Mercedes 230 SLK Fahrbericht

Sesam, öffne dich!

Seit 40 Jahren schreibt Klaus Westrup über Autos in auto motor und sport. Für Motor Klassik blättert er in seinem alten Notizbuch und erinnert sich, diesmal an den Mercedes SLK.

Mercedes-Benz 230 SLK, Frontansicht Foto: Archiv 9 Bilder

Die erste Begegnung hat noch etwas Geheimnisvolles. Ein verschwiegen wirkender Waldparkplatz, dahinter das feudale Schlosshotel Friedrichsruhe unweit des Hohenlohischen Ortes Öhringen. Ein Golfplatz ganz in der Nähe, Warnschilder. Man könnte von einem verirrten Ball getroffen werden.

7 Jahre nach dem Mazda MX-5 bringt Mercedes den SLK

Keiner warnt vor dem geparkten Lastwagen. Sein Inhalt ist noch unsichtbar, doch Peter Viererbl von der Mercedes-Presseabteilung ist befugt, einen Blick auf die Ladefläche freizugeben. Da steht er, der neue Silberpfeil namens SLK. Klein ist dieses Auto geraten, zierlich, so der allererste Eindruck. Nur die stark geriffelten Rückleuchten sind groß, sehen aus wie rote Zipfelmützen. Das Instrumentarium ganz atypisch für die alte Mercedes-Ausstattungskultur, die Instrumente modisch weiß unterlegt, die spirreligen Zeiger dünn und in Pfeilform.

Ein neues Sportwagen-Zeitalter hat für die Schwaben mit dem Mercedes SLK begonnen, 1996, praktisch zeitgleich mit der Präsentation des BMW Z 3 und genau sieben Jahre nach dem Debüt des japanischen Mazda MX-5, der die deutsche Roadster-Welle, Porsche Boxster inklusive, ausgelöst hat.

Der Testwagen kommt im Sommer dieses Jahres. Es ist ein 230 SLK, also das größervolumige Vierzylinder-Modell neben dem braveren 200. Mit einem knalligen Gelb bemüht er sich um zusätzliche Aufmerksamkeit, die diesem neuen Mercedes-Sportwagen ohnehin und allerorten gilt. Im Gegensatz zum Konkurrenten Z 3 von BMW spielt der Mercedes SLK in keinem James-Bond-Film mit, hat das offenbar auch nicht nötig.

Cabrio und Coupé in einem

Man dreht sich um nach ihm, und wenn er anhält, wird seine Besatzung von Schaulustigen umzingelt. Sie fragen nicht, wie bei Sportwagen üblich, nach der Höchstgeschwindigkeit, sondern nach der im Mercedes SLK-Umfeld einzigartigen Verdeck-Konstruktion, dem sogenannten Vario-Dach.

Der Mercedes SLK ist Cabrio und Coupé in einem, eine rote Zaubertaste auf der Mittelkonsole sorgt für effektvolle Verwandlung. Ein leises Summen ertönt, die Seitenscheiben verschwinden, der Verdeckkasten öffnet sich, der Entriegelungsmechanismus am Windschutzscheibenrahmen steigt ein in die Ouvertüre. Dann verschwindet das bisschen Dach im Kofferraum, der Deckel verschließt mit einem finalen Klacken ein Meisterstück konstruktiven Geistes.

Die Zuschauer sind ergriffen, ganze 25 Sekunden hat der Zaubertrick gedauert. Von den Schattenseiten der genialen Konstruktion ahnen sie nichts. Blech lässt sich nicht so einfach zusammenlegen wie eine Stoffmütze, aus den ursprünglichen 350 Litern Kofferraumvolumen bleiben bei geöffnetem Dach gerade einmal 145.

Wer offen fahren will, muss anders planen

Nicht einmal die Tatsache, dass der Mercedes SLK volumensparend auf ein Reserverad verzichtet und mit einem Reifen-Reparaturset bestückt ist, ändert etwas daran, dass sich die große Reise zu zweit und mit Gepäck nicht als komplette Offenfahrt planen lässt. Das Denkmodell ist anders: geschlossen los, offen und gepäckarm weiter, wenn alles im Hotel oder sonst wo verstaut ist. Die kleinen Fluchten an warmen Sommerabenden sind ohnehin kein Problem. Und das Aussehen, ohne schicke Stoffmütze? Der SLK hat gute Proportionen, verglichen mit seinen Nachfolgern zeigt er eine wohltuende Schlichtheit.

