Lamborghini Miura P 400 im Fahrbericht

Schönster Lambo aller Zeiten

Bereits in der Garage bereitet der Lamborghini Miura dank seiner eingebauten Raffinessen viel Freude. Und auf der Straße betört der Sportwagen mit einer Präsenz wie einst die Callas in Tosca.

Lamborghini Miura P 400 Foto: Arturo Rivas 32 Bilder

Auch für uns Kinder zählte der Lamborghini Miura kurz nach seinem Erscheinen zu den großen Sportwagen-Favoriten. Vor allem die gegenläufig sich öffnenden Front- und Heckhauben sowie die hinten hochgezogenen, mit Kühlluft-Lamellen versehenen Türen schlugen uns damals in ihren Bann. 

"Erinnern Sie sich an die Zeit, als Sex sicher war und Rennfahren gefährlich?"

Wir stellten die 1:43-Modelle des Lamborghini Miura von Corgi Toys oder Polytoys mit geöffneten Hauben und Türen ins Regal - als Blickfang für Freunde und Besucher, um bei Bedarf die Nichtwisser aufzuklären: "Das ist ein Miura!" Dann nahm man das Modell in die Hand, klappte wie bei einem Schweizer Taschenmeser Türen und Hauben zu und zeigte den flachen Italo-Renner in seiner ganzen, noch heute atemberaubenden Schönheit.

Die Wirklichkeit im Maßstab eins zu eins, rund 40 Jahre später. Ein Lamborghini Miura parkt wieder mit aufgeklappter Karosserie vor dem Fabrikgebäude der Firma Pester Pac Automation in Wolfertschwenden bei Kempten im Allgäu. Der senffarbene Lamborghini Miura gehört Firmenchef Thomas Pester, der das Familienunternehmen in bereits vierter Generation führt und sich auf Verpackungsmaschinen für die Kosmetik- und Pharma-Industrie spezialisiert hat.

Sein Miura zeigt leichte, sympathische Gebrauchsspuren, ist aber technisch absolut top. "Ich mag keine reinen Show-Cars, die mit dem Hänger zu Schönheitswettbewerben gebracht und sonst kaum bewegt werden", sagt Pester. Beim Lamborghini Miura sei das inzwischen ganz extrem, man würde heute auf den Straßen praktisch keine mehr fahren sehen, "auch nicht bei Oldtimer-Rallyes".

Offen zur Schau gestellte Technik

Vielleicht liegt es daran, dass der Lamborghini Miura bereits im Stillstand ein unerschöpflicher Quell der Freude ist. Gerade seine offen zur Schau gestellte Technik, deren Details jetzt am Original voll zur Geltung kommen, weckt in jedem Sportwagen-Fan wahre Wogen der Begeisterung: Das aus Vierkant-Stahlträgern geformte Chassis, das wie die Verstärkungsbleche der beiden Hauben mit zahllosen kreisrunden Löchern zur Gewichtsersparnis versehen ist; die frei einsehbaren Radaufhängungen; das kleine Öl-Fässchen der Trockensumpfschmierung und selbstverständlich der quer vor der Hinterachse platzierte V12, mit den beiden großen Luftfilterkästen, unter denen nicht weniger als vier Weber-Dreifachvergaser den mächtigen Vier-Nockenwellen-Leichtmetallmotor mit zündfähiger Nahrung versorgen.

Lamellen und Sechsecke am Lamborghini Miura

Wir schließen jetzt die Hauben und widmen uns den herrlichen Details, welche der Designer Marcello Gandini, ein Mitarbeiter von Bertone, am Lamborghini Miura für die Nachwelt hinterlassen hat: Die offenen Lamellen über dem Motor, die Lamellen an den Türen, in die sogar die beiden Türgriffe integriert sind und das wichtige, zweigeteilte Entlüftungsgitter auf der Fronthaube, durch das die vom Wasserkühler aufgeheizte Luft ins Freie gelangt.

Zum Schluss entdecken wir im Entlüftungsgitter am Heck die grandiosen Gandini-Sechsecke, die für viele Bertone- Kreationen aus jener Zeit typisch sind – außen wie auch innen. Der Einstieg in den Lamborghini Miura ist trotz einer Fahrzeughöhe von nur 1,05 Meter dank grosszügig bemessener Türausschnitte kein Problem. Einmal im lederbezogenen Schalensitz Platz genommen, überraschen die hervorragende Sicht nach vorn und die Größe der Windschutzscheibe: Himmel und Straße sind stets im Blick.

