Ford Mustang V8 und Sunbeam Alpine Tiger MK I A

Mustang und Tiger im Fahrbericht

Sobald ein Ford Mustang und ein Sunbeam Tiger auftreten, wird die Straße zur Bühne. Trotz gleicher V8-Technik begeistern sie ihr Publikum auf unterschiedliche Art. Während der Mustang eindeutig der Star ist, begnügt sich der Sunbeam Tiger mit der Nebenrolle.

Ford Mustang V8, Sunbeam Alpine Tiger MK I A Foto: Hans-Dieter Seufert 37 Bilder

Der Ford Mustang ist ein Star. Egal, wo er auftritt - er zieht sämtliche Blicke auf sich, heimst allen Applaus ein. Das war schon damals bei seiner Präsentation vor 45 Jahren so und hat sich bis heute nicht geändert. Wir sind im Bergischen Land unterwegs und spüren die ungebrochene Anziehungskraft, die dieser Wagen ausstrahlt. Er kommt an wie die Rolling Stones während ihrer letzten Tournee. Gealtert, keine Frage. Aber immer noch in der Lage, die großen Stadien zu füllen. Was soll man auch anderes von jemanden erwarten, der bereits als Legende zu Welt kam, weil er offensichtlich bis zur letzten Schraubenspitze den automobilen Wunschträumen einer ganzen Nation entsprach?

Der Ford Mustang legte einen fulminanten Start hin

Schon am ersten Verkaufstag, dem 17. April 1964, hatten die Begeisterten den Händlern die 8.000 zur Verfügung stehenden Exemplare förmlich aus den Händen gerissen, waren rund 22.000 weitere Bestellungen unterschrieben. So einen fulminanten Start legte bis heute kein anderes Auto hin. Fahrzeug Nummer zwei trägt sein Schicksal mit Würde: Dem Sunbeam Tiger fällt bei dieser Ausfahrt die scheinbar undankbare Rolle einer Vorgruppe zu, die das Publikum für den Hauptakt einheizen soll und deren wirkliches Talent nur von wenigen Fans zur Notiz genommen wird. Vielleicht liegt es am vergleichsweise braven optischen Auftritt des blauen Engländers, an dessen leicht femininer Linienführung. Sie stammt aus der Feder von Keneth Howes und ist bereits vom Sunbeam Alpine her bekannt.

Der Sunbeam Tiger beherrscht das gleiche V8-Repertoire eines Mustang

Am Sound und an der Performance kann es dagegen definitiv nicht gelegen haben, dass der Sunbeam Tiger es nie auf die ganz große Bühne geschafft hat. Er beherrscht das gleiche V8-Repertoire eines Ford Mustang, brabbelt wie sein Kontrahent bereits im Stand ungemein sexy vor sich hin. Und wenn er erst einmal in Fahrt kommt, deutet das Grollen aus seiner zweiflutigen Auspuffanlage auf Kraft und Angriffslust im Überfluss. Sein kerniges Temperament hat der Tiger der Initiative eines in Los Angeles lebenden Vertreters des britischen Rootes-Konzerns (zu dem Sunbeam gehörte) zu verdanken. Dessen Einstellung war klar: Ohne deutlich mehr Power würde sich der ursprünglich von einem 1,5-Liter-Vierzylindertriebwerk befeuerte Alpine nicht mehr lange auf dem US-Markt verkaufen lassen.

Der Sunbeam Tiger bekam einen Windsor-V8-Motor aus dem Ford Fairlaine

Man könnte, so der Vorschlag aus der Neuen Welt an den Sunbeam Chef Lord William Rootes, das Rezept von Caroll Shelby übernehmen. Der hatte soeben durch den Einbau eines amerikanischen Achtzylinders in einen britischen Roadster das Power-Monster AC Cobra erschaffen. Vorab war in Los Angeles bereits die Suche nach einem passenden Aggregat gestartet worden. Klein musste es sein, um unter die flach abfallende Haube des Sunbeam Alpine zu passen. Klammheimlich wurden diverse Autohändler aufgesucht, um dort per Zollstock die verschiedenen Achtzylinder auszumessen. Das Rennen machte schließlich der kompakte und vergleichsweise leichte Windsor-V8-Motor aus dem Ford Fairlaine, ein 4,3-Liter-Aggregat (260 Cubic Inches), das rund 160 PS leistete - und in der 4,7-Liter-Version (286 Cubic Inches) gleichzeitig als Basistriebwerk des im selben Jahr präsentierten Mustang diente.

Serienfertigung des Sunbeam Tiger durch die britische Firma Jensen

Caroll Shelby himself baute schließlich den ersten Prototypen für Sunbeam zusammen und verwendete dabei weitere Mustang-Komponenten wie das Vierganggetriebe und den Antriebsstrang samt Hinterachse. Das potente Auto, äußerlich weiterhin ein Alpine, kam beim Sunbeam-Obersten Lord Rootes so gut an, dass der sich spontan dazu entschloss, es offiziell als neues Modell herauszubringen - als Sunbeam Tiger. Den Auftrag für die Serienfertigung erhielt die britische Firma Jensen. Tatsächlich waren nur wenige Veränderungen notwenig, damit das deutlich größere Triebwerk zwischen den Längsträgern Platz findet. Einzig die Spritzwand musste versetzt und der Getriebetunnel überarbeitet werden.

In Deutschland wurde der Tiger als Alpine 260 ausgeliefert

Dass es unter der Motorhaube allerdings sehr beengt zugeht, leuchtet ein. Dennoch präsentieren sich alle Nebenaggregate überraschend zugänglich. Die einzige Ausnahme betrifft eine der hinteren Zündkerzen: Sie ist nur mit Hilfe eines Spezialschlüssels durch eine Klappe in der Spritzwand vom Wageninneren aus zu erreichen. Optisch blieb das Auto nahezu unverändert. Einzig seitliche Chromleisten und der Tiger-Schriftzug an den vorderen Kotflügeln geben es als Power-Roadster zu erkennen. Nur in Deutschland durfte das Auto nicht Tiger heißen, weil der Name bereits von einem anderen Hersteller geschützt war. Es wurde hierzulande schlicht als Alpine 260 ausgeliefert.

Originale Sunbeam Tiger Exemplare haben absoluten Seltenheitswert

Das Auto für die heutige Ausfahrt stammt jedoch aus England und wurde soeben aufwändig restauriert. "Solche Exemplare, die sich nahe am Originalzustand befinden, haben absoluten Seltenheitswert", erklärt Oldtimer-Händler Hartmut Stöppel aus Bonn. Bei vielen Tiger, so der Spezialist, würde es sich um nachträglich umgebaute Alpine handeln. In den Staaten sei obendrein kaum ein Tiger unverbastelt geblieben. 

Der Sunbeam Tiger wirkt eher wie ein Cruiser als ein Sportwagen

Aber eigentlich gibt der Tiger auf den ersten Blick gar nicht vor, ein reinrassiger Sportwagen zu sein. Mit seinen sieben in dunklem Edelholz arrangierten Rundinstrumenten wirkt er auf vielmehr wie ein vornehmer Cruiser. Das tief angebrachte Lenkrad steht fast senkrecht vor üppig gepolsterten Schalensitzen, zwischen denen sich ein abschließbarer Ablagekasten befindet. Die Sitzposition ist aufrecht und überraschend hoch. Mit der Macht aus fast 4,3 Liter Hubraum setzt sich der Wagen schließlich in Bewegung und lässt keinerlei Zweifel aufkommen, ob ihm nicht irgendwann einmal die Kraft ausgehen würde.

Das Bollern des gusseisernen V-8 macht an, verführt dazu, den Motor höher zu drehen, als es notwendig ist. Man kann aber auch einfach nur gelassen über die Landstraße gleiten, bei knapp über Schrittgeschwindigkeit in den vierten Gang schalten und sich den Rest des Tages darüber freuen, dass bereits bei 2.200/min das maximale Drehmoment anliegt. "Nach der Kurve gibt man einfach Gas, ohne sich um das Schalten zu kümmern", schrieb Paul Frère nach einer über 9.000 (!) Kilometer langen Testfahrt in auto motor und sport (18/1965).