Konstruktionsbedingt ist die Frontscheibe stark geneigt, wirkt ein wenig bedrückend im Kopfbereich. Alte Roadster-Herrlichkeit fühlt sich anders an, doch zu viel Luft im offenen Auto ist ja oft gar nicht erwünscht. Der Mercedes SLK trägt diesem Anliegen zusätzlich mit einem serienmäßigen kleinen Windschott Rechnung, das zwischen den beiden Überrollbügeln eingehängt wird und wie ein vergessenes Stückchen Reizwäsche aussieht.

Kraft mit Kompressor

Der 2,3 Liter große Vierzylinder ist ein kräftiges, aber akustisch kaum begeisterndes Sportwagen-Triebwerk. Die Kürze des Motorraums macht Reihen-Sechszylinder von vorneherein unpraktikabel. Auf einen betörenden Sound muss also verzichtet werden, aber die 193 Pferdestärken, die der großkolbige Vierzylinder bei nur 5.300 Umdrehungen dank mechanischer Aufladung, einem Roots-Gebläse, zur Verfügung stellt, machen aus dem Mercedes SLK einen kleinen Herkules. In nur sieben Sekunden ist er auf Tempo 100, in 17,5 auf 160, wie einst in den Sechzigerjahren ein Shelby Mustang. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 230 km/h, am besten geschlossen erlebbar.

Denn neben seinem beachtlichen Temperament glänzt der neue Sportwagen durch Karosserie-Qualitäten, die es bei offenen Autos in seinem Preissegment bislang nicht gegeben hat. Nichts zittert, nichts schüttelt – nicht einmal der große SL kann in dieser Disziplin mithalten. Dass sich die Verdeck-Konstruktion bewähren wird, kann man damals nur ahnen und hoffen. Heute weiß man es; der Klappmechanismus ist grundsolide.

Der perfekte offene Zweisitzer also?

Irgendwo schon, der Mercedes SLK kann so viel. Was er in Kurven zeigt, ist in seinem Debütjahr das Eindrucksvollste in der gesamten Mercedes-Hierarchie. Er lässt extreme Querbeschleunigungen zu, ist verblüffend handlich und hat standfeste Bremsen. Nicht einmal beim Federungskomfort lässt sich klagen. Mit geschmeidigem Abrollen und gutem Schluckvermögen bietet er fast so viel wie Limousinen. Für die Windgesichter und Freaks der alten Roadster-Puristen ist der SLK eindeutig zu perfekt. Aber man muss ihn ja nicht mögen, und wer ihm vorwirft, er habe keine Aura, dem kann man schlecht widersprechen.
 
Eine auf ganz spezielle Weise reizvolle Motorvariante stellt der unaufgeladene Zweiliter-Vierzylinder mit seinen bescheidenen 136 PS dar. Porsche bedachte in den Fünfzigerjahren die brav motorisierten 356er mit der internen Bezeichnung „Dame“, in der Analogie ist der Mercedes SLK 200 die Dame dieser ersten Baureihe, die vier Jahre vor ihrem Hinscheiden im Jahr 2004 doch noch einen Sechszylinder bekommt. Es ist ein V6, stattliche 3,2 Liter groß, 218 PS stark. Der SLK 320 ist eine Art Geheimtipp auf dem Gebrauchtmarkt, Genießer verkosten ihn gerne mit Automatik. Auch Schulfreund Hubertus hat sich einen gekauft und nach einem Ölwechsel bestürzt erkannt, dass über acht Liter in den Nass-Sumpf passen. Vieles ist klein am SLK, aber nicht alles.

Der Mercedes-Benz SLK 230 auf einen Blick

Vierzylinder-DOHC-Motor, Steuerkette, 16 Ventile, Kompressor mit Ladeluftkühlung, Hubraum 2.295 cm3, Leistung 193 PS bei 5.300/min, Hinterradantrieb, vorn Doppelquerlenker-Achse, hinten Raumlenker-Achse, Radstand 2.400 mm. Gebaut von 1996 bis 2004, Stückzahl (alle R170) 311.222. Gute Exemplare ab 6.000 Euro.