Jaguar E-Type Serie 1

Die nackte Kanone 50 1/2

Mit dem Jaguar E-Type präsentierte der britische Hersteller vor 50 Jahren einen Sportwagen, dessen muskulöse Virilität fast schon unanständig war. die Flache, lang gezogene Motorhaube des E-Type zeugte von animalischer Kraft und Ausdauer. Wer einen Jaguar E-Type fuhr, der zählte eindeutig zu den ganz Wilden im Lande.

Jaguar E-Type Serie 1, Fahrt, Franz-Peter Hudek, Foto: Achim Hartmann 29 Bilder

Genf, 15. März 1961, ein Tag vor Eröffnung des 31. Genfer Automobilsalons. Im Restaurant Parc des Eaux Vives am Seeufer zeigt Jaguar während einer Vorpremiere geladenen Motorjournalisten und Rennfahrern, darunter Wolfgang Graf Berghe von Trips und Joakim Bonnier, den neuen E-Type. Presse-Chef Bill Rankin lässt die neugierigen Gäste bei Drinks und Snacks neben einer Holzkiste, in der das neue Auto steckt, fast eine Stunde lang schmoren.

Geburtsstunde einer Automobil-Legende

Natürlich ist man sehr gespannt, was für einen Wagen Jaguar-Chef Sir William Lyons als Nachfolger der legendären XK-Sportwagen-Modelle präsentieren wird. Gegen 17 Uhr hebt sich die an Drahtseilen befestigte Holzkiste zur Decke und gibt den Blick auf den ersten offiziell präsentierten Jaguar E-Type frei, ein Coupé in Gunmetal-Grey. Die Gespräche der Männerrunde verstummen. Nach einigen Sekunden des lautlosen Betrachtens und Staunens wird kräftig applaudiert. Es ist die Geburtsstunde einer Automobil-Legende – des Jaguar E-Type.

Der Ur-E-Type aus der Holzkiste ist Motor Klassik-Lesern übrigens kein Unbekannter. 2010 berichteten wir über dessen Restaurierung. Und dies war nicht die erste und wird sicher auch nicht die letzte Jaguar E-Type-Story sein, denn dieser ultraflache Sportwagen mit seiner extrem langen Motorhaube und dem spitz zulaufenden Heck erhielt bereits vor mehr als 20 Jahren einen Ehrenplatz im Olymp der ewigen Autogiganten. Der Jaguar E-Type ist besonders als Roadster ein atemberaubender Sportwagen-Klassiker. Er ist vielleicht sogar der Sportwagen-Klassiker schlechthin.

Rennsport als Design-Vorgabe

Dabei war das Design des Jaguar E-Type alles andere als revolutionär. Sein Schöpfer Malcolm Sayer orientierte sich an den im Rennsport erprobten Aerodynamik-Trends seiner Zeit: der ovale Lufteinlass in der abgerundeten Wagenfront, die darin integrierten Scheinwerfer und das hochgezogene, spitz zulaufende, ebenfalls rundlich gestaltete Wagenheck. Die hinten und vorn verschieden hoch angebrachten Stoßstangen und die eng anliegenden Blink- und Rückleuchten folgen den vorgegebenen Karosserieformen. Nichts wirkt beim Jaguar E-Type aufgesetzt oder rein dekorativ. Einzig extrem am E-Type war und ist die konsequente Umsetzung einer im Rennsport bewährten Optik an einem relativ preisgünstigen Straßenmodell, von dem pro Jahr mehr als 10.000 Einheiten verkauft werden sollten.

So entstand die Hochleistungs-Fahrmaschine Jaguar E-Type mit den bekannten Autoquartett-Daten: 265 SAE-PS, 240 km/h. Ihr Fahrer kontrolliert sie, beinahe auf der Hinterachse sitzend, von hinten – wie der Skipper seine Rennyacht, der Dampflokführer sein schwarzes Ungetüm und der Wells-Fargo-Kutscher seine Pferde. Durch die weit zum Heck gerückte Sitzposition behält der Jaguar E-Type-Pilot die Kontrolle über das vor ihm arbeitende Motormonument. Und er sieht dabei gut aus. Mittel- und Heckmotor sind etwas für Gejagte, der Jäger bevorzugt den Frontmotor.

