Mercedes-Benz 380 SEC W 126 im Fahrbericht

Ein Liebhaberstück für Bastler

Die Coupé-Version der Baureihe W 126 geriet zum Meisterwerk: deutsche Ingenieurskunst mit italienischem Stilgefühl formvollendet verpackt. Motor Klassik hat den Mercedes-Benz 380 SEC zu einer Ausfahrt entführt und ihm auf den Zahn gefühlt.

Mercedes-Benz 380 SEC in Fahrt von schräg vorne Foto: Hardy Mutschler 14 Bilder

Beinahe hätten sie es geschafft, die Umbauer und Tieferleger. Es hätte nicht viel gefehlt, und das Coupé der Baureihe W 126 wäre uns nur als unsäglich verbastelter Vorstadt-Achtzylinder in Erinnerung geblieben. Und das alles nur, weil der damalige Mercedes -Designchef Bruno Sacco 1979 mit der neuen S-Klasse, und noch mehr 1981 mit dem dazugehörigen Coupé, ein wahres Meisterwerk abgeliefert hatte. Vielleicht war die Zeit noch nicht ganz reif, um so technokratisch nüchterne und gleichzeitig formvollendet elegante Entwürfe als Nachfolger für die barocken Baureihen W 116 und 107 auf Kiel zu legen.

Der Mercedes-Benz 380 SEC W 126 wurde zum Liebhaberobjekt für Bastler

So bemächtigten sich schon kurz nach dessen Vorstellung auf der IAA 1981 meist weniger talentierte Umbauer des C 126. Sie kupierten das Dach oder verpassten ihm Flügeltüren, vergoldeten die Chromelemente und verzierten die Radläufe mit aufgenieteten Leisten. Dabei gab es kaum ein Auto, bei dem es so einfach war, die gediegene Schlichtheit des Ur-Entwurfs in eine aufdringliche Halbwelt-Attitüde zu verwandeln. Es genügte schon ein Satz breiter Räder im Kreuzspeichendesign und ein Spoilersatz. Und es sollte noch schlimmer kommen: Als die ersten Coupés ein wenig in die Jahre kamen und die Haltereinträge in den Fahrzeugbriefen auf die zweite Seite wanderten, übernahm ein Kundenkreis das Coupé, den das Mercedes-Marketing so gar nicht auf der Rechnung hatte.

Mercedes 380 SEC aus dritter Hand mit 190.000 Kilometern
 
Er trug Cowboystiefel und Antiklederjacken zu ballonseidenen Jogginghosen und bevorzugte die Haartracht des jungen Toni Schumacher. Es ist gut, dass kein Mensch weiß, wie vielen pieksauberen Coupés dieses Schicksal beschieden war. Als getunte SEC nicht einmal mehr im Osten absetzbar waren, wanderten sie in die hinteren Reihen der Kiesplätze. Heute bevölkern sie immer noch die finsteren Spalten der Gebrauchtwagenseiten im Internet. Unserem Traum-SEC wünschen wir eine andere Historie. Es muss nicht der penibel gepflegte, Scheckheft bewehrte SEC aus erster Rentnerhand sein. Mitunter gibt es noch Perlen für kleines Geld zu entdecken, wie Holger Biermanns Exemplar auf diesen Seiten beweist. Der Stuttgarter Musikredakteur erwarb seinen hellblauen Mercedes-Benz 380 SEC mit 190.000 Kilometern auf dem Tacho aus dritter Hand.
 
Fast 40.000 problemlose Kilometer unter Biermanns Regie sind seither dazu gekommen. Der Wagen wurde ursprünglich nach Frankreich ausgeliefert, was auch die französischen Beschriftungen der Instrumente und Bedienhebel beweisen, die dem dunkelblauen Interieur einen Hauch Exotik bescheren. Zwar hinterließen die Jahre Spuren im Metalliclack und auf den Velourspolstern. Doch der Mercedes Benz 380 SEC fährt sich nach über 200.000 Kilometern so frisch und satt, wie es nur bei einem Mercedes aus einer Epoche der Fall ist, in der Autos in Sindelfingen noch aus dem Vollen geschnitzt wurden. Dabei wurde nur das Lenkrad, das schon damals vielen Fahrern zu groß und unhandlich erschien, gegen ein kleineres, griffigeres Exemplar aus einem neueren Daimler ausgetauscht.

Der Leichtmetallmotor des Mercedes Benz 380 SEC leistet 204 PS
 
Der 3,8 Liter große Achtzylinder brummt bei niedrigen Drehzahlen deutlich hörbar, aber unauffällig vor sich hin. Doch sobald das Gaspedal tiefer in die hochflorige Auslegeware versenkt wird, zeigt sich, dass es ein weiser Entschluss war, den SEC nur mit den beiden Achtzylinder-Triebwerken anzubieten. Der Leichtmetallmotor leistet zwar ordentliche 204 PS, doch er hat mit dem fast 1,7 Tonnen schweren Coupé ein wenig Mühe. Auch die von auto motor und sport im Test in Heft 7/1982 gemessenen Werte lesen sich heute wenig beeindruckend.
 
Eine Höchstgeschwindigkeit von knapp über 200 km/h und ein Null-auf-Hundert-Spurt in rund zehn Sekunden sind natürlich nicht mehr so ganz oberklassetauglich. Zwar kauft sich keiner einen 380 SEC als TDI-Jäger, doch ein Hauch mehr Souveränität wäre mitunter willkommen. Wenig verwunderlich also, dass die meisten Neukäufer den vergleichsweise geringen Aufpreis zum 500 SEC opferten. Für rund 4.500 Mark mehr gab es ein Plus von 25 PS und eine um 20 km/h höhere Topspeed. Ein 380 SEC war 1982 übrigens ab 71.416 Mark zu haben.  Nur 11.267 Käufer entschieden sich bis 1985 für den 380, während der 500 SEC 24 121 Mal geordert wurde. Der Nachfolger 420 SEC fand noch weniger Liebhaber. Er wurde in nur 3.680 Exemplaren gebaut. Womöglich taten die Coupé-Interessenten dem kleinen Achtzylinder Unrecht.

Kuscheliges Velours im Innenraum
 
Denn er zeigt Qualitäten in einem ganz anderen Ressort. Bescheidenheit auf hohem Niveau ist eine fast vergessene Tugend. Der Mercedes-Benz 380 SEC verkörpert sie perfekt. So ist es auch konsequent, dass Holger Biermanns Coupé seine Modellbezeichnung stolz auf dem Kofferraumdeckel präsentiert. Er will nicht für einen 500 gehalten werden. Und im Innenraum zeigt das kuschelige Velours im SEC-typischen Zweifarben-Design, dass der französische Erstbesitzer die Extras mit Bedacht und Geschmack wählte.
 
Auf den limitierten Autobahnen leistet der Tempomat bestimmt gute Dienste. Und die barocken Leichtmetallräder bescheren der einfachen Linie des SEC zusammen mit der lichtblauen Metalliclackierung einen Schuss romanischer Lebensfreude. Das alles kann ein schwarzer 560 mit dicken Rädern und Radlaufchrom so nicht bieten. Dass sich die Umbauer und Verbastler nur selten des kleinen Achtzylinders bemächtigten, ist vielleicht sein größtes Verdienst. Denn so haben wir eine reelle Chance, einen noch unberührten SEC zu entdecken. So wie den rauchsilbernen 420 mit braunem Velours im Internet. Vielleicht sollte man sich den einmal genauer anschauen.