Mercedes-Benz W25 Tracktest

Der erste Silberpfeil

Vor 80 Jahren begann mit dem Mercedes-Benz W25 die Saga der Silberpfeile. Fahrbericht von Chassis-Nummer 4 – mit dem Manfred von Brauchitsch 1934 das  Eifelrennen auf dem Nürburgring gewann.

Mercedes-Benz W25, Silberpfeil, Frontansicht Foto: Arturo Rivas 23 Bilder

Es gibt ein Foto vom Donington-Grand Prix 1937, auf dem Manfred von Brauchitsch im Mercedes W125 über einer Kuppe abhebt: Alle vier Räder sind weit in der Luft, Brauchitsch blickt starr geradeaus. Selbst hartgesottene Fahrer betrachten diese Schwarz-Weiß-Aufnahme mit leisem Entsetzen – und mit großer Hochachtung vor den Helden, die mit den Silberpfeilen der 30er-Jahre so schnell unterwegs waren.

Technische und fahrerische Meisterleistungen

Die Ära der Silberpfeile, die Jahre von 1934 bis 1939, gelten als Goldenes Zeitalter des Motorsports: In über 500 Kilometer langen Rennen auf Strecken, die heute nur als Feldwege durchgehen würden oder die mitten durch die Stadt führten, trieben sich die Rennteams der Auto Union aus Zwickau und von Mercedes-Benz aus Stuttgart gegenseitig zu immer neuen technologischen und fahrerischen Höchstleistungen – die resteuropäische Konkurrenz konnte allenfalls Achtungserfolge erzielen.

Schon die Rennwagen der ersten Silberpfeil-Generation erreichten locker 300 km/h, bald waren 330 km/h Standard, auf der Avus wurden mehr als 380 km/h gemessen. Zum Vergleich: Die neu gegründete Formel 1 nach dem Zweiten Weltkrieg übertraf erst zu Beginn der 70er-Jahre die 300er-Marke. Selbst heute feiert man 340 km/h als äußerst schnell.

Die 750-Kilogramm-Formel

Blickt man den Autos unter ihre silbernen Leichtmetallhüllen, weitet sich die Hochachtung auf die Konstrukteure und Mechaniker dieser technologischen Wunderwerke aus: Bereits beim Mercedes W25 von 1934 wurde nichts dem Zufall überlassen, jede Einheit, jedes Bauteil ist optimiert. „Da waren wirklich Künstler am Werk“, schwärmt Mechaniker Manfred Oechsle vom Mercedes-Benz Classic Center in Fellbach. Zudem weist nahezu jedes Bauteil Bohrungen zur Gewichtserleichterung auf, allein der Schaltstock des W25 samt Kulisse und Sperre für den Rückwärtsgang ist ein Kunstwerk für sich.

Der Grund für die Mühe lag in der ab 1934 gültigen neuen Rennformel: Um Leistungsexzesse zu vermeiden, begrenzte die oberste Motorsportbehörde (AIACR) nicht den Hubraum, sondern das Leergewicht ohne Treibstoff, Öl und Reifen auf 750 kg – und setzte damit einen Leistungswettlauf zwischen Auto Union und Mercedes-Benz in Gang, der nur drei Jahre später bei 520 PS (Auto Union Typ C) beziehungsweise 592 PS (Mercedes W125) endete. Erwartet hatte die Behörde eher Werte um 260 PS, wie sie etwa der Alfa Romeo Gran Premio Tipo B oder der Maserati 8CM aufwiesen.

Vierventil-Köpfe und zwei obenliegende Nockenwellen

Doch schon der Mercedes W25 übertraf diese Leistungswerte deutlich mit gut 350 PS. Als Kraftquelle dient ein 3,34-Liter-Reihenachtzylinder, der im Prinzip aus zwei Stahlguss-Vierzylinderblöcken mit aufgeschweißtem Mantel für das Kühlwasser besteht – ein Konstruktionsdetail, das sich auch bei allen Nachfolgemodellen wiederfindet. Die Vierventil-Zylinderköpfe sind ebenfalls mit den Zylindern verschweißt, die zwei obenliegenden Nockenwellen werden über Stirnräder angetrieben.

Beatmet wird das Kraftpaket im Mercedes W25 von einem mächtigen Roots-Kompressor und zwei Druckvergasern, der entstehende heulende Ton sorgt allein schon für eine Gänsehaut. Ein britischer Journalist schrieb damals, der Auftritt der Silberpfeile erinnere an ein Rudel hungriger Löwen, das die Arena betritt. Beinahe allerdings wäre der erste Auftritt der Mercedes-Silberpfeile zum Debakel geworden: Trotz größter Eile aller Beteiligten wurde der W25 nicht für den geplanten ersten Einsatz auf der Avus Ende Mai 1934 fertig – dafür siegte Manfred von Brauchitsch nur eine Woche später beim Eifelrennen auf dem Nürburgring.

