Mercedes-Benz 500 SL Rallye

Mit Röhrls Rallyeauto Vollgas ins Aus

Mercedes verpflichtete die Weltmeister Röhrl/Geistdörfer, vier Rallyeautos standen für die Monte bereit - dann urplötzlich das Aus. Motor Klassik geht mit dem Mercedes-Benz 500 SL auf Erinnerungstour.

Mercedes 500 SL Rallye, Frontansicht Foto: Archiv 9 Bilder

Wie ein junger Löwe brüllt der V8 des Mercedes-Benz 500 SL Rallye vor uns unter der mattschwarzen Motorhaube. Mit dem Herz eines Sportlers stürmt der SL die Gerade entlang der Boxenmauer hinauf: rund 320 PS Höchstleistung, 417 Nm Drehmoment - Eckdaten einer beinahe unverwüstlichen Technik, die die Rallyewelt 1981 erobern sollte.

Beste Voraussetzuungen für erfolgreiches Rallye-Engagement

An der Boxenmauer steht ein baumlanger Mann mit dem Rücken zur Strecke gewandt: Erich Waxenberger, der 81-jährige ehemalige Chef des Rallyeteams von Mercedes-Benz.
Der Mercedes-Benz 500 SL Rallye in Astralsilber und Schwarz, den Jochen Mass mit mir als Beifahrer gerade über eine gut abgeschirmte Privatrennstrecke in Spanien treibt, ist die letzte Partitur aus Waxenbergers Komponierzimmer - Titel: "Die Unveröffentlichte". Hören will er sie offenbar heute nicht mehr.

Rückblende: Weihnachten 1980 sollte für den aus Miesbach in Oberbayern stammenden Waxenberger ein ganz besonderes Fest werden. Für den Gabentisch war das Beste gerade gut genug: Die Weltmeister Walter Röhrl und Christian Geistdörfer sowie Ari Vatanen und wahrscheinlich David Richards als künftige Fahrerteams, dazu der neu entwickelte Mercedes-Benz 500 SL und einige weitere Pläne.

Zum zweiten Advent hatte das Mercedes-Rallyeteam an der Elfenbeinküste gleich zwei neue Kerzen angezündet: Doppelsieg bei der Bandama Rallye, einer brutalen Tortur über 5.336 Kilometer mit einer Ausfallquote von fast 80 Prozent. Dieses Terrain war wie geschaffen für die Mercedes 500 SLC mit ihrer "panzermäßigen Standfestigkeit", wie Norbert Haug, damals Sportchef bei auto, motor und sport, 1980 in einem Tracktest schrieb.

Doppelsieg für Mercedes 500 SL bei der Bandama-Rallye

Von der Bandama-Rallye berichtete Herbert Völker von der Motor Revue: "Für Mercedes war der Doppelsieg ein sauberer Abschluss einer kleinen Epoche" - der österreichische Journalist konnte beim Schreiben noch nicht wissen, wie viel Wahrheit in diesem Satz steckt. Gleich nach der Rallye reiste Waxenberger zurück nach Stuttgart zur entscheidenden Vorstandssitzung mit dem Tagesordnungspunkt: das künftige Sportprogramm. Es wird Waxenbergers letzter Auftritt als Teamchef.

32 Jahre später erinnert er sich an die entscheidenden Minuten, so gegen 14 Uhr: In seiner "herzlich-kantigen Direktheit" forderte der Ingenieur Geld für den Einsatz eines Zweiwagen-Teams. Als Gegenleistung gab er für seine Mercedes-Benz 500 SL im Rallyetrimm ein mutiges Versprechen ab: "Zur 100-Jahr-Feier des Automobils, das garantiere ich, sind wir Rallye-Weltmeister."

Waxenbergers Plan: Mit dem Mercedes-Benz 500 SL sollten möglichst viele der zwölf Läufe der Rallye-Weltmeisterschaft bestritten werden. Für die nahe Zukunft hatte er bereits Pläne für ein Mittelmotorauto mit Allradantrieb in der Schublade, das bei allen Weltmeisterschaftsläufen konkurrenzfähig sein sollte. "Damit war ich schon recht weit", so Waxenberger heute.

