Mercedes 280 SE (W126) mit 326.438 km

S-Klasse für 1.000 Euro

Ein echtes Sternen-Schnäppchen: Für nur 1.000 Euro gibt es diesen herrlichen Mercedes 280 SE aus dem Jahr 1983 in der Kultfarbe Braun 427 mit vielen Extras. Nichts wie hin und weg!

Mercedes-Benz 280 SE, Seitenansicht Foto: Hardy Mutschler 20 Bilder

Der W126 steht schon seit anderthalb Jahren

Das Kurzzeit-Kennzeichen M-043902 zeigt als Verfallsdatum den 1. Juli 2012. Runde Kringel, mit weißem Edding auf die Frontscheibe gemalt, sagen lakonisch „1.900 Euro“ und „Baujahr 1983“. Der mattbraune Mercedes 280 SE überwinterte unter einem Kastanienbaum, modriges Laub steckt in den Karosseriefugen, die getönte Verbundglas-Heckscheibe zeigt milchige Ränder. Über 30 Jahre ist der große Sechszylinder alt, also ein potenzielles H-Kennzeichen-Auto wie mein 380er..

Das Uni-Braun, Farbcode 427, finde ich toll, diese 240-Diesel-Fehlfarbe hat sich auf dem Lack einer S-Klasse verlaufen. Händler Alexander Filin kommt mir bei dem Mercedes 280 SE entgegen: „Diese fiese Kompost-Farbe ist Kassengift, für einen Tausender kannst du die Karre mitnehmen. Ich bin froh, wenn die weg ist“, schimpft er. „Aber fahr erst mal damit.“

Kilopreis von 62 Cent und 20 Extras

Ich zögere noch ein wenig. Der Kilometerzähler im dicht besiedelten Kombi-Instrument des Mercedes 280 SE zeigt immerhin die astronomische Zahl 326.438 an. Die Polsterung im empfindlich hellen Farbton „Creme 055“ ist stellenweise fleckig. Der Fahrersitz ist zwar nicht aufgescheuert, aber stark verschmutzt. Dabei ist mir ein sauberes Wohlfühl-Interieur sonst viel wichtiger als rostfreie Schweller. Trotzdem nehme ich hinter dem Lenkrad Platz, lasse den Wagen in einer meditativen Viertelstunde auf mich wirken. Der Inhalt des Handschuhfachs spielt in dieser letzten Besinnungsphase vor dem unvernünftigen Kauf eine besondere Rolle.

Die Bordmappe ist komplett mit Bedienungsanleitung und Wartungsheft, letzter dokumentierter Kundendienst bei Kilometerstand 215.000 am 27. März 1993, also schon ein Weilchen her. Anfangs viele Stempel von Auto Henne, Grünwald. In diesem Villenvorort von München hat der braune Mercedes 280 SE wohl goldene Zeiten erlebt.

Die Datenkarte zeigt 20 Extras, die meisten davon sind wenig spektakulär. Klima, Leder oder Velours Fehlanzeige, dafür aber ABS, Tempomat, Schiebedach, Becker Europa Cassette Kurier und beleuchtete Make-up-Spiegel in den Sonnenblenden. Später werde ich laut 1983er-Preisliste 61.489,30 Mark ausrechnen. Der Fahrzeugbrief, den Filin mir durch die geöffnete Fahrertür reicht, kennt nur drei Vorbesitzer. Der letzte TÜV-Bericht des Mercedes 280 SE klebt ganz hinten in der transparenten Bordmappe. Durchgefallen im Juni 2012, aber die Mängel sind nicht dramatisch. Korrosion an Wagenheberaufnahme hinten rechts, Traggelenke verbraucht und wie üblich Ölverlust an Motor und Antrieb.

Sechszylinder springt sofort an

Mal sehen, wie der Mercedes 280 SE so läuft. Filin schleppt eine schwere 85-Ah-Batterie herbei, die vorhandene 60er-Berga ist tiefentladen, also tot. Der Doppelnockenwellen-Sechszylinder springt gierig auf den ersten Schlüsseldreh an, leider ungewollt – Öldruck aufbauen per Anlasserorgeln hätte nach langem Stehen nicht geschadet.