Jackie Stewart und die reine Schönheit des E-Type

Wie automobilbegeisterte Zeitgenossen damals auf den neuen Jaguar E-Type reagierten, verdeutlichen die Erinnerungen des dreifachen Formel 1-Weltmeisters Jackie Stewart. Seine Eltern führten eine große Jaguar-Niederlassung, sodass der 22-jährige Schotte bereits wenige Monate nach der Genf-Premiere trotz der gewaltigen Nachfrage einen E-Type zur Probe fahren konnte. Stewart: „Der E-Type war vielleicht das spektakulärste Großserien-Straßenauto, das jemals gebaut wurde. Die Wirkung seiner Optik, kombiniert mit seiner exzellenten Leistung und Straßenlage, überschattete all die anderen teureren und exotischen Autos seiner Zeit. Kein Auto besaß die Symmetrie, die exzellenten Linien und die reine Schönheit des E-Type.“

Und heute, 50 Jahre danach? Chassis-Nummer 875151 steht für eine Ausfahrt bereit. Der rote Jaguar E-Type-Roadster gehört dem Schweizer Christian Jenny, einem der versiertesten Jaguar-Kenner im deutschsprachigen Raum und Besitzer einer kleinen, aber feinen Sammlung aller gebauten klassischen Jaguar-Roadster vom SS 90 von 1935 bis zum E-Type V12. Nummer 875151 entstammt der frühen Serie 1 und ist der etwa 165. Jaguar E-Type, der jemals gebaut wurde. Weil das rare Stück nie einen Unfall hatte, nie grundlegend restauriert und deshalb auch nie mit jüngeren Ersatzteilen „optimiert“ wurde, besitzt es noch alle Merkmale der bis Mai 1962 produzierten sogenannten Flatfloor-Modelle des Jaguar E-Type, die sich primär durch einen flachen, noch nicht nach unten ausgewölbten Fußraum vor den Sitzen auszeichnen. Als weitere Kennzeichen eines Serie 1-Jaguar E-Type kommen hinzu: eingeschränkter Verstellbereich der Sitze, eingeschweißte Lüftungsschlitz-Module auf der Motorhaube, doppelte Scharniere des Kofferraumdeckels und seitliche, von außen mit einem Spezialschlüssel zu bedienende Motorhaubenverschlüsse. Was sich dagegen bis zum Produktionsstopp des Jaguar E-Type im Jahr 1974 nicht geändert hat, sind die herrlich archaisch-rechtwinkligen, wie mit der Stichsäge ausgeführten Karosserieausschnitte der Türen und Motorhaube.

Geschmeidiger Abstieg ins Cockpit

Immerhin ermöglichen die Türen des Jaguar E-Type trotz des hohen und breiten Schwellers einen einigermaßen geschmeidigen Abstieg in das Jaguar E-Type-Cockpit, weil sie sich auch nach vorn bis unter die seitlich herumgebogene Windschutzscheibe öffnen. So lassen sich die Beine, nachdem auf dem Fahrersitz Platz genommen wurde, relativ problemlos im Fußraum verstauen. Der schlichte Schalensitz im Stil von „One size fits all“ erweist sich als erstaunlich bequem. Auch der Abstand des Oberkörpers vom nicht zu groß geratenen Dreispeichenlenkrad ist im Jaguar E-Type großzügig bemessen. Nur die Beine müssen stark angewinkelt werden, um auf den optimal platzierten Pedalen einen Slowfox tanzen zu können. Schnellere Tanzschritte quittiert das Moss-Getriebe im Jaguar E-Type mit unangenehmem Zähneknirschen.

Kann ein Auto-Cockpit aggressiv aussehen?

