berlinetta mit Nummer 14. Unglaublich! Ein Technischer Kommissar des Ausrichters Automobile Club de l’Ouest (ACO) springt mit einem Regelbuch auf die Ferrari-Mannschaft zu und weist auf den entscheidenden Absatz: Das Nachfüllen von Flüssigkeiten ist erst nach jeweils 28 Runden erlaubt – ein veraltetes Regel-Überbleibsel aus den Anfangsjahren des Mega-Rennens. Aber es geht doch um die Sicherheit! Der inhaltlich berechtigte Protest von Ferrari- Manager Nello Ugolini ist allerdings zwecklos – erst für das Rennen im Folgejahr kann das Reglement geändert werden.

Da auch Hawthorns Teamkollegen Alberto Ascari und Luigi Villoresi mit der Startnummer 12 durch Kupplungs- und Bremsschaden ausscheiden, ist der fünfte Rang von Paolo und Giannino Marzotto im dritten Werks-Ferrari die beste Platzierung der Scuderia. Dagegen triumphiert Jaguar mit einem Doppelsieg und dem vierten Platz: Die flachen und offenen C-Type sind erstmals in Le Mans mit Scheibenbremsen ausgerüstet, die Enzo Ferrari für seine Autos ablehnt.

20 Hersteller kämpfen in Le Mans

Doch im Mittelpunkt dieses Le Mans-Rennens steht eine neue Rekordmarke. 20 Autohersteller hatten ihre Rennwagen nach Le Mans geschickt – „20 Fabriken: Wo ist das jemals da gewesen!“, betont Heinz-Ulrich Wieselmann in seiner Reportage für auto, motor und sport. Diese besondere Rekordschlacht hat Ferrari verloren. Schlimmer noch: Erzrivale Jaguar ist durch seinen Erfolg beim 24-Stunden-Rennen in der Gesamtwertung der erstmals ausgetragenen Weltmeisterschaft der Sportwagen vorbeigezogen.

Für Hersteller wie Ferrari ist diese reine Markenmeisterschaft das ideale Betätigungsfeld: Ein Erfolg richtet den Scheinwerfer auf die Marke und nicht auf die Fahrer. Zudem sind die eingesetzten Renn-Zweisitzer viel näher an den Autos, die ein Hersteller wie Ferrari an seine Privatkunden verkauft. Damit sind sie betriebswirtschaftlich weit wertvoller als die Monoposti.

Die Scuderia verarbeitet die Niederlage des Ferrari 340/375 MM Berlinetta von Le Mans 1953 sportlich: Gleich nach der Rückkehr werden alle drei Berlinettas zu Pininfarina gebracht, um die Karosserien zu verbessern. Vor allem die Frontpartie wird bearbeitet und geglättet, die Scheinwerfer erhalten durchsichtige Verkleidungen, um dank weniger Luftwiderstand auf den Geraden noch schneller zu sein.

Einen Monat nach der empfindlichen Niederlage ist der Unglücks-Ferrari 340/375 MM von der Sarthe wieder im Einsatz: Beim 24-Stunden-Rennen von Spa starten Alberto Ascari und Luigi Villoresi mit dem Werks-Ferrari 340/375 MM, scheiden aber aus – immerhin gewinnt das Schwesterauto mit Hawthorn/Farina überlegen vor dem schnellsten Jaguar.

Erfolg für den Ferrari 340/375 MM in Pescara

Zurück zu Chassis 0320AM: Erst beim 12-Stunden-Rennen von Pescara im August, das jedoch nicht zur Weltmeisterschaft zählt, sorgen Mike Hawthorn und sein italienischer Teamkollege Umberto Maglioli für die erste Zielankunft und den ersten Sieg des Ferrari 340/375 MM.

Doch danach folgt die größte Bewährungsprobe: Nichts wird bei der Scuderia dem Zufall überlassen. Der Pescara-Sieger-Ferrari 340/375 MM wird Chefmechaniker Franchini und seinem Mitarbeiter Walter Sghedoni zugeteilt. Die Aufgaben: Überholung des 4,5-Liter-V12 mit einer obenliegender Nockenwelle je Zylinderbank und des Vierganggetriebes sowie der Einbau neuer Trommelbremsen. Beim siebten und letzten Lauf der Markenweltmeisterschaft in Mexiko geht es um den Titel.