Vorstand lehnt trotz Erfolgsversprechen ab

Doch der Vorstand unter dem Vorsitz von Gerhard Prinz ließ sich vom "Feldherrn" nicht rekrutieren. Waxenbergers Vision vom planbaren Titel wurde bezweifelt: "Es gibt bei einer Rallye einfach zu viele Unsicherheitsfaktoren - ein Realist kann nicht von einer Planung reden", hatte Entwicklungsvorstand Professor Werner Breitschwerdt schon Monate vor der Vorstandssitzung im ams-Interview festgestellt. Es gab nur das Budget für den Einsatz eines Mercedes-Benz 500 SL. Waxenberger lehnte ab: "Dann hören wir lieber auf, habe ich gesagt, bin aufgestanden und gegangen."

Die in Waiblingen mit einem Gebäude und etwa 50 Mitarbeitern ausgestattete Sportabteilung, bezahlt aus dem Entwicklungsbudget, hatte kein Jahr überlebt, die Traumehe zwischen dem deutschen WM-Team Röhrl/Geistdörfer und der deutschen Parademarke Mercedes war nach anderthalb Monaten zerbrochen. Drei für den Einsatz bei der Rallye Monte-Carlo fertige Mercedes-Benz 500 SL wurden verkauft, Waxenbergers Begleitfahrzeug von der Bandama-Rallye am 13. Januar 1981 verschrottet, elf Tage vor dem Start des WM-Auftakts. Damit blieb dem Mercedes-Benz 500 SL das sportliche Erbe des Ur-SL von 1952 verwehrt.

Vier Gesamtsiege bei Langstreckenrallyes

Der Baureihe 107 bleibt nur die stolze Karriere des Fünfliter-SLC, der sich wegen seines um 36 Zentimeter längeren Radstands nur für die Material mordenden Langstreckenrallyes eignete, mit vier Gesamtsiegen und acht Podiumsplätzen. Für die Entwicklung dieses Rallyeautos hatte Waxenberger die Möglichkeiten der Telemetrie auf den Motorsport übertragen, um exakte Messwerte aus dem fahrenden Auto zu gewinnen.

Auch mit dem Mercedes-Benz 500 SL waren Ende November erste Tests gelaufen: Bis zur Premiere bei der Rallye Monte-Carlo am 24. Januar 1981 blieb wenig Zeit. Doch nach einem schweren Unfall beim Testen, den Walter Röhrl und Christian Geistdörfer unverletzt überstanden, verdüsterte sich die Stimmung. Plötzlich erhielt Röhrl den Anruf eines Mercedes-Vorstandsmitglieds, das den Weltmeister fragte: "Besteht die Gefahr, dass wir die Rallye Monte-Carlo nicht gewinnen?"

Röhrls Telefonat besiegelt das Ende

Der Weltmeister hatte wie Waxenberger nicht ans Gewinnen gedacht, schon gar nicht gleich beim ersten Einsatz: "Wenn alles gut geht, ist es ein Platz unter den ersten Fünf", antwortete Röhrl, "wenn Schnee kommt, unter den ersten Fünfzehn." Damit war die rote Flagge für den Mercedes-Benz 500 SL schon ausgerollt.

Auch Jochen Mass teilt die Einschätzung: "Das Auto war nur für die langen Strecken geeignet", ruft er dem Motor Klassik-Redakteur zu, während er den Mercedes-Benz 500 SL vor einem langsamen Linkseck zusammenbremst und bei der manuell geschalteten Viergang-Automatik den zweiten Gang einlegt. Der mit Winterreifen bestückte Museumswagen rutscht über die Vorderräder in den 90-Grad-Knick. Erst auf der Geraden fühlt sich der vom Roadster zum Rallyewagen mutierte Mercedes wieder wohl.

"Das Fahrverhalten erinnert mich an die frühen Ford Capri RS", meint Mass. Doch der wütende V8-Sound des Mercedes-Benz 500 SL klingt für mich um Welten besser als das Kölner Aggregat, und vom Wettbewerbsdruck befreit wirkt der Schwabe einfach wie ein kraftvolles Spaßmobil.

Wahrscheinlich ist es besser, dass der Mercedes-Benz 500 SL so in Erinnerung bleibt und Röhrl der aussichtslose Kampf mit dem 1.350-Kilo-Dickschiff auf den engen und verschneiten Straßen der Rallye Monte-Carlo erspart blieb.