Mercedes-Benz S-Klasse - drei Generationen im Fahrbericht

Die großen Drei - S-Klasse-Superlative

Die Mercedes-Benz S-Klasse – drei Generationen trugen zu ihrer Zeit den Weltmeistertitel. Kein Jaguar, Cadillac, BMW oder Rolls-Royce konnte sie vom Thron stürzen. Die S-Klasse-Superlative zeigen heute noch, wo es lang geht. Fahrbericht von 450 SEL, 560 SEL und 600 SEL.

Mercedes-Benz 450 SEL 6.9, Mercedes-Benz 560 SEL, Mercedes-Benz 600 SEL Foto: Hardy Mutschler 27 Bilder

Wo ist der Sechskommadrei? Hat der nicht einst das S-Klasse Wettrennen um die weltbeste Power-Limousine losgetreten? Der Mercedes-Benz 600, dessen V8 er sich borgte, war sich zu fein, Nullaufhundert unter acht Sekunden zu stemmen. Er, der Große Mercedes, galt als vornehmer Repräsentant des strahlenden Sterns – leise, erhaben, unantastbar.

Starker V8, opulente Ausstattung – das Geheimnis der großen S-Klassen

Achtzehn Jahre war er stolzer Mercedes-Präsident, wurde nie in Frage gestellt, selbst als ihn der Sechskommaneun 1975 mit der geballten Wucht des technischen Fortschritts rechts in der Steilkurve der Untertürkheimer Einfahrbahn überholte. Der Sechskommadrei ist dagegen der Patriarch des gepflegten Power Plays, ganz anders als der sensible Mercedes-Benz 300 SE mit dem Alu-Motor. Der war nicht der Richtige, um die Jaguar, die Cadillac, die Ferrari 330 GT und die Rolls-Royce Silver Shadow dieser Welt herauszufordern. Der Sechskommadrei wollte der Beste sein, ohne Umschweife. Sein Erfolgsrezept vom großen V8 in der langen, opulent ausstaffierten Komfort-Karosserie der S-Klasse – unterstützt von einem außergewöhnlich aufwendigen Fahrwerk -, haben seine Nachfolger übernommen. Es war damals, 1968, revolutionär: 250 PS, 225 Spitze, mit 40.000 Mark war ein 6.3 exakt doppelt so teuer wie ein fast gleich aussehender 280 SE.

Mythos der Zahl 600

Der Sechskommadrei, genialer Geniestreich von Versuchsingenieur Erich Waxenberger mit dem väterlichen Segen von Entwicklungschef Rudolf Uhlenhaut, wurde an dieser Stelle bereits gebührend gefeiert. Diesmal gibt er dem Nachwuchs eine Chance. Lässt den Mercedes-Benz 600 SEL nach vorn, den spät in die Hall of Fame superlativer S-Klassen berufenen und selbst von den Freunden der Marke lange verkannten W 140. Den Mythos der Zahl 600 greift der größte 140er nicht zufällig auf. Auch wenn ihm eine eigenständige Modellreihe à la Maybach 57 und 62 verwehrt blieb, dessen konstruktive Basis er übrigens stellte, so überstrahlt er die anderen Mercedes-Modelle so abgehoben wie einst der große 600. 

Leise, fast unhörbar, schleicht er sich heran. Zirkelt mit unerwarteter Grazie um die Weggabelung, um sich in aller Abgeschiedenheit fern vom Verkehrstrubel mit den anderen zu treffen. Die Rede ist von seinen Vorgängern Mercedes-Benz 560 SEL und 450 SEL 6.9, die die S-Klasse begründeten – sie warten am Wegesrand. Der Sechskommaneun sucht schon scharrend die Herausforderung.

Sind knappe sieben Liter Hubraum wirklich durch nichts zu ersetzen oder vielleicht doch durch zwölf Zylinder und 48 Ventile? Kieselsteine knistern unter dem Profil der breiten 235er-Reifen, die S-Klasse betritt formatfüllend die Szene. Die Farbe steigert noch seine Präsenz. Bornitmetallic, ein zarter, femininer Violett-Ton, der bei jedem Licht irgendwie anders wirkt, war Anfang der Neunziger in der Palette so umstritten wie der Mercedes-Benz der Baureihe W140 selbst. Beide gehen heute eine kongeniale Verbindung grenzüberschreitenden Wahnsinns ein.