Jetzt muss sich zeigen, ob Chefkonstrukteur Aurelio Lampredi und der Technikdirektor der Scuderia Ferrari, Mino Amarotti, mit dem Werkswagen für die Saison 1953 ein Meisterauto gebaut haben. Während das Zweiliter-Reglement erstmals sehr enge Grenzen absteckte, herrscht in der neuen Weltmeisterschaft für Sportwagen die große Freiheit. So spendierte die Scuderia seinem Ferrari 340/375 MM den großen V12-Motor, dessen Hubraum von 4,1 auf 4,5 Liter aufgebohrt wurde.

Ferrari mit deutlichem Leistungsvorteil gegenüber Jaguar

Dieses monumentale Aggregat drückt im Ferrari 340/375 MM Berlinetta 360 PS auf die 19 Zentimeter breiten Hinterräder. „Heute sind es mit modernem Öl und Benzin sogar rund 375 PS“, schätzt Augustin Sabatié-Garat, Ferrari-Spezialist von RM Auctions. Zum Vergleich: Der C-Type, den Jaguar gegen den Campionissimo aus Maranello in Rennen schickt, bieten nur rund 220 PS auf und erreicht in Le Mans eine Spitzengeschwindigkeit von 230 km/h.

Die Kraft aber, die die Lampredi-Maschine im Ferrari 340/375 MM entwickelt, sowie die hohen Geschwindigkeiten auf den Geraden haben auch gewaltige Nachteile: Die Bremsen wie auch die Kupplung werden extrem stark gefordert. Beides versagte beim schnellsten Ferrari in Le Mans 1953, dem 375 MM Berlinetta von Alberto Ascari und Luigi Villoresi mit der Startnummer 12 – Ausfall nach 229 Runden.

Ascari und Mille-Miglia-Sieger Villoresi verfügen in Ferrari 340/375 MM Berlinetta bereits über den größeren V12 mit 4,5 Liter Hubraum und 360 PS, mit dem die anderen beiden Autos erst nach Le Mans bestückt werden.

Erstmals kleidet Pinin Farina die Werks-Ferrari ein

Lampredi, der nach dem Ausscheiden von Giacchino Colombo den Posten als Cheftechniker übernahm, ging mit den Renn-Berlinetta beim Motor an die Grenzen des technisch Machbaren. Motoren in dieser Größe wurden noch bis 1951 in der Formel 1 eingesetzt. Doch das Fahrwerk des Ferrari 340/375 MM mit Blattfedern und einer Starrachse hinten war dagegen noch die gute alte Schule.

Der Ferrari 340/375 MM beeindruckt neben der schieren Motorkraft mit seiner funktionalen geschlossenen Berlinetta-Karosserie: Zum ersten Mal sind Werksautos der Scuderia in diesem Jahr mit Aufbauten von Pinin Farina aus Cambiano bei Turin versehen. Die straffe, fast zu nüchterne Seitenlinie und die sanften Rundungen der Heckpartie werden zum Vorbild für die künftigen geschlossenen Sportwagen und Gran Turismo von Ferrari. Der Grundstein für die lange Zusammenarbeit zwischen Maranello und Cambiano ist damit gelegt. Die Urkarosserie entstand übrigens für einen Privatfahrer: den Franzosen Pierre Boncompagni, dessen Ferrari 340 MM sich aber in Motor und Fahrgestell von den Werkswagen unterschied.

Für den Genfer Automobilsalon, die große Leistungsschau der Automobilwelt am Anfang eines jeden Jahres, baute Pinin Farina einen Ferrari 250 MM mit der neuen funktionalen Linie. Diese Berlinetta, die mit dem Drei-Liter-V12 bestückt war und auf dem Ferrari-Stand gezeigt wurde, besiegelte jetzt auch offiziell die neue Liaison zwischen dem Magier der roten Renner und den neuen Edelcouturiers für feine Alu-Aufbauten aus dem Piemont.

