Chevrolet Chevelle vs. Mercury Cougar Eliminator

Muscle-Car-Treffen - Burn baby, burn!

Sie sehen aus, als kämen sie direkt von der Rennstrecke. Sie heißen Chevelle Super Sports (SS) und Cougar Eliminator. Zwei fünf Meter lange Familiencoupés, die mit bullenstarken V8-Maschinen gedopt sind - zwei Muscle Cars.

Foto: Rossen Gargolov 27 Bilder

Der Mann von der Motorfahrzeugkontrolle (MFK), so heißen TÜV oder Dekra in der Schweiz, hatte ernsthafte Bedenken: "Der Heckspoiler ist aber nicht original, oder?" Markus Härri, der für seinen blauen Mercury Cougar Eliminator ein Veteranen-Gutachten erstellen lassen wollte, blieb ruhig. Er wusste genau: Die Frage wird kommen. Die und noch einige andere Fragen mehr. "Die blauen Außenspiegel sehen aber ziemlich modern aus?" Und: "Die schwarze Lufthutze auf der Motorhaube stammt wohl von Ihnen?"

Brachiale Optik für die Homologationsmodelle

Stimmt aber nicht. Alle sportiven Anbauteile dieses blauen Mercury Cougar, die selbst D&W wohl nur noch bei Nacht und Nebel ausliefern würde, sind original. Cougar-Besitzer Härri konnte anhand zeitgenössischer Prospekte und der Kaufrechnung von 1970 den staunenden MFK-Prüfer von der Authentizität seines Cougar überzeugen - einschließlich der Rallye-Streifen. Sogar den Schalthebel im T-Look und die Sicherungssplinte der Motorhaube (lock pins) platzierten die sportbