Mercedes 230 TE (W 123) und Volvo 245

Zwei Alltagskombis für alle Fälle

Mit der Familie in den Urlaub fahren? Den halben Umzug im Alleingang wegschaffen? Oder einfach nur eine gute Figur auf dem Boulevard abgeben? Alles kein Problem: Das T-Modell von Mercedes (W 123) und der Volvo 245 GL erledigen solche Aufgaben mit links.

Foto: Hardy Mutschler 21 Bilder

Der Junge in Tadschikistan war erst zehn Jahre alt. Doch er wusste genau, was für ein Auto er später einmal fahren wollte – das T-Modell der Mercedes W 123er-Baureihe. Dabei hatte der Knirps diesen Wagen bisher nur auf Fotos in einem Prospekt gesehen, den die in Deutschland lebende Großmutter geschickt hatte

Nach Jahrzehnten erfüllt sich ein Kindheitstraum

Eines der Bilder zeigt einen Pfeife rauchenden Mann, der neben seinem treu dreinschauenden Jagdhund auf der Ladekante des Mercedes T-Modells sitzt und angelt. Frühmorgendliche Nebelschwaden hängen über der Flusslandschaft, im Hintergrund sucht ein Reiherpaar im Schilf nach Nahrung. Eine perfekt inszenierte, deutsche Bilderbuchidylle, die 1978 auf einen autoverrückten Jungen im wüstenhaften Zentralasien ungefähr so exotisch und gleichermaßen verlockend gewirkt haben muss wie einst die Geschichten von Marco Polo auf die Menschen in Europa.

Rund 30 Jahre später fährt Eugen Eresmann in einem Mercedes T-Modell zum Motor Klassik-Fotoshooting auf dem Gelände der Firma Mössner Fahrzeugbau im schwäbischen Winnenden vor. Der Mann, der seit 1987 bei Ludwigsburg lebt, hat seinen Kindheitstraum nie vergessen und erstand vor zwei Jahren einen silberblauen Mercedes 230 TE, Jahrgang 1983. „An das Bild aus dem Katalog erinnere ich mich noch so genau, als ob ich es erst gestern von meiner Oma erhalten hätte“, schwärmt Eresmann, der von seiner Frau Natalia und seinem zehnjährigen Sohn Stefan begleitet wird. Ein anderer Kombi wäre nie in Frage gekommen.

Laderaum einer Lagerhalle gleich

Neben dem Mercedes T-Modell parkt inzwischen ein gelber Volvo 245 GL, das Auto von Heike Weiß aus Winnenden, die allein schon wegen ihres Bobtails Poldi auf möglichst viel Raum im Heck angewiesen ist. Dass es gleich ein Fahrzeug mit lichtdurchfluteter Lagerhalle über den Hinterrädern geworden ist, in der beinahe auch noch ein Pony Platz finden würde, liegt vermutlich ein wenig am Einfluss von Freund Hans-Peter Kersten.

Für den Buckel-Volvo-Fan ist so ein Volvo 245 zwar ein vergleichsweise modernes Auto. Aber immerhin ein Volvo, den die beiden vor einem Jahr ungesehen gekauft haben. Ein hervorragend gepflegtes Erste-Hand-Exemplar aus der Schweiz, Baujahr 1980 mit 243.000 Kilometern auf der Uhr. Gut 7.000 sind seitdem hinzugekommen. Eine problemlose Zeit, wie Heike Weiß versichert.

19 Jahre lang wurde der Volvo 245 gebaut

Volvo hat zwischen 1974 und 1993 exakt 645.789 Exemplare des Kombis gebaut. Genau genommen sind es noch einige zehntausend mehr, weil es sich beim Vorgänger, dem P 145, der von 1967 bis 1974 die Hallen in Göteborg verlassen hatte, bis auf wenige optische und technische Änderungen praktisch um das gleiche Auto handelt. Selbst nach dem Facelift von 1980, das dem Volvo unter anderem rechteckige Scheinwerfer und massivere Stoßfänger bescherte, hielt der Konzern an der schnörkellosen Kastenform mit hoher Gürtellinie, einem steilen Heck und der langen Motorhaube fest – also 26 Jahre lang.

Praktisch, übersichtlich – skandinavisch

Wenn Erstklässler einen Kombi zeichnen sollten, dann käme vermutlich die Silhouette des Volvo 245 heraus. Vielleicht kam dieser Volvo gerade deshalb so gut bei Architekten an. Das Cockpit passt zur äußeren Design-Philosophie, und dessen kantige Ausführung scheint nur einen Selbstzweck zu kennen: Funktion.

