Lancia Fulvia und Beta Montecarlo

Ungleiche Geschwister von Lancia

Die beiden Lancia-Modelle Fulvia und Beta Montecarlo standen zeitgleich Mitte der 70er Jahre bei Lancia-Händlern zwei vollkommen unterschiedliche Autos zur Wahl - die frontgetriebene Fulvia sowie der Mittelmotor-Sportler Montecarlo. Beide stehen für das, was Lancia einst ausmachte: ausgefallene technische Lösungen und hoher konstruktiver Aufwand.

Foto: Arturo Rivas 28 Bilder

Die keilförmige Flunder mit der mattschwarzen Kunststoffschnauze erträgt ihr Schicksal mit Würde: Kaum jemand, der zufällig beim Motor Klassik-Fototermin vorbeikommt und dem Team neugierig über die Schultern blickt, erinnert sich an ihren vollständigen Namen - Lancia Beta Montecarlo. Dabei war dieses bereits im Stand recht angriffslustig wirkende Auto hier zu Lande mal ein Star.

Zur gleichen Zeit und doch Generationen voneinander entfernt

Der Mönchengladbacher Hans Heyer hatte 1980 damit die Deutsche Rennsportmeisterschaft gewonnen. Und im gleichen Jahr düpierte dieser Wagen im turbogestärkten Renntrimm Porsche und Co., indem er die Marken-Weltmeisterschaft kassierte. Dennoch wollte damals kaum jemand einen Montecarlo besitzen. Kein Wunder, dass dieser Wagen heutzutage Exotenstatus genießt. Mit dem zweiten Kandidat scheint dagegen jeder sofort per Du zu sein. Ein Fulvia Coupé - Lancias Bestseller ab Mitte der 60er Jahre. Eine klassische Schönheit mit kantigem Heck und filigranem Dachaufbau. Und eine automobile Legende: Mit Sandro Munari am Steuer 1972 die überaus imageträchtige Rallye Monte Carlo gewonnen, im gleichen Jahr Sieger in der Rallye-Marken-WM und ein Jahr später auch noch Rallye-Europameister.

Was diese beiden gänzlich unterschiedlich anmutenden Autos neben ihren sportlichen Erfolgen verbindet? In den Jahren 1975 und 1976 hätten Interessenten im Verkaufsraum eines Lancia-Händlers zwischen beiden Fahrzeugen wählen können - die Fulvia am Ende ihrer Karriere, der Montecarlo am Anfang seines glücklosen Daseins. Beide repräsentieren die Vorliebe des Unternehmens für ausgefallene, technische Konzepte: Bei der Fulvia werden die Vorderräder von einem V4-Aggregat angetrieben, dessen Zylinderwinkel mit nur 13° (genauer: 12°53´28´´) so eng ist, dass die zwei Zylinderpaare quasi wie bei einem Reihenmotor unter einem Zylinderkopf Platz finden. Beim Montecarlo dagegen sitzt ein Vierzylinder-Reihenmotor quer vor der Hinterachse.

Sollten doch die anderen Hersteller unter rationellen Gesichtspunkten Autos für die breite Masse produzieren und an für einmal gut befunden Ideen festhalten - Lancia zählte zu Italiens ältesten und vornehmsten Autoherstellern und hatte einen Ruf als Innovationsschmiede aufrechtzuerhalten. Dass man mit seinen Produkten auch Geld verdienen muss, schien bei Lancias Strategen bisweilen eher Nebensache zu sein.

Mit der Fulvia war dem durch die italienische Wirtschaftskrise stark angeschlagenen Unternehmen jedoch endlich wieder ein großer Wurf gelungen. Dabei hatte das Turiner Unternehmen bei der Gestaltung des Wagens entgegen alter Gewohnheiten nicht einmal die Hilfe so berühmter Designer wie Pininfarina (der bereits die Coupés von Flaminia und Flavia entworfen hatte), Bertone oder Zagato in Anspruch genommen.

Reduktion ist das Geheimnis des Fulvia-Designs

Diesmal war es Lancia-Designchef Piero Castagnero, der mit dem 1965 präsentierten Fulvia Coupé ein unverwechselbares Meisterstück ablieferte, das elf Jahre lang mit Ausnahme von diversen Motorvarianten nahezu unverändert gebaut wurde. Sein Rezept: eine einfache und strenge Grundform mit Stufenheck. Und der völlige Verzicht auf aufreizende Stilelemente. Der lichtdurchflutete Innenraum verströmt die gleiche klare Eleganz. Zwei große und drei kleinere Rundinstrumente für Geschwindigkeit, Drehzahl, Benzinstand, Wassertemperatur und Öldruck entpuppen sich als einziges Schmuckwerk in einem schlichten und stilvollen Umfeld. Der Fahrer sitzt tief vor einem relativ hoch stehenden Lenkrad und kommt sich wegen der großen Fensterflächen ein wenig wie in einem Gewächshaus vor. Nicht zuletzt dadurch vermittelt der Zweisitzer - die hintere Bankreihe reicht bestenfalls als Ablage für etwas Handgepäck - ein überaus großzügiges Raumgefühl, wie es sonst nur in einer Limousine erwartet wird.