Atemberaubender Lärm

Genau dieser erste siegreiche Silberpfeil mit der Chassis-Nummer 4 steht nun auf dem Flugplatzkurs im schwäbischen Neuhausen bereit. „Allerdings befindet sich der Mercedes W25 nicht mehr ganz auf dem technischen Stand von damals, sondern von 1935 – es gab beispielsweise ein paar Änderungen an der Bremsbelüftung und an der Vorderachse“, erklärt Gert Straub, Projektleiter Historischer Motorsport bei Mercedes.

Start: Wie üblich schrauben die Mechaniker zunächst Warmlaufkerzen ein, dann erweckt ein externer Starter den Achtzylinder zum Leben. Der Lärm ist atemberaubend, trotz dicker Ohrenstopfen. „Er ist nicht ganz so brutal wie sein Nachfolger W125“, beruhigt Straub.

Sitzprobe: Der mit blauem Stoff überzogene Fahrersitz des Mercedes W25 ist beinahe gemütlich, das Cockpit geräumig. Das Gaspedal befindet sich in der Mitte, eine bis in die 50er-Jahre gebräuchliche Anordnung: Das Getriebe benötigt vor allem beim Runterschalten Doppelkuppeln und kräftig Zwischengas; wenn der rechte Fuß gleichzeitig auf der rechts angeordneten Bremse steht, fällt das Zwischengasgeben ergonomisch leichter als bei der heute üblichen Anordnung. Nur verwechseln darf man die Pedale nicht.

Hydraulische Trommelbremsen brauchen stramme Waden

„Bei der kleinsten Bewegung des Gaspedals schießt der Wagen nur so nach vorne“, vermeldete Rudolf Caracciola 1934 nach der ersten Probefahrt, und dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen: Untermalt vom Heulen des Kompressors und dem beinahe ungedämpften Brüllen des Achtzylinders beschleunigt der Mercedes W25 auch für heutige Verhältnisse fürchterlich, die schmalen Hinterreifen kämpfen auf der feuchten Piste vergeblich um Traktion.

Rasend schnell nähert sich das Ende der Startgeraden; Bremse rechts, die erstmals bei Mercedes verwendeten hydraulischen Trommelbremsen verzögern ordentlich, benötigen aber alle Kraft, die die Wade hergibt. Kräftig Zwischengas, das Vierganggetriebe des Mercedes W25 verlangt Nachdruck, lässt sich aber sauber herunterschalten.

Lichtjahre vor der Konkurrenz

Durch den – wie bei Vorkriegsfahrzeugen üblich – langen Radstand von 2,72 Meter lenkt der Mercedes W25 leicht verzögert, das Gefühl erinnert an Skifahren. Darunter leidet das Kapitel Handlichkeit, dafür ist der Mercedes auch bei hohen Geschwindigkeiten noch recht stabil. In kurvigem Geläuf hilft zudem die gewaltige Kraft des Motors: Selbst Spitzkehren lassen sich meist im zweiten Gang durchfräsen.

Vergleicht man den Mercedes W25 von 1934 nun mit seinen damaligen Konkurrenten, so war der Stuttgarter Silberpfeil den meisten Konstruktionen um Lichtjahre voraus, einzig die Kollegen aus Zwickau stellten ebenbürtige Gegner auf die Räder. Dieser Vorsprung sollte sich in den kommenden Jahren noch vergrößern: Der 1937 gebaute W125 stellte bereits einen deutlichen Fortschritt gegenüber seinem älteren Bruder dar, der nach der 1938 gültigen Dreiliterformel gebaute W154 war ein Quantensprung – der Kompressor-V12 fährt (bis auf den Radstand) im Grunde wie ein Formel 1 der 50er-Jahre, allerdings mit beinahe 200 PS mehr Leistung.

1935 holen die Mercedes-Silberpfeile 9 Siege

Kein Wunder also, dass die Silberpfeile die Siege nach kleinen Anlaufschwierigkeiten bald unter sich ausmachten; 1934 gewann Mercedes vier Große Preise, die Auto Union drei. Im Jahr darauf feierten die Stuttgarter neun Siege in großen Rennen und mit Caracciola den Europameistertitel, die Zwickauer waren nur viermal erfolgreich, sollten aber mit dem Wunderkind Bernd Rosemeyer das Jahr 1936 dominieren.

