Lancia Stratos HF und Fulvia 1.3 Fahrbericht

Spurensuche in italienischen Rallye-Klassikern

Der Lancia Stratos und das Fulvia Coupé haben einst die legendäre Rallye Sanremo gewonnen. Wir sind mit den beiden Rallye-Klassikern noch mal dorthin gefahren - und haben die Kurvenräuberei genossen.

Lancia Stratos HF, Lancia Fulvia 1.3, Frontansicht Foto: Hardy Mutschler 23 Bilder

Auf den Spuren von Röhrl und Munari

Es dürfte die wohl beste Adresse an der Küste zwischen Monaco und Portofino sein: das Royal Hotel Sanremo. Der Röhrl hat hier geschlafen, die Mouton, der Munari und natürlich all die anderen Piloten, wann immer die Rallye Sanremo auf dem Kalender stand. Schon während des Frühstücks konnten die Teams bequem aus den großen Fenstern ihres Fünf-Sterne-Fahrerlagers beobachten, was auf dem etwas unterhalb am Meer gelegenen Startplatz los war. Dort stand sich längst die halbe Stadt die Beine in den Bauch, um einen Blick auf die Rallye-Boliden zu werfen, bevor diese ins Hinterland verschwanden. Damals in den Sechzigern und Siebzigern, als Rallye-Piloten noch für Heldengeschichten gut waren und deren Autos auf Postern in jedem Jungenzimmer an den Wänden hingen.

Zwei Modelle, die hier einst Rallye-Geschichte geschrieben haben, sind jetzt an diesen Ort zurückgekommen, allerdings nicht im wilden Sport-Look, sondern in ihrer jeweils zivilen Version: ein Lancia Fulvia Coupé, das insgesamt sechsmal die Sanremo gewonnen hat, sowie ein Lancia Stratos, der 1974 hier gleich bei seinem ersten Rallye- Einsatz allen anderen davongefahren ist (so wie er es in den kommenden Jahren noch oft tun sollte).

Der letzte von 153.000 Lancia Fulvia

Die, die zufällig vorbeikommen, bleiben überrascht stehen, viele nicken anerkennend. Che belle macchine! In den Augen einiger ist deutlich zu lesen, dass Lancia doch bitte endlich wieder solche Autos bauen soll - wie Fulvia und Stratos.

Bei beiden Fahrzeugen handele es sich um besonders gehütete Exponate aus der Fiat-Lancia-Kollektion in Turin, erklärt Hartmut Stöppel, der mit mir nach Sanremo gereist ist. Nicht zuletzt hat die freundschaftliche Beziehung des Bonner Spezialisten für italienische Klassiker (www.stoeppel.ch) zu Raffaele Terlizzi, dem Leiter der Kollektion, es schließlich ermöglicht, dass wir heute darin einen Teil der Rallye-Strecken in den Bergen hinter Sanremo unter die Räder nehmen dürfen.

Bevor wir losfahren, erklärt Terlizzi noch die Besonderheiten seiner Schätze. Das hellblaue Lancia Fulvia 3 Coupé sei am 10. Januar 1976 als letztes von insgesamt 153.000 gebauten Exemplaren vom Band gelaufen und danach in die hauseigene Sammlung verschwunden. Bis heute sei das Auto nur 324 Kilometer bewegt worden.

Stratos-Prototyp ist die Schönheit mit kantigem Heck

Bei dem Lancia Stratos, erklärt Terlizzi , würde es sich um zwar um eines der knapp 500 Exemplare handeln, die einst für die Homologation der Gruppe 4 gebaut wurden. Dem Auto seien jedoch 1974 zu Versuchszwecken hinten bereits die verbreiterte Karosserie der Rallye-Boliden sowie entsprechend breite Reifen montiert worden. Im Prinzip handele es sich um einen Prototypen.

Also gut: ein Klassiker im Neuwagenzustand und ein Einzelstück. Leicht nervös gehe ich auf das Lancia Fulvia Coupé zu, jene klassische Schönheit mit dem kantigen Heck und dem filigranen Dachaufbau, die 1965 präsentiert wurde. Formal ein großer Wurf von Lancias Designchef Piero Castagnero, der sich auf eine einfache wie strenge Grundform beschränkte und dabei gleichzeitig auf aufreizende Stilelemente verzichtete. So ein Auto darf ruhig elf Jahre lang nahezu unverändert im Programm bleiben.

Der Innenraum verströmt die gleiche klare Eleganz. Zwei große und drei kleinere Rundinstrumente entpuppen sich als einziges Schmuckwerk in der lichtdurchfluteten Kabine. Noch während ich im Lancia Fulvia Platz nehme, erklärt Terlizzi , dass der Motor durch Drücken des Zündschlüssels zum Leben erweckt wird und dass der erste von fünf Gängen wie bei einem reinrassigen Sportwagen links hinten sitzt.

Beste Übersicht im Lancia Fulvia

Vorsichtig fädele ich mich mit der Fulvia in den Stadtverkehr Sanremos ein. Prompt stiehlt ein Kleinlaster die Vorfahrt, schießen Rollerfahrer aus allen Richtungen an uns vorbei, nicht wissend, über welchen ideellen Wert dieses hellblaue Coupé verfügt. Die Rundumsicht ist dank der großen Fensterflächen und der fingerdünnen Dachholme allerdings ungewöhnlich gut - besser als in jedem modernen Auto.

Nur 15 Minuten später ist die Welt eine andere. Steil und kurvig windet sich der einsame Weg durch die Berge hinauf bis San Romolo und weiter in Richtung Baiardo. Zerschundener Asphalt, enge Kehren und meistens kein Schutz gegen den freien Fall, eben klassisches Sonderprüfungsterrain. Zwischen 1973 und 2003 zählte die bereits 1927 erstmals ausgetragene Rallye Sanremo zu den Wertungsläufen der Rallye-WM, und diese Zeit hat Spuren am Straßenrand hinterlassen.