Konstruktiv enorm aufwändig - der Lancia Fulvia-Motor

Der Motor wird durch Drücken des Zündschlüssels zum Leben erweckt, doch im Stand ist von dem klein bauenden 1300er-Vierzylinder kaum etwas zu hören. Und schon gar nichts zu spüren. Der enge V-Winkel wirkt sich so günstig auf den Massenausgleich aus, dass nicht einmal Ausgleichswellen erforderlich sind. Um eine Zweiteilung der Nockenwelle kamen die Ingenieure allerdings nicht herum. Auf jedem Zylinderpaar rotiert eine eigene Welle, von denen eine die Einlass- und die andere die Auslassventile aller vier Zylinder betätigt. Dass Lancias Konstrukteure technik- und detailverliebt ihren Job machten, belegen halbkugelförmige Brennräume, V-förmig angeordnete Ventile und der Einsatz von Aluminium für den Motorblock, den Zylinderkopf und das Getriebegehäuse.

Ab 2.000 Umdrehungen weht schließlich ein angenehm sportlicher Ton durch die Kabine, und ab etwa 4.000 Touren beginnt in einer Fulvia der Spaß. Die 87 PS genügen heute noch, um in dem nur 960 Kilo leichten Wagen auf kurvigen Landstraßen Eindruck zu schinden. Die Fulvia lässt sich spielerisch durch die Kurven zirkeln und verleugnet ihren Frontantrieb wie kaum ein anderes Auto seiner Zeit, das über die Vorderräder in Schwung gehalten wird.

Lancia Montecarlo mit unterfordertem Fahrwerk

Ganz anders der Montecarlo. Der Sportler verlangt zwei feste Hände am Lenkrad, wenn es mit Schwung durch die Ecken gehen darf. Andererseits verhält er sich in der Schräge sehr lange sehr gutmütig. Nicht einmal abruptes Gaswegnehmen bringt diesen Keil dort ernsthaft aus der Ruhe, die typischen Lastwechselreaktionen eines Mittelmotorautos bleiben überschaubar. Leider blieb auch die Leistung über die gesamte Produktionszeit recht überschaubar - 120 PS. Mehr war dem quer eingebauten Zwei-Liter-Triebwerk, das vom Fiat 132 stammt, nicht zu entlocken. Der Wagen könnte durchaus mehr Dampf vertragen. Das Fahrwerk würde es locker verkraften.

Das Aussehen sowieso: Pininfarina hatte die knackige Form mit dem langen vorderen Überhang, dem kurzen Stummelheck und den schräg nach hinten abfallenden Dachstreben bereits Anfang der 70er im Auftrag von Fiat gezeichnet. Und verzichtete dabei ebenfalls auf jeglichen Chromschmuck. Als X1/20 sollte dieser kompromisslose Sportler oberhalb des X1/9 positioniert werden. Erst kurz vor der Präsentation auf dem Genfer Salon im Jahr 1975 zog Fiat-Chef Agnelli die Notbremse - und verzierte den neuen Wagen, der nun Montecarlo hieß, mit dem traditionsreichen Lancia-Wappen. Fiat hatte sich bereits vor sechs Jahren das hochverschuldete Familienunternehmen Lancia einverleibt - nicht zuletzt, um von dem ruhmvollen Namen zu profitieren. Sportwagen-Fans, da war man sich sicher, würden sehr wahrscheinlich viel lieber zu einem Lancia als zu einem Fiat greifen.

Auch der zweite Anlauf des Montecarlo scheitert am Motor

Doch die Rechnung wollte diesmal nicht aufgehen. Zu wenig Leistung und ein zu hoher Verbrauch - die Fachpresse hatte den Wagen rasch erledigt. Vier Jahre nach seiner Präsentation wurde der Montecarlo bereits wieder aus dem Sortiment genommen.

Von einigen Erfolgen im Rennsport ermutigt, bot Lancia ab 1980 den Montecarlo ein weiteres Mal an. Ein paar optische Retuschen, größere 14-Zoll- Felgen und ein moderneres Interieur vermochten jedoch nicht die größte Schwachstelle des Wagens zu kaschieren: bescheidene 120 PS. Der neue Maßstab auf Deutschlands Straßen hieß Golf GTI - und der zog einem Montecarlo inzwischen davon. Im Juni 1981 stellte Lancia das Projekt Montecarlo nach insgesamt nur 7.695 verkauften Exemplaren endgültig ein. Das Fotomodell gehört zu den letzten Exemplaren dieses Typs.

Sobald man in den bequemen Schalensitzen mehr liegt als sitzt und der Motor direkt hinterm Nacken vor sich hingrollt, erscheint jede Leistungsdiskussion aus der Vergangenheit überflüssig. Der Fahrer betrachtet die Welt in diesem flachen Sportler von nun an von unten und freut sich vor den in Kunststoff gegossenen, kantigen Instrumenten über das fast schon Cart-ähnliche Fahrverhalten. Und die neugierigen Blicke sind sicherlich bald kein Thema mehr.