Das größte Handicap des Sunbeam Tiger ist seine mäßige Bekanntheit

Dem vom Alpine übernommenen Fahrwerk machen die 164 SAE-PS keinerlei Sorgen. Der Wagen folgt der einmal eingeschlagenen Richtung wie ein Hund seinem Herrn, verhält sich in Kurven lange neutral und weist dabei kaum Seitenneigung auf. Nur in sehr engen Kehren macht sich das Gewicht des Motors durch leichtes Untersteuern bemerkbar. "Das größte Handicap des Sunbeam Tiger", urteilte Frère abschließend, "ist mit Sicherheit, dass er bisher zu wenig bekannt ist." So weit wollte es Ford-Chef und Karierre-König Lee Iacocca beim Ford Mustang gar nicht erst kommen lassen. Er wusste, dass er ein gutes Pferd im Stall hatte - ein Auto wie maßgeschneidert für eine junge Generation, die viel Wert auf einen unabhängigen und lustbetonten Lebensstil legte.

Sein Rezept: Der neue Wagen durfte nicht mehr als 2.500 Dollar kosten, sollte leistungsfähig, sportlich und klein sein und dennoch für vier Personen Platz bieten. Zusätzlich hatte er von seinen Designern gefordert, ein Auto mit einer völlig neuen, unverwechselbaren Ausstrahlung zu erschaffen. Das Rennen machte schließlich das Modell eines Coupés mit langer Frontpartie und kurzem Heck. Der Name des neuen Projekts: Mustang. Das amerikanische Wildpferd erschien als das perfekte Symbol einer freiheitsliebenden Generation mit einem ungestümen Vorwärtsdrang.

Ford Mustang: Nie zuvor erreichte ein Fahrzeug einen ähnlich hohen Bekanntheitsgrad

Nun musste nur noch die Nation von diesem neuen Auto erfahren. Iacocca ging auf Nummer sicher und kaufte bei den drei wichtigsten TV-Sendern die beste Sendezeit, um am Abend vor der Präsentation seine Werbespots in über 29 Millionen Haushalte zu senden. Vorab hatten die Magazine Newsweek und Times Leitartikel über das neue Auto gebracht, zusätzlich wurden Anzeigen in mehr als 2.600 Tageszeitungen geschaltet. Nie zuvor erreichte ein Fahrzeug am Tag seiner Präsentation auch nur einen ähnlich hohen Bekanntheitsgrad. Man konnte den neuen Ford als Cabrio, Coupé und später als Fastback ordern. Die Kunden durften gleich zu Beginn zwischen vier Motorvarianten wählen und aus einer fast unüberschaubaren Zubehörliste ihren individuellen Traum-Mustang zusammenstellen.

Bereits nach knapp zwei Jahren lief der einmillionste Mustang vom Band

Es schien, als hätte das Land genau auf dieses Auto mit Baukastenprinzip gewartet: Bereits nach knapp zwei Jahren lief der einmillionste Mustang vom Band - vom technisch nahezu identischen Sunbeam Tiger wurden während seiner gesamten Produktionszeit von 1964 bis 1966 gerade einmal 7.085 Fahrzeuge produziert. Doch anders als beim Sunbean, dem die Kurven im Bergischen Land kaum aus der Ruhe bringen, spürt man sofort, dass der Mustang viel mehr ein Boulevard-Cruiser ist. Sportliches Autofahren im europäischen Sinn fällt dem Cabrio, das sich seit 29 Jahren im Besitz des Mustang-Spezialisten Adi Heinen aus Solingen befindet, sichtlich schwer. 

Trotz seiner 190 PS, die das mit einem Vierfachvergaser versehene 4,7-Liter-Aggregat leistet. Das mächtige Drehmoment des V8 begeistert zwar seinen Fahrer über alle Maßen, überfordert jedoch regelmäßig die Qualitäten des Fahrwerks. Der Wagen schaukelt sich mehr durch die Kurven, als dass er ihnen auf dem vorgegebenen Kurs folgt. Das Erstaunliche daran - man nimmt es dem Mustang nicht übel. Für amerikanische Autofahrer zählten Testberichte ohnehin nicht. Hingegen kam es für sie auf die Form und Ausstrahlung eines Autos an - offensichtlich die Paradedisziplin des Ford Mustang. Er ist der automobile Showstar schlechthin. Das zeigt sich heute noch an jeder Ecke.