Mercedes-Benz 600 SL und Porsche 964 Cabrio

Oberklasse-Cabrios mit Dampf

Die modernen Nachfahren von Mercedes-Benz 190 SL und Porsche 356 Cabriolet sind Youngtimer geworden. Günstiger als jetzt werden Mercedes-Benz R 129 und Porsche 964 Carrera 2 Cabriolet wohl nicht mehr zu haben sein.

Foto: Uli Jooß 14 Bilder

Klare Formensprache von Porsche und Mercedes

Die Kunst des Wahren, guten Autodesigns scheint darin zu bestehen, neue, zeitgemäße Linien zu finden, ohne die eigenen Wurzeln zu verleugnen. Diese Erkenntnis drängt sich zumindest dann auf, wenn man nach der Probefahrt in Mercedes 190 SL und Porsche 356 vor dem Mercedes 600 SL und dem Porsche 964 Cabrio steht. Zwar verhehlt keiner der beiden Neuen – sofern man Autos der Baujahre 1992 und 1994 als neu bezeichnen kann – die rund 40 Jahre, die zwischen Nachfolger und Urmodell liegen.

Doch sind Mercedes 600 SL und Porsche 964 Cabrio so in den Traditionen und Formensprachen ihrer Häuser verwurzelt, dass keine Zweifel aufkommen können: Auch ohne Wappen und Schriftzüge wären sie selbst von Vorschulkindern als Mercedes-Benz und Porsche zu identifizieren. Was Wunder: Bei den einst sprichwörtlich langen Modelllaufzeiten beider Hersteller liegen gerade mal zwei Modellgenerationen dazwischen. Bei Porsche bedurfte es dabei nicht einmal größerer stilistischer Übungen, um dem 1990 aktuellen Porsche 911 mehr als nur eine Spur Familienähnlichkeit zum 356 auf den Weg zu geben. Auch die Elfer-Baureihe 964 basiert auf dem 911-Urentwurf von F. A. Porsche, mit Prallflächen statt Stoßstangen dem Zeitgeschmack angepasst.

Der SL ist die gelungenste Schöpfung von Bruno Sacco

Es gab sogar Umbausätze, mit denen man ältere Porsche 911 auf den Typ 964 umstricken konnte. Da wären beim Mercedes-Roadster größere Kunstgriffe nötig: Um den Vorgänger R 107 auf R 129 umzumodeln, bräuchte man eine komplette Rohkarosse. Umso mehr Bewunderung verdient der Entwurf, der gemeinhin als gelungenste Schöpfung des damaligen Designchefs Bruno Sacco gilt. Er schaffte es, den Mercedes SL in eine sachliche, schnörkellose Form zu gießen, welche die Vorgänger-Baureihen nicht romantisierend zitiert, die Grundform aber dennoch zart durchscheinen lässt. Zwar ist das Topmodell der Baureihe 129 acht Zylinder, 280 PS und 38 Jahre vom Mercedes 190 SL entfernt. 

Doch mit ein wenig Phantasie ist die SL-Linie mit kurzem Heck und langer Motorhaube in wohl gebügelter Form erkennbar. Ein wenig so, wie die Züge der schönen Mutter in der attraktiven Tochter erkennbar sind. Die Jahre offenbaren sich beim Fahren viel mehr als beim bloßen Anschauen.

Klar, mit dem mächtigen Zwölfzylinder spielt der Neue Mercedes 600 SL in einer völlig anderen Liga. Aber das gilt fast genauso auch für die schwächeren R129-Varianten. Das einstige Vierzylinder- Raubein ist zum kultivierten Gran Turismo gereift – mit sanften, aber kräftigen Motoren, gediegenem Komfort und technischen Finessen, von denen man 1955 nicht zu träumen wagte. Eines der ungewöhnlichen Features des Mercedes-Benz R 129 zeigt sich nur bei Bedarf – der automatische Bügel, der bei drohendem Überschlag selbsttätig ausfährt.