Machtdemonstration: Übergroß, schwer, massig

Der 140er ist angekommen in den Herzen der S-Klasse Fans, Ehrfurcht wich dem beißendem Spott von einst. Als plumper Dinosaurier wurde er beschimpft, er galt als unzeitgemäße soziale Provokation. Ein paar Peinlichkeiten wie die anfangs zu kurzen Peilstäbe, die zu gering ausgewiesene Zuladung und die als Elefantenohren geschmähten, einklappbaren Außenspiegel gaben seiner Autorität den Rest. Auch heute muss ihn sich selbst der Bewunderer erarbeiten. Der übergroße, schwere Wagen, einsame Machtdemonstration technischen Könnens, macht es ihm nicht leicht. Der Verzicht auf die sänftenhafte Hydropneumatik, beim Sechskommaneun noch selbstverständliche Pflicht zum Besten und beim Mercedes-Benz 560 SEL zumindest optional für 4.280 Mark in Reichweite, bleibt beim raumlenkergeführten 600 SEL rätselhaft. Zumal die Gaspolster ursprünglich im Lastenheft standen. 

Die großen unaufgelösten Flächen ohne die „Skulpturlinie“ – die prägnante Sicke im Profil, wie sie das 140er Coupé trägt -, befremden immer noch. Das Heck bombastisch, die Frontpartie zu sehr fliehend. Der normalgroße Fahrer muss sich den Stern über die elektrische Sitzverstellung holen, sonst wird er zum Halbmond. Der 140er war nicht gerade die Sternstunde von Bruno Sacco, am besten wirkt er von schräg oben, dann gerinnt auch diese S-Klasse zur eleganten Skulptur.

Der Betrachter vermisst die feinen stilistischen Akzente des Vorgängers Mercedes-Benz 560 SEL, der hinter der Waldlichtung als filterlose 300 PS-starke ECE-Version auf seinen Einsatz wartet. Im späten Nachmittagslicht modelliert das zartgoldene Rauchsilber jede der vielen feinen Facetten des 126er-Designs heraus. Der 560 SEL gibt die klassische Autoschönheit, grazil und wohl proportioniert. Länge läuft hier nicht nur, die 5,16 Meter sprinten quasi zur stilistischen Hochform.

Perfekte Wellness-Oase: Mercedes-Benz 600 SEL

Es fasziniert, wie gekonnt er die üppigen Maße kaschiert. Ihm gelingt dies vor allem durch einen grazilen Dachaufbau und eine schräge, schlanke C-Säule. Das schwarze Lederinterieur lässt die getönten Scheiben noch dunkler wirken. Leichtigkeit spielt sich beim Mercedes-Benz 600 SEL vor allem hinter dem Lenkrad ab, da ist er unumstritten die Nummer eins in dieser S-Klasse-Superlativ-Session. Es ist unfassbar, wie mühelos, leise und nachdrücklich der Vierventil-V12 die 2,2 Tonnen schwere Limousine beschleunigt, ohne dass es der Fahrer auf drehzahlräubernde Kraftmeierei anlegt. Das monumentale Alu-Triebwerk mit seinen zwei obenliegenden Nockenwellen pro Zylinderbank schöpft nicht zuletzt dank Volllast-Anreicherung buchstäblich aus dem Vollen.

Dieser feine Unterschied der frühen Modelle meint imposante Katalogwerte wie 408 PS und 580 Newtonmeter bei 3.800/min. Nur ein fernes Rauschen, so weit weg wie die Meeresbrandung am Golf von Biscaya, dringt durch die Doppelverglasung. Wie ein Kokon umgibt die S-Klasse die Passagiere. Nehmen sie im Fond in den zum Separée ausgeformten Einzelsitzen mit fürstlicher Beinfreiheit Platz, sehen sie die Landschaft wie im Eisenbahncoupé des Rheingold vorbeiziehen. Bei Bedarf klappen beleuchtete Make-ups aus dem Dachhimmel, das Becker Mexico Diversity Compact Disc lässt sich per Fernbedienung auch von hinten steuern. So gibt der Mercedes-Benz 600 SEL eine perfekte Wellness-Oase, ausgeschlagen in dem zu Bornit gewagt kombinierten Velourston Champignon.

Luxus pur – elektrische Fondsitze im W126

Dieses entrückte, beinahe transzendente Raumgefühl kann die nächste S-Klasse, der Mercedes-Benz 560 SEL nicht vermitteln, obwohl er sich mit einer Business Lounge in schwarzem Leder Mühe gibt. Die Coupé-Sitzanlage mit elektrisch verstellbaren Solo-Sesseln ist ein feines Extra für entspanntes Reisen. Schon optisch ist sie der Brüller, ebenso reizvoll und ungewöhnlich wie der Reiserechner in der Instrumentengruppe. Rechts im Fond gibt es einen mit Wurzelnussfurnier tapezierten Arbeitstisch. Über die Klaviatur in der hinteren Tür kann der unterwegs arbeitende Manager sogar die Lehne des Beifahrersitzes verstellen. 