Rückkehr nach Le Mans

Bei seiner Rückkehr nach Le Mans, 60 Jahre nach der Blamage im 24-Stunden-Rennen, wirkt der Ferrari „Tipo 375 Special Le Mans-1953“ rein äußerlich eher dezent. Die asketisch bescheidene Breite von 1,53 Meter fällt in der modernen Boxengasse besonders auf. Mit den 16 Zoll großen Rädern und der hohen Gürtellinie wird der Ferrari dagegen eher hochbeinig. Doch ein Blick auf die mächtigen Hinterreifen lässt ahnen, welche Kräfte der Ferrari in der Fahrt entwickelt.

Die geöffnete leichte Seitentür des Ferrari 340/375 MM mit einem Schiebefenster und einem Windleiter aus Plexiglas gibt den Weg frei für den Einstieg auf den mit braunem Cord bezogenen Fahrerplatz. Der Fahrer sitzt, wie in einem Rennwagen dieser Zeit üblich, auf der rechten Seite. Der lange Zwölfzylinder vorn lässt beim Radstand von 2.500 Millimeter bis zur Hinterachse nur wenig Platz für den Fahrer. „Du bräuchtest die Figur eines italienischen Jockeys“, meint RM-Europa-Manager Max Girardo.

Was für ein Motorklang!

Ich falte meine 1,83 Meter mit den langen Beinen in einer Art Embryo-Hocke in den Ferrari 340/375 MM. Die Knie ragen seitlich vom holzbesetzten Dreispeichen-Lenkrad in die Höhe. Ich mache mich mit der Bedienung vertraut. „Das Getriebe hat vier Gänge und ist nicht synchronisiert“, erklärt Max Girardo. „Du musst also beim Zurückschalten doppelkuppeln.“

Das Umlegen eines der Kippschalter im Ferrari 340/375 MM aktiviert die Benzinpumpe, mit dem Starterknopf und einem kräftigen Gasstoß wird der Zwölfzylinder zum Leben erweckt. Mit der Drehzahlnadel schnellt auch in mir das Adrenalin in die Höhe. Oh, mein Gott: Was für ein Klang! Meine Bewegungen werden mechanisch – erster Gang mit der ungewohnten linken Hand einlegen, Kupplung langsam kommen lassen und vorsichtig die ansteigende Boxengasse hinauf.

Dabei fühlt man sich, wie sich ein Raubtierdompteur fühlen muss: Nur kontrollierte Bewegungen, damit sich das kraftvolle Kätzchen nur dahin bewegt, wo es auch hin soll. In jeder Regung zeigt sich die pure Kraft des Ferrari 340/375 MM. „Das Auto ist nicht einfach zu fahren, aber es ein pures Fahrvergnügen. Und es ist etwas für einen echten Liebhaber“, schwärmt Girardo.

Der Ferrari 340/375 MM kommt bei der Villa d'Este unter den Hammer

Damit dieser Liebhaber und der millionenschwere Ferrari 340/375 MM im Mai bei der Villa d'Este-Auktion am Comer See auch zusammenkommen, erreichen die von Michelin gebackenen Englebert-Reifen bei weitem nicht Betriebstemperatur.

Denn die Runden in Le Mans sind nur das Warm-Up für ein wichtiges Rennen, das der Ferrari 340/375 MM mit der Chassisnummer 0320AM bestehen muss – das Rennen um ein sehr gutes Auktionsergebnis im Rahmen des Concours d‘Elégance bei der Villa d‘Este. Schon vor 60 Jahren konnte diese Berlinetta auf der Zielgeraden der Weltmeisterschaft zeigen, wozu sie fähig ist. Umberto Maglioli erzielte mit dem Auto auf einem Teilabschnitt der Carrera Panamericana einen Schnitt von 222 km/h, ewiger Rekord bei einem Straßenrennen – Ferrari wurde Weltmeister.

Der Ferrari 375 MM bei RM Auctions

Es ist 2013 die wichtigste Auktion des kanadischen Auktionshauses RM, und der Ferrari 340/375 MM mit der Chassisnummer 0320AM ist das wertvollste Auto, das an diesem Mai-Abend am Comer See angeboten wird. Die Auktion findet am 25. Mai ab 20 Uhr an der Villa d‘Este statt. Auf bis zu 8,5 Millionen Euro wird allein der Ferrari geschätzt.

Mehr Informationen zu Ort und den Lots gibt's hier.