Morgan 4/4 Sport im Fahrbericht

Britische Nachhaltigkeit

Der Morgan 4/4 Sport ist ein Neuwagen und doch so alt wie eine stolze Eiche. In seinem 75. Lebensjahr macht ihn Morgan zum sparsamsten aller Roadster. Eine Reise mit dem außergewöhnlichen Sportwagen in die Zukunft der Vergangenheit.

Morgan 4/4 Sport Foto: Hans-Dieter Seufert 21 Bilder

Elizabeth Alexandra Mary Windsor ist zehn Jahre alt, als ihr Papa einen neuen Job antritt. Er wird König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland sowie Kaiser von Indien. 1936 beherrscht Britannien noch die Weltmeere, hat ein Empire und eine nennenswerte, selbstständige Automobilindustrie zu verlieren. Darunter die Morgan Motor Company in Malvern Link.

Nach 26 Jahren gibt es 1936 den ersten Morgan mit vier Rädern

Hinsichtlich neumodischen Teufelszeugs aus Tradition misstrauisch, gibt Firmengründer H. F. S. Morgan erst nach 26 Jahren Fahrzeugbau seine Skepsis gegenüber einem vierten Rad an seinen Kraftwagen auf. Und präsentiert nach einigen Monaten Entwicklung im Krönungsjahr von George VI. den ersten vierrädrigen Morgan – eine so einschneidende, wagemutige und doch weitsichtige Entscheidung, die es rechtfertigt, mit der Typbezeichnung Morgan 4/4 auf die Fortschrittlichkeit von vier Rädern und vier Zylinder am Roadster hinzuweisen.

Auch heute noch: Der Morgan 4/4 Sport sieht im Laufe seines nunmehr 75 Jahre währenden Lebens, wie Großbritannien tatsächlich das ganze Empire und fast die komplette Autoindustrie verliert, und erlebt, wie 13 Herren sowie eine Dame im Amt des Premiers das nicht verhindern können. Wie alle Morgan ist das neue Einstiegsmodell Morgan 4/4 Sport aus besonderem Holz geschnitzt – aus zehn Jahre abgelagerter Esche. Dem Kutschenbau verpflichtet, zimmern ihm die Schreiner aus gut einem viertel Klafter Holz (knapp ein Kubikmeter) einen Rahmen und verlegen Dielenbretter auf dem Boden. Drumrum dengeln sie sein seit 1954 nicht nennenswert geändertes Blechkleid.

Damals wie heute: der Morgan 4/4 wird in Handarbeit gefertigt

Zwei Wochen Handarbeit kostet der Bau eines Morgan 4/4 noch immer. Schon um seine Art zu erhalten, geht er dabei schonend mit der Umwelt um. Dass jeder Baum, den Morgan braucht, per Axt und nicht durch eine Motorsäge fällt, spart nicht nur Energie, sondern sorgt auch für eine gewisse Chancengleichheit zwischen den Kontrahenten – wichtig für eine Nation, die im ersten Weltkrieg den Einsatz von U-Booten als „ungentlemanly“ ablehnte. Zudem pflanzt Morgan für jede gefällte Esche zwei neue – wobei die Tatsache, dass England dadurch in den letzten Dekaden keineswegs zu einem undurchdringbaren Forst verkam, auf die maßvollen Produktionszahlen hindeutet.

Umweltschonendster Roadster mit einer großen Herausforderung

Unter der fein gerippten Motorhaube des Morgan 4/4 Sport arbeiteten im Laufe der Zeit ganze Triebwerk-Dynastien – immer kleine und sparsame Maschinen. Derzeit wird dem 1,6-Liter- Ford-Vierzylinder die Ehre zuteil, den 795 Kilogramm leichten Roadster anzutreiben. Der unterwirft sich – sicher nur unter Protest – kontinentaleuropäischer Bürokratie in Form der Euro 4-Abgasnorm und des Neuen Europäischen Fahrzyklus, der dem Morgan 4/4 Sport eine CO2-Emission von 140 g/km bescheinigt und ihn zum umweltschonendsten Roadster krönt. Emissionsrekorde mögen gebrochen werden, nicht aber sein Charakter. Den verkennt, wer meint, er sei etwas bequem geworden – mit Kopfstützen, guten Sitzen und einer Heizung, die tatsächlich wärmt.

Ein Verdeck gibt es beim Morgan 4/4 Sport auch, man wächst an der Herausforderung, es aufzubauen. Wenn erstmals Richtfest gefeiert werden kann, ist das schon ein emotionaler Moment. Anschließend die störrische Vinyldecke überstreifen, an 25 Dreh- oder Druckknöpfen festzupfen und die Seitenscheiben einsetzen. Gummilätzchen versuchen, das Zeltkonstrukt abzudichten. Manchmal regnet es dennoch rein. Oder es zieht. Meist aber beides. Die eigene Karomütze ist der bessere Wind- und Wetterschutz. Los jetzt. Ein Schlüsseldreh, und der Motor springt an, benimmt sich im Morgan 4/4 Sport angemessen krakeelig. Der erste Gang rastet harsch im verknorpelten Getriebe ein, das Kupplungspedal lässt sich kaum niederkämpfen und so schwer dosieren wie eine zuschnappende Mausefalle – hoppelnd und bollernd rollt der Morgan 4/4 Sport an.

Hinterachs-Konstruktionsprinzip von 1909

Dann legt der Morgan 4/4 Sport los und lehrt, dass es bei Sportwagen auf Leistung und Gewicht ankommt – nicht aufs Leistungsgewicht. Es liegt beim Morgan 4/4 Sport mit 6,9 Kilogramm pro Pferdestärke fast doppelt so hoch wie beim 525 PS starken Mercedes E 63 AMG (3,6 kg/PS). Doch über die leichte Holzkiste brechen die 115 PS wie ein Orkan herein. In dessen Auge sitzt der Fahrer. Aus der tiefen Sitzposition im vollverlederten Cockpit streift sein Blick durch die kleine Scheibe über die weite Hügellandschaft von Motorhaube und Kotflügel. Sie zittern und beben unter der dramatischen Beschleunigung und dem enormen Tempo, während der Tacho des Morgan 4/4 Sport beides nicht bestätigt. Zwei Fuß hinter dem Fahrersitz trampelt die blattgefederte, starre Hinterachse der vorderen hinterher. Auch deren Konstruktionsprinzip darf als ausgereift gelten, es entspricht dem des ersten Morgan – dem Threewheeler von 1909.

Die Ersatzteilversorgung für den Morgan soll für 50 Jahre abgesichert sein

Komfortqualitäten eignet sich der Morgan 4/4 Sport wohl nicht mehr an. Stolpert er über Unebenheiten, federt nichts, es knirscht nur im Gebälk. Die Richtungsentscheidungen, die der Pilot am kleinen Steuer trifft, nimmt die servofreie, giftig ansprechende Lenkung höflich zur Kenntnis, setzt sie aber nach eigenen Vorstellungen um. Keine Elektronik sorgt sich um die Traktion der 165er Reifen, nichts hindert das Versetzen der Achsen in Kurven oder das Blockieren der Räder. Der Morgan 4/4 Sport ist ein Gran Purismo, ein Langzeitauto und damit so zeitgemäß wie nie. Morgan verspricht, dass es noch in 50 Jahren Ersatzteile für ihn geben wird. Vielleicht ist bis dahin tatsächlich ein gewisser Charles Philip Arthur George Mountbatten-Windsor der König von England. Bis dahin aber gilt: God save the Queen. Heute – und auch Morgan.