Entspannt sitzen in Rennsport-Atmosphäre

Die Sitzpostion im Lamborghini Miura ist angenehm entspannt, der Abstand der Arme zum stark angewinkelten Lenkrad perfekt - nur die Beine müssen wegen den nah herangerückten, stehenden Pedalen etwas angezogen werden. Im Blickfeld des Fahrers liegen Drehzahlmesser und Tachometer. Eine hochgezogene, dem Fahrer zugewandte Mittelkonsole gibt mit ihren kleinen sechs Rundinstrumenten Auskunft über das Wohlbefinden des V12. Die Kippschalterleiste für die Bordelektrik befindet sich oberhalb des Rückspiegels am Dachhimmel und erzeugt eine gewisse Rennsport-Atmosphäre. 

Das Gleiche gilt für den Blick durch die niedrige Heckscheibe des Lamborghini Miura, wo man primär die Vergaser bei der Arbeit beobachtet. Der warme Motor startet spontan und ohne Tritt auf das Gaspedal, das dann beim Fahren ebenso wie die Kupplung nach strammen Waden verlangt. Ein muskulöser und zugleich sensibler rechter Oberarm wäre auch angebracht, um den Schalthebel durch die offene Chromkulisse zu führen.

Doch all das wird zur Nebensache, wenn von hinten mit jedem Gasstoß die 350 PS signalisieren, dass es endlich losgehen kann. Weniger das durch die Luftfilterkästen gedämpfte Vergaser-Röcheln als vielmehr das kernige Auspuff-Röhren ermahnen zu einem sanften Umgang mit dem Gaspedal.

Von 20 bis 275 im Fünften Gang

Das macht dem Miura kaum etwas aus, der Motor zieht in jedem Gang schon ab 500/min durch. Der Fünfte reicht tatsächlich von 20 bis 275 km/h, was Paul Frère 1967 erfolgreich ausprobierte und in Ausgabe zwei der "Motor Revue" festhielt. Doch der Lamborghini Miura kann auch anders, wird ab 4.000/min zum wilden Stier und erreicht in den ersten beiden Gängen die 8.000er-Marke mit beängstigendem Elan: Straße und Drehzahlmesser sollten gleichermaßen konzentriert im Auge behalten werden, damit der Wagen heil bleibt.

Zum Glück agieren die direkte Lenkung und die kräftigen Bremsen des Lamborghini Miura entschlossen auf die Befehle des Fahrers, weshalb der Stier später ohne Kampfspuren wieder im Stall stehen darf. Und dort, das wissen wir jetzt, macht dieses herrliche Spielzeug keine so schlechte Figur.

Alternativen zum Lamborghini Miura über 60.000 Euro

Die Preise in der nach oben offenen Sportwagen-Klasse sind durch die Knappheit des attraktiven Produkts bestimmt. Und: Einst klangvolle Namen scheinen heute (vorübergehend?) neu bewertet zu werden.

Ferrari 275 GTB

Der Nachfolger des 250 GT mit attraktiver Pininfarina-Karosserie wurde 1964 vorgestellt und erinnert optisch an den legendären 250 GTO. Der 3,2-Liter-V12 leistete 280 PS und ermöglichte eine Spitze von 270 km/h. Ab 1966 gab es den 275 GT mit verlängerter Nase ("Long Nose") und mit vier obenliegenden Nockenwellen. Insgesamt entstanden 442 Stück. Der derzeitige Preis für gepflegte Modelle liegt bei rund 650.000 Euro.

BMW M1

Ja, ein Youngtimer, aber der Shooting-Star der letzten Jahre, dessen Kaufpreis derzeit rund 135.000 Euro beträgt. Dabei interessierte sich damals für den von 1978 bis 1981 produzierten Sportler kaum jemand. Vielleicht lag es an dem bescheidenen 277-PS-Sechszylinder, der die Giugiaro-Karosserie immerhin bis auf 250 km/h beschleunigte. Es entstanden von dem nur mäßig verarbeiteten Italo-Bayern rund 450 Einheiten.

Motor Klassik-Geheimtipp: Maserati Ghibli

Den vielleicht bekanntesten Maserati überhaupt mit stilbildender Fastback-Karosserie, die Giugiaro noch ohne ständigen Lineal-Einsatz realisierte, gibt es derzeit zum Schnäppchen-Preis - besonders im Vergleich zu den Konkurrenten von Ferrari und Lamborghini. Für 75.000 Euro erhält man ein gepflegtes Coupé, dessen 4,7-Liter-V8 stramme 330 PS leistet. Von 1966 bis 1970 gebaut, zählte der Ghibli zu den Schnellsten auf der Straße.

Felgen und Reifen – noch immer fit für 275 km/h

Natürlich werden die wenigsten Lamborghini Miura-Besitzer ihr Schätzchen mit Topspeed über die Autobahn jagen, aber schon bei einer harmlosen Kurvenhatz können ein geplatzter Reifen oder eine gebrochene Felge großen Schaden anrichten. Besonders die Magnesium-Räder des Miura benötigen eine schützende Lackschicht - auch auf der Innenseite. Die Reifen, die für den Miura nur schwer zu bekommen sind, müssen dennoch unabhängig von der Laufleistung alle acht Jahre gewechselt werden