Spuren am Straßenrand

"Röhrl" steht in großen Buchstaben auf einer Mauer kurz vor Baiardo. Der Lancia Fulvia fühlt sich in dieser Welt offensichtlich pudelwohl, kaschiert perfekt ihren Frontantrieb und ihre vergleichsweise geringe Leistung von nur 89 PS, zumindest solange der Zeiger im Drehzahlmesser sich oberhalb der 4.000-Touren-Marke befindet. Selbst bei hohem Tempo genügen zwei Finger, um das nur 970 Kilo leichte Coupé sauber durch die Kurven zu manövrieren.

Das klein bauende Triebwerk verrichtet seine Arbeit allerdings vollkommen unspektakulär, schon deshalb, weil sich der enge V-Winkel von nur 13 Grad günstig auf den Massenausgleich auswirkt. Nicht einmal Ausgleichswellen sind erforderlich. Auf Grund des engen V-Winkels passen beide Zylinderbänke unter einen Zylinderkopf. Über jedem Zylinderpaar rotiert eine kurze Nockenwelle, von der die eine die Einlass- und die andere die Auslassventile aller vier Zylinder betätigt. Typisch Lancia. Das Ungewöhnliche als Tradition.

Umstieg in den Stratos ist Einstieg in eine neue Welt

Fahrzeugtausch am Straßenrand unterhalb von Baiardo, das wie ein Adlerhorst weithin sichtbar auf einem Bergrücken thront. Die Kehren dort hinauf sind das vermutlich fotogenste Teilstück der Rallye Sanremo. Aber nun endlich der Lancia Stratos! Im engen Cockpit, dessen Dach gottlob gepolstert ist, weil es ohne Kopffreiheit auskommt, herrscht improvisierte Rennatmosphäre.

Sieben schmucklose Rundinstrumente und willkürlich verteilte Hebel und Schalter aus dem Fiat-Regal, knapp geschnittene Sitzschalen und in den Türen große Fächer für die Helme der Fahrer – anders als das Lancia Fulvia Coupé, ein braves Straßenauto, das man für den Sport modifiziert und das nun ausgedient hatte, wurde der Stratos kompromisslos für Rallyes gezüchtet.

Dessen technische Layout sah einzig einen kurzen Radstand, niedriges Gewicht und für die Wagenmitte einen renntauglichen Motor vor, den Lancia allerdings nicht besaß. Sportchef Cesare Fiorio musste dafür die Konzern-Verwandtschaft anbetteln, bis Ferrari schließlich den 190 PS starken V6 aus dem Dino herausrückte.

Der klingt im Standgas erst einmal völlig unaufgeregt. Erster Gang (natürlich links unten), etwas Gas, die Kupplung kommen lassen und ab auf die Straße in Richtung Apricale. Der Stratos verbeißt sich sofort in die schmale Bergtrasse, fühlt sich in den vielen engen Kurven und Kehren in seinem Revier, das er dank seines ultrakurzen Radstands einst wie kein anderer dominierte.

Im Stratos braucht man Hände wie Schraubstöcke

Doch um wirklich schnell zu sein braucht man Hände wie Schraubstöcke. So ein Lancia Stratos zickt schon mal wie ein übellauniger Teenager und weigert sich beharrlich, seinen Grenzbereich preiszugeben. Nur wenige (Munari, Waldegård, Darniche) haben dieses wilde Biest wirklich beherrscht. Ach ja: Wie das Auto klingt, wenn der Gasfuß Bodenkontakt hat? Infernalisch.

Kurzer Halt in den alten Gassen von Apricale, wo der Lancia Stratos mit seiner extremen Keilform und der Glaskanzel als Windschutzscheibe noch mehr als sonst wie ein Wesen aus der Zukunft wirkt. Vielleicht ist er darum vielen in Erinnerung geblieben. Vermutlich ärgern sich einige auch, dass sie einst keinen erstanden haben, als Lancia 1978 die letzten Modelle mangels Nachfrage zu Dumpingpreisen verscherbelt hat. Heute dürfte unter 200.000 Euro kein guter Stratos zu haben sein.

Weiter über einen Bergkamm bis Perinaldo, schließlich wieder San Romolo, wo die Rallye-Szene sich heute noch regelmäßig in dem urigen Restaurant von Orlando Dall'Ava einfindet. Lancia Fulvia und Stratos sind bei dem ehemaligen Rallye-Piloten natürlich willkommene "Gäste" - es dürfte die wohl beste Adresse in den Bergen zwischen Monaco und Portofino sein.

Reisetipps Sanremo

  • Hotel: Das 1872 eröffnete Royal Hotel Sanremo zählt nach wie vor zu den besten Häusern an der "Blumenriviera". Das in einem tropischen Garten und nur durch einen Boulevard vom Strand getrennte Fünf- Sterne-Haus bietet nahezu jeden erdenklichen Luxus, nicht nur für Rallye-Piloten. Die Preise für ein Standard-Doppelzimmer beginnen je nach Saison bei 185 Euro. Infos: www.royalhotelsanremo.com
  • Restaurant: In dem kleinen Bergdorf San Romolo, etwa 16 Kilometer oberhalb von Sanremo, betreibt der frühere Rallye-Fahrer Orlando Dall'Ava seine kleine, aber feine Pizzeria. Deren Wände sind über und über mit Rallye-Fotos und -Schildern aus den 70erund 80er-Jahren behängt. Ach ja, die Pizzen sind ein Gedicht!