Viel Öl ist oben an den Schlepphebeln und Nocken des prächtigen Zylinderkopfs also noch nicht angekommen. Auffällige Geräusche gibt es keine, der Motor tönt laut, die Leerlaufdrehzahl klettert auf 2.000/min, ein Rütteln am schwergängigen rostigen Gestänge unter der Luftfilter-Bratpfanne holt sie wieder auf 1.200/min runter. Die Abgase des Kat-losen Mercedes 280 SE riechen etwas nach verbranntem Öl, und während er langsam warmläuft, finde ich Gefallen an dieser seltsamen S-Klasse in der seltsamen Farbe mit der seltsamen Ausstattung. Rundum hat die Karosserie ein paar fiese Rostplacken, aber Radläufe und Heckscheibenrahmen sind gesund.

Die Hydraulik der Zentralverriegelung kann den Druck nicht mehr halten, und die schwere Fahrertüre fällt mir lästig in die Knie. Die Diagnose: kaputtes Fangband, wie so oft. Ich schiebe zwei Fünfhunderter über Filins rustikalen Holztisch, schnappe mir den Brief des Mercedes 280 SE, klebe die rote Nummer dran und gebe mich wieder meinem Lieblingsabenteuer „Mit abgerocktem Benz durch die Großstadt“ hin.

Das Wetter an diesem Dezembertag ist perfekt, sonnig, mild, ein weißblauer Himmel grüßt freundlich durchs geöffnete Schiebedach. Schon nach wenigen Kilometern weiß ich: Auch dieser Daimler bringt mich problemlos nach Hause. Der heisere Klang des Sechszylinders wird im Leerlauf vor der Ampel von einem hellen Klickern untermalt, sind es die Ventile? Was soll's, 1.000 Euro, denke ich mir. Dafür kriegt man nicht einmal ein gescheites Rennrad. Den schmutzigen Fahrersitz des Mercedes 280 SE muss ich gottlob nicht sehen, weil ich draufsitze, werde aber gleich heute Abend mal bei E-Bay suchen, ob es wenigstens einen Beifahrersitz „Stoff Creme“ in Schön gibt.

Ohne Mercedes-Stern geht es nicht

Eine heftige Attacke mit Schaumbürste und Lanze hat den Grobschmutz von der Karosserie des Mercedes 280 SE gefegt. Aus der Fahrerperspektive vermisse ich den Stern, dieses glücksbringende Navigationsgerät alter Schule, das einem auf allen Straßen den Weg weist. Ein kurzer Abstecher zum Truderinger Mercedes-Vertreter Mandl & Dreier löst das Problem. Der freundliche Mechaniker schließt die offene Wunde, jetzt ist der Benz komplett. Leider wurde einst Code 260 geordert, Entfall der Typenbezeichnung, sonst könnte ich mich über noch mehr Chrom freuen. Die frisch besternte Kühlerattrappe instinktiv schon gen Osten gerichtet, folge ich der B 304 Richtung Wasserburg am Inn.

Das bedeutet Auslauf, schneller als nur 60 fahren. Während ich so lenk' und denk', fällt auf, dass die Viergangautomatik trotz hoher Laufleistung sanft genug schaltet. Auch das Lenkspiel ist unauffällig. Mit 185 PS ist der Mercedes 280 SE gut motorisiert. Nur gefühlt wirkt der 380 SE (204 PS) viel kräftiger. Doch Gefühlt zählt mehr als Nominell.

Bestechend originaler Zustand

Erfreulich ist, dass mein neuer alter Mercedes 280 SE in gut 30 Jahren bestechend original blieb. Kein Radlaufchrom, keine fiesen Melber-Alus, kein Handy-Halter. Noch nicht mal eine Grünkeil-Frontscheibe verdirbt den Auslieferungszustand nach Datenkarte. Dringlicher und realistischer als beim deutlich schlechteren 380 SE heißt bei meiner Neuerwerbung das Ziel H-Kennzeichen. Wie das geht bei einem gut gebrauchten 1.000-Euro-Youngtimer, wie viel Geld ich noch in die Hand nehmen muss und ob es am Ende überhaupt klappt, steht dann im nächsten Youngtimer-Heft.