Die wenigen, übersichtlich angeordneten Schalter im Instrumentenbrett wirken so massiv, als stammten sie aus dem Bausteinset von Lego-Duplo. Eleganz? Eher weniger. Dafür umso mehr nordischer Charme, der spontan annehmen lässt, dass so ein Volvo 245 für die Ewigkeit gezimmert ist. Bei geschlossenen Türen fühlt man sich rundum von einer massiven Mauer umgeben – nur wenige Autos vermitteln so viel Solidität und Geborgenheit. Im tiefsten Winter hoch zum Nordkap? Ein 245er wäre das passende Fahrzeug dafür.

Sicherheit als oberstes Gebot

Tatsächlich stand bei kaum einem anderen Automobilhersteller das Thema Sicherheit so breit auf den Fahnen wie bei Volvo. Mit einer steifen Fahrgastzelle, mit großen, im Crash-Test erprobten Knautschzonen vorn und hinten, einer Lenksäule mit Sollbruchstelle, Dreipunktgurten, zwei Bremskreisen sowie fest im Wagenboden verankerten Sitzen galt der Typ 240 in den USA alsbald sogar als Maßstab für eine neue Sicherheitsnorm. Ein Volvo stand in der Neuen Welt auf einmal für die in Blech gepresste, automobile Vernunft. In den Weiten des mittleren Westens – im Reich der Cowboys und Pickups – ließ sich damit keine Krone verdienen.

In den Hochburgen der Elite-Universitäten entlang der Ost- und Westküste erinnerte das Straßenbild dagegen bisweilen an das von Göteborg. Fürs Gutmenschen-Image waren nicht wenige Amerikaner also offensichtlich sogar bereit, ihre heiligste Kuh zu opfern und fortan auf einen hubraumstarken V8 zu verzichten. Mit dessen Laufruhe kann das 2,1-Liter-Aggregat des Volvo 245 natürlich nicht mithalten, obwohl es sich um einen zeitgemäß konstruierten OHC-Zahnriemen-Motor mit Querstromkopf handelt. Er geht rau zur Sache und mag keine hohen Drehzahlen.

Rauher aber robuster Motor

Und bei etwas mehr als Richtgeschwindigkeit wird‘s drinnen im Volvo 245  recht laut. Dennoch ein sympathischer Haufen Eisen, der irgendwo dort vorn arbeitet. 107 PS stark, enorm elastisch und zuverlässig bis zum Gehtnichtmehr. Einer, der ohne viel Aufhebens die 300.000-Kilometer-Marke knackt. Landstraßen entpuppen sich zur großen Überraschung schließlich als das Revier des Volvo. Er gibt sich trotz seiner Ausmaße überraschend leichtfüßig, lässt sich fast schon spielerisch durch Kurven zirkeln. Einem, der optisch so schwermütig wie ein Stück Blei auftritt, hätte man dieses Temperament kaum zugetraut. Im Kofferraum sorgt das Gewicht von Bobtail Poldi dafür, dass die starre Hinterachse kaum noch Stöße austeilt. 40 bis 50 Kilo Ballast seien optimal, sagen Volvo-Kenner.

Mercedes springt spät auf den Kombizug auf

Autos in Kastenform hielt man im konservativen Stuttgart dagegen lange Zeit für verzichtbar. Es war die Sorge ums Image, weil man Kombis bestenfalls den Transport von Werkzeug und Farbeimern zutraute. Wie zum Trotz machten die Schwaben, lange bevor der Lifestyle-Begriff Einzug in die Lastenhefte hielt, alles richtig, als sie 1977 auf der Frankfurter Automobil-Ausstellung ihre Kombi-Version der 123er-Baureihe präsentierten:

Dort stand mit dem ersten Mercedes T-Modell ein Auto mit einer gehörigen Portion Nutzwert, das dennoch so elegant aussah, dass man damit auch vor der Oper vorfahren konnte. Paul Bracq hatte das formschöne Heck entworfen, und auf einmal waren es die Limousinen-Fahrer, die um ihren Prestigestatus bangten. Die Verkaufzahlen übertrafen jedenfalls alle Vorstellungen: Bereits im zweiten Produktionsjahr 1979 verließen 28.405 Kombis die Werkshallen in Bremen – rund 10.000 mehr als geplant.