Ein C-Netz-Telefon für 13.338 Mark schafft die Verbindung zur Außenwelt. Der Mercedes-Benz 560 SEL lässt sie anders als der W 140 noch durchschimmern. Motor- und Abrollgeräusche sind deutlicher zu vernehmen. Der Achtzylinder klingt bei kräftigem Beschleunigen imposant und kraftvoll, die recht kurze Übersetzung zu Gunsten der eindrucksvollen Beschleunigungswerte treibt das Drehzahlniveau in die Höhe. Aber schließlich muss sich das kultivierte Macho-Mobil 560 SEL von der 37.000 Mark billigeren Komfort-Kalesche 500 SEL abgrenzen – S-Klasse ist eben nicht gleich S-Klasse. Das gelingt vor allem in den Disziplinen Status, Leistung und Ausstattung. Eine neue, noch aufwendiger gewuchtete Kurbelwelle mit deutlich längeren Hubzapfen sorgt für den Volumenzuwachs des bewährten Alu-Motors vom Typ M 107. Der M 100 aus 600 und Sechskommadrei wächst dank der vergrößerten Bohrung auf 6,9 Liter. 

Während die Fahrt im 600 SEL selbst für den geneigten Mercedes-Benz -Kenner zur Respekt einflößenden Vorstellung wird, die sich vor allem aus der üppigen Breite des schwebenden Raumgleiters nährt, entsteht im 560 SEL sofort jenes vertraute Willkommen-Zuhause-Gefühl, das wir an der Marke mit dem Stern so schätzen – in reinster Form nur in der S-Klasse zu finden. Er ist der Kumpeltyp von den Dreien, er duldet auch ein Polohemd am Steuer. Alles sitzt an der richtigen Stelle, keine Effekthascherei, nichts gibt Rätsel auf – außer vielleicht die kryptischen Tasten für den Reiserechner. Ein Hauch italienischer Leichtigkeit umgibt das Interieur des 126ers.

Der herbe Charme der Siebziger – Baureihe W116

Selbst der heilige Sechskommaneun, die Ikone großen Hubraums und entfesselten Fortschrittsglaubens, empfängt uns mit der Vertrautheit eines Mercedes-Benz 280 SE. Ikonengold lautet auch seine Farbe, sie klingt wie eine Verheißung. Das schwarze Leder duftet, wie nur Leder in gepflegten alten Mercedes-Benz riechen kann, es wirkt trotz rustikaler Perforation auf den Mittelbahnen edler als das im 560 SEL. Auch der Sechskommaneun bezieht seine innen so behagliche Überlegenheit nicht aus übertriebener Opulenz, sondern aus wohl komponierten Details wie den gepolsterten Türverkleidungen mit dem lang gezogenen Armlehnen, dem Wurzelnussfurnier, der Mittelarmlehne vorn, den Kopfstützen im Fond, den kontrastreich gezeichneten Instrumenten mit der kleinen Analoguhr im Drehzahlmesser. Nur der kleine Zughebel zwischen Lenkrad und Instrumententafel für das Verstellen der Bodenfreiheit entlarvt den Sechskommaneun. Das Ganze wirkt in dieser S-Klasse zwar handfest, teutonisch und gediegen, aber es verströmt auf angenehme Weise Zeitgeist. Der große Wagen, kaum schmaler als der W 140, ist bestens übersichtlich, die Sitzposition passt auf Anhieb.

Der Achtzylinder faucht ab 3.000 Touren aggressiv, die Dreigang-Automatik schaltet nicht so weich und rücksichtsvoll wie die modernen, optimierten Viergangversionen in den Nachfolgemodellen der S-Klasse. Trotz langer Achsübersetzung sorgt sie dafür, dass selbst bei 160 km/h auf der Autobahn noch brachialer, urgewaltiger Schub einsetzt. Die anderen haben zwar mehr Leistung, doch der Sechskommaneun fühlt sich kräftiger an. Er ist weit mehr Fahrerauto als die Chauffeur-Limousinen Mercedes-Benz 560 SEL und 600 SEL, er könnte notfalls einen Porsche 928 als fahraktiven Gran Turismo ersetzen. 

Obwohl er sich stilistisch als W 116 bereits von der traditionellen Mercedes-Linie mit dem typischen Hochkühler und den vertikalen Scheinwerfern abwendet, wirkt diese S-Klasse heute dank reichlicher Chrompracht wirklich klassisch, ja fast barock. Zudem hatte sie weit mehr als seine Nachfolger, die es auf recht hohe Stückzahlen brachten, den Alleinstellungscharakter, der auch den Sechskommadrei einst so faszinierend machte. Den hat am ehesten noch der Mercedes-Benz 600 SEL, er ist weit mehr Meilenstein als die 116er-Modellpflege 560 SEL.

Warten wir also noch ein paar Jahre, der 140er muss weiter reifen, er ist auf einem guten Weg – jede S-Klasse wurde schließlich nach Jahren zu einem Symbol ihrer Zeit..