2.000 kg  SL-Stahl für 214.740 Mark

Und im neuen Roadster debütierte 1989 ein Bauteil, ohne das viele moderne Cabrios scheinbar nicht mehr auskommen: das Windschott. Es lässt sich durchaus mit ihm leben, denn es passt sehr gut zum gepflegten, komfortbetonten Auftritt des Mercedes Der Mercedes 600 SL stellte ab 1992 die Frage, wie wohl 217.740 Mark am besten anzulegen seien – in Immobilien oder einen zweisitzigen Mercedes?

Wenige Meter mit dem fast 400 PS starken Mercedes 600 SL lassen eigentlich nur eine Antwort zu. Was dieser Motor mit dem rund zwei Tonnen schweren Roadster anstellt, ist mit Worten nur sehr unvollkommen beschrieben. Der Vergleich mit der übermotorisierten Seilwinde drängt sich auf. Aber auch er sagt nicht die ganze Wahrheit. Schließlich geht der 600 nur um Nuancen besser als der 326 PS starke 500 SL.

Doch während der Achtzylinder bei Volllast das Beschleunigungserlebnis mit sonorem Brüllen untermalt, hebt der Zwölfzylinder nur sanft die Stimme und macht ansonsten kein Aufhebens davon, dass er soeben 2.000 Kilogramm Stahl, Lack und Leder in 6,5 Sekunden auf 100 km/h beschleunigt. So ähnlich muss sich ein fliegender Teppich mit dem Warp-Antrieb anfühlen, der ja nach Star Trek-Erfinder Gene Roddenberry nicht das Raumschiff selbst beschleunigt, sondern das Raum/Zeit-Gefüge dergestalt verzerrt, dass das Schiff fast unverzüglich sein Ziel erreicht.

Porsche 964 Cabrio erreicht 264 km/h Spitzengeschwindigkeit

Solche Gedanken können beim Porsche 964 nicht aufkommen. Keine Frage, hier sorgt ein Hubkolbenmotor für Vortrieb. Und zwar einer der faszinierendsten in der Geschichte des Automobilbaus.

Befürchtungen der Fans, die Hubraumerweiterung auf 3,6 Liter könnte den Charakter des Elfermotors aufweichen, erwiesen sich als unbegründet. Zwar trompetet der Sechszylinder- Boxer im Porsche 964 nicht ganz so giftig und unverschämt wie noch im Carrera 3,2, doch gerade im Cabrio ist der Atem des Antriebs so unmittelbar spürbar wie in fast keinem anderen Auto der lezten 15 Jahre.

Der Fortschritt in Leistung und Speed nimmt sich im Vergleich zum Porsche 911 Carrera auf den ersten Blick bescheidener aus, als er wirklich ist. 250 PS, 264 km/h Spitzengeschwindigkeit und eine Beschleunigung von 0 auf 100 in 5,5 Sekunden. Damit zählt man auch heute noch zu den ganz Schnellen. Der Fortschritt liegt aber in der Leichtigkeit, mit der der Porsche 964 dabei ans Werk geht. Und die Evolutionsstufe 964 wartet noch mit einer Reihe anderer Annehmlichkeiten auf, die bei den älteren Elfern undenkbar waren.

Die exzellente Servolenkung zum Beispiel: Sie arbeitet nicht übertrieben leichtgängig, ist extrem sensibel und filtert gekonnt die groben Stöße aus, die – so ein altes Porsche-Märchen – früher Armbanduhren zu zerstören pflegten. Ein Quantensprung ist zudem das Fahrwerk. Es ermöglicht auch den durchschnittlichen Fahrernaturen, die nicht mit den Reflexen eines Werksfahrers gesegnet sind, schnelles Porsche- Fahren. Was aber nichts daran ändert, dass der Porsche 964 immer noch sehr hecklastig und in Extremfällen zu schnellen Drehbewegungen fähig ist.

Denn trotz modernisierter Form und verfeinertem Fahrwerk ist der Porsche 964 ein Elfer geblieben. Was auch für den Mercedes 600 SL gilt: Mit seinem monumentalen Motor und der schlichten, eleganten Form wirkt er so gestrig, dass man das Datum seiner Produktionseinstellung kaum glauben mag: 2001. Und das Beste daran: Für den Preis eines der beiden Urahnen Mercedes 190 SL oder Porsche 356 Cabrio könnte man gleich beide zusammen kaufen, R129 und 964 – für rund 60.000 Euro.