Wohltemperiert und bester Laune nehme ich den Abzweig Richtung Rosenheim. Der standwunde Mercedes 280 SE, nun unerwartet freigelassen, ist wieder ganz in seinem Element. Auf den langen Geraden der Landstraße ist schon mal Tacho 110 drin, von den angeblich ausgeleierten Traggelenken vorne merke ich nicht viel, außer vielleicht eine kleine Unwucht um die hundert. Die Bremsen funktionieren tadellos, sie sprechen sofort an. Später bei einer Unterwegsrast sehe ich, dass alle vier Scheiben nicht mehr rostbraun sind, sondern blankgerieben.

Der Temperaturzeiger steht da, wo er sollte, zwischen 80 und 100 Grad, der Öldruck schnellt beim Gasgeben sofort von 1,5 auf 3 Bar. Das Drehzahlniveau des drehfreudigen Doppelnockenwellen-Sechszylinders, der von seiner Grundkonstruktion auch ein Alfa-Motor sein könnte, liegt hoch, bei Tempo 120 sind es schon knapp 4.000/min. Der intern M110 genannte Doppelnocker spielte trotz seines hohen Bauaufwands lange Zeit die Rolle des Einheits-Sechszylinders. Egal ob Limousine, Sport- oder Geländewagen, alle vertrauen dem 280 Kilogramm schweren Triebwerk, das trotz der Materialschlacht nichts besonders gut kann – außer gut auszusehen und lange zu halten.

Vergessene Barbra Streisand-Cassette gibt den Soundtrack

Aus dem Spalt zwischen gut bestückter Mittelkonsole und Beifahrersitz fische ich eine vergessene Kassette, die ich vom Staub freipuste und spontan ins Becker Europa Cassette Kurier schiebe. Der Empfang ist mit abgebrochener Heckantenne reiner Zufall, die Sender rauschen ständig weg. Jetzt wird mein S-Klasse-Wohnzimmer von Barbra Streisands wunderbarer Stimme erfüllt. Ihr großes Herz-Schmerz-Repertoire ergießt sich aus den vier Lautsprechern und verleiht meiner ersten Ausfahrt im braunen Mercedes 280 SE das gebührende Pathos.

Von repräsentativer Größe kann aber im heutigen Straßenbild nicht mehr die Rede sein. Die zeitlos elegante Form des W126 ist von hoher ästhetischer Reinheit. Die niedrige Gürtellinie dank der großen Glasflächen macht den Mercedes 280 SE zierlich. Der neben mir an der Ampel stehende Mazda 6 wirkt dagegen viel massiger. Wird man sich an den in 30 Jahren überhaupt noch erinnern?

Die Heimfahrt in den Sonnenuntergang zaubert Bilder wie aus dem Prospekt. Blau leuchtende Autobahnschilder über dem offenen Schiebedach, Instrumente in gelblichem Licht. Der spärlich illuminierte dunkle Mercedes 280 SE spiegelt sich in einem Sattelzug. Plötzlich faucht der Sechszylinder minutenlang zornig, als ich den Wählhebel an einer Baustellen-Steigung auf „3“ schiebe. Als wollte er sagen: Was sind schon dreihundertsechsundzwanzigtausend Kilometer?

Fazit zum Mercedes 280 SE für 1.000 Euro

Jetzt, wo ich beide habe, drängt sich die Frage, ob sechs oder acht Zylinder in der S-Klasse passender sind, geradezu auf. Eine weise Antwort lautet: „Der Zustand entscheidet“, und der ist beim Mercedes 280 SE besser als bei meinem 380 SE. Der drehfreudige M110 geht erstaunlich gut. Trotzdem bleibt der V8 wegen seiner Kraftentfaltung erste Wahl.