Hohe Qualität beim T-Modell

Es hatte sich rasch herumgesprochen, dass die Mercedes T-Modelle qualitativ noch hochwertiger waren als die Limousinen aus Sindelfingen. Mit einigen gern georderten Extras wie beispielsweise der verchromten Dachreling, Metalliclackierung oder schicken Alu-Rädern, die es bei der Limousine nur ab dem 280er aufwärts gab, wirkte der Stationwagen wahrhaftig so nobel, wie es sich für ein Produkt des Hauses Mercedes ziemt.

Der feine Stil setzt sich im Ladeabteil des Mercedes 230 TE nahtlos fort. Farbe und Material des Teppichs auf dem Ladeboden waren identisch mit der Auslegeware im Innenraum. Selbst die Radkästen, die Rückbanklehne oder die Innenseite der Heckklappe sind mit dem gleichen Stoff verkleidet.

Sollten dennoch einmal Farbeimer anstelle einer Golfausrüstung transportiert werden, gab es für das T-Modell von Mercedes auf Wunsch passgenaue Gummimatten. Gegenüber so viel Behaglichkeit wirken die Kofferräume der Limousinen und Coupés wie blecherne Brotdosen. Hinterm Steuer heben sich alle eventuellen Unterschiede rasch wieder auf. Die klassische Anordnung der Instrumente blieb beim T-Modell unangetastet. Man hätte die bewährte Steuerzentrale ohnehin kaum optimieren können.

Sieben Sitze und ein Wohnzimmerfeeling

Ein Blick reicht, um sich im Mercedes 230 TE zurechtzufinden, selbstverständlich ohne Bedienungsanleitung. Alles wirkt logisch und funktionell angeordnet – und eine Klasse wohnlicher und gediegener als beim Volvo 245 GL. Die Anmutung der Materialien lässt zudem nur einen Schluss zu: Wer einen 123er ersteht, denkt an die Ewigkeit.

So, wie sich der 25 Jahre alte Kombi von Eugen Eresmann anfühlt, wird er diesen Wagen eines Tages problemlos an seinen Sohn weitergeben können. Der sitzt das Fotoshooting lässig auf der bequemen, dritten Bank im Kofferraum ab, die ansonsten unsichtbar unter der vollkommen ebenen Ladefläche ruht. Selbst für die Passagiere sechs und sieben finden sich Sicherheitsgurte – und beidseitig gepolsterte Kopfstützen auf der Fondsitzbank. So ein Mercedes 123er wirkt bis in die letzte Schraube ausgetüftelt.

Laufruhiger und moderner Vierzylinder

Auf den 136 PS starken Einspritzer, der ab 1980 im Mercedes W 123 angeboten wurde, darf sich der Junior auf jeden Fall jetzt schon mal freuen. Der moderne M 102-Motor hängt direkt am Gas, gibt sich laufruhig und bis 5.000 Umdrehungen auch noch recht leise.

Wem auf Landstraßen langweilig ist, darf schon mal die Gänge im Fünfganggetriebe wechseln. Man muss es aber nicht zwingend, denn die Kraft des 230ers reicht selbst bei niedrigen Drehzahlen noch immer aus, um im modernen Straßenverkehr mitzuschwimmen. Für die damaligen Verhältnisse geht dieses Aggregat zudem recht überschaubar mit dem Treibstoff um. auto, motor und sport ermittelte für den Mercedes 230 TE einen Durchschnittsverbrauch von 12,8 Litern pro 100 Kilometer (Ausgabe 6/1981), der Volvo genehmigt sich rund zwei Liter mehr (ams 2/1979).

Einmal in Schwung folgt so ein Mercedes T-Modell mit stoischer Ruhe dem Verlauf der Kurven. Mercedes-typisch ist die Straßenlage: so satt wie eine Löwin nach der Jagd.

Bei voller Beladung sorgt die serienmäßige Niveauregulierung dafür, dass alles so bleibt – vermutlich würde es nur einem Erdbeben gelingen, dieses Auto aus der Spur zu heben, dessen Fahreigenschaften sich klar auf dem Niveau der Limousine befinden. Die Tests bescheinigten dem Kombi sogar ein besseres Kurvenverhalten als der Stufenheckvariante, die mehr zum Untersteuern neigte.

Zurück in Winnenden. Alte Prospekte machen die Runde. Mit Bildern von gut gelaunten Menschen, die schicke Kombis der Marken Volvo und Mercedes beladen. Bilder, die durchaus in der Lage sind, bei einem kleinen Jungen eine lebenslange Leidenschaft zu entfachen.