Im Jaguar E-Type der Serie 1 ist das ganz entschieden zu bejahen, mehr sogar als die Karosserie draußen. Die drei gelochten Chromspeichen des Lenkrads erinnern an eine im Rennsport bewährte Art der Gewichtsersparnis. Ebenso sportlich wirken der Starterknopf und die Kippschalterreihe auf dem Instrumentenbrett aus gehämmerten Aluminium, wo auch vier Zusatzinstrumente über das Wohl der Technik wachen. Direkt im Blickfeld liegen der große Drehzahlmesser und Tachometer des Jaguar E-Type, eingelassen in ein schwarzes Panel im Stil der Le-Mans-Rennwagen C- und D-Type. Wer jetzt noch auf dem Hupknopf dem zähnefletschenden Jaguar vor der karierten Flagge in die Augen blickt, der wünscht sich augenblicklich Rennfahrer-Handschuhe und -Helm, Hosenträgergurte und den Schutz der Heiligen Madonna.

So wild kommt es dann doch nicht. Der warme Jaguar E-Type-Motor startet mit leicht gedrücktem Gaspedal schon nach wenigen Anlasserumdrehungen und meldet sich mit dem angenehmen baritonalen Röhren des großen Reihensechszylinders zu Gehör. Sein Klang wirkt wie die umtriebige Beflissenheit eines angeleinten Jagdhunds, der endlich losrennen möchte. Das Kupplungspedal erfordert vom Fahrer etwas Nachdruck, das Vierganggetriebe jedoch viel Gefühl. Macht aber nichts. Ein kurzes Durchreißen der Gänge, um möglichst flott und ohne Tempoverlust von einer Drehzahlspitze zur nächsten zu hangeln, ist bei dem durchzugskräftigen Jaguar E-Type-Motor gar nicht nötig. Der erste Gang dient eigentlich nur zum Anfahren, und schon bei jeweils 3.000/min und auch weniger sind die nächsthöheren Gänge dran.

Mit Blick auf die Motorhauben-Hügel

Im moderaten Überland-Tempo leitet die Windschutzscheibe des Jaguar E-Type sehr effektiv den Fahrtwind über die Passagiere hinweg. Dank der tiefen Sitzposition und der strömungsgünstigen Karosserie zerzaust der Fahrtwind nur die Haare, während unterhalb der Schultern fast schon Windstille herrscht. So genießt der Jaguar E-Type-Pilot den Blick auf und über die beinahe endlos lange Motorhaube: Drei rote Hügel – zwei Kotflügel- und die Motorhauben-Auswölbungen – wiegen sich sanft im Rhythmus der Straße und folgen präzise den Lenkbefehlen. Die komfortabel federnden Einzelradaufhängungen und der vibrationsarme Motorlauf tragen ebenfalls dazu bei, dass der wilde Jaguar E-Type mehr einer Perserkatze gleicht. Kein Wunder, dass auch Frauen den Sportwagen liebten.

Doch der Jaguar E-Type kann auch anders. Wer den Motor bis etwa 5.800/min ausdreht, erreicht im ersten Gang 68, im zweiten 125 und im dritten 187 km/h. Der 3,8-Liter-Motor des Jaguar E-Type packt bei 4.500/min mit der Pranke eines Tigers zu und jagt den nur 1.120 Kilogramm leichten Roadster wie eine Boden-Boden-Rakete über den Asphalt. So sieht es der Fahrer, wenn die rote, rundliche Motorhaube an Büschen und Mauern vorbeizischt. Außerdem beeindruckt der Jaguar E-Type mit seiner hohen Fahrsicherheit – trotz der schmalen Spurweiten an Vorder- und Hinterachse, die ein zeitgleicher VW 1200 Käfer um jeweils zwei Zentimeter sogar übertrifft. Aber diesen kleinen Makel tragen wir dem ewig jungen Geburtstagskind in keiner Weise nach. Happy Birthday E-Type!