Mehr als einen Achtungserfolg indes erzielte Tazio Nuvolari, der 1935 im Alfa P3 vor mehreren Hunderttausend Zuschauern den Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring gewann. Wer den P3 und den Mercedes W25 kennt, wird die Leistung des furchtlosen Italieners umso höher einschätzen. Sein Sieg sollte indes bis 1939 der einzige Erfolg eines nicht silbernen Rennwagens bei einem zur Europameisterschaft zählenden Grand Prix sein.

Kraftraubende Fahrt

Wie die Fahrer damals allerdings die meist über 500 Kilometer langen und je nach Strecke über vier Stunden dauernden Rennen überstanden haben, ist mir auch nach der Fahrt mit dem Mercedes W25 ein Rätsel. Lenkung, Schaltung und Bremsen verlangen enorm viel Kraft; die Querbeschleunigung ist durch die schmalen Reifen zwar recht gering und der Grenzbereich eher weit. Dafür konnte der Fahrer bei einem Unfall nur hoffen, dass er aus dem Fahrzeug geschleudert wird, bevor die über 200 Liter hochexplosiver Brennstoff sich entzündeten.

Dazu galt es, über vier Stunden die Konzentration aufrechtzuerhalten, auf die verschleißfreudigen Reifen zu achten, im Ton des Motors nach mechanischen Misstönen zu horchen, das Getriebe des Mercedes W25 freundlich zu behandeln und, und, und. Nach dieser Fahrt gilt einmal mehr: Hut ab und grenzenloser Respekt vor den Vorfahren.

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Eifelrennen 1934, technische Abnahme: Als die neuen Mercedes Grand Prix-Rennwagen in der traditionellen deutschen Rennfarbe Weiß auf der Waage stehen, sind sie rund ein Kilogramm zu schwer - weshalb Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer kurzerhand über Nacht die gesamte weiße Farbe von den Aluminium-Karosserien kratzen lässt. "Als sie morgens nochmals auf die Waage kommen - da wiegen sie haarscharf 750 Kilogramm", erinnert sich Neubauer in seiner - sehr lesenswerten - Autobiografie "Männer, Frauen und Motoren". Anschließend gewinnt Manfred von Brauchitsch das Rennen, und fortan treten die Mercedes-Rennwagen in Silber an.

Eine schöne Geschichte, die zu jedem Jubiläum der Silberpfeile gern erzählt wird. Aber ist sie auch wahr? Zweifel wurden spätestens im Februar 1994 laut, als ein ehemaliger Mercedes-Mechaniker in Motor Klassik erklärte, die Autos seien nie weiß lackiert gewesen, somit habe es auch keine Farbe zum Abschleifen gegeben. Im Juni 2007 zeigte zudem der Fernsehjournalist Eberhard Reuß im SWR einen Film mit lauter historischen Aufnahmen, auf denen ausschließlich silberne Wagen zu sehen sind.

Mercedes reagierte damals so prompt wie gewohnt gründlich und berief eine Expertenrunde zur Klärung des Themas ein. Auch hier war die Beweisaufnahme schwierig: Zunächst einmal wurde das Eifelrennen gar nicht nach der 750-kg-Formel ausgetragen, Mercedes hätte also auch mit schwereren Wagen starten dürfen. Dazu sind nach Meinung der Experten auf praktisch allen damaligen Aufnahmen die W25 silber, es gibt nur ein Foto vom Training, auf dem die Lackierung auch weiß sein könnte.
Sicher ist aber, dass es sowohl weiße als auch silberne Felgen gab - und dass Neubauer alles perfekt machen wollte.

Denkbar ist auch, dass keine weiße, sondern silberne Farbe samt schwerem Füller entfernt wurde. Ein endgültiger Beweis - ob für oder gegen die Geschichte - steht jedenfalls noch aus.

Erster Start nach Revision des W25-Motors - per Handkurbel

Nach Prüfung aller lebenswichtigen Funktionen (Öldruck, Verbrennung auf allen Zylindern) wollte Mechaniker Manfred Oechsle dann doch wissen, ob man den 3,3-Liter-Achtzylinder wie 1934 per Hand ankurbeln kann. "Einen externen elektrischen Anlasser gab es eigentlich erst beim W125", erklärt Oechsle, packt die Kurbel mit beiden Händen, Schwung - der frisch zusammengeschraubte Motor läuft und brüllt mit 1.100 Touren die Mitarbeiter des Mercedes-Benz Classic Centers in Fellbach zusammen.

"Vor fünf Jahren haben wir den Wagen restauriert, seither hat er 500 Kilometer zurückgelegt", sagt Gert Straub, Projektleiter Historischer Motorsport. "Nun haben wir den Motor zur Routinekontrolle teilweise zerlegt und geschaut, ob alles in Ordnung ist." Was auch der Fall war - die GP-Distanz absolvierte der Achtzylinder ohne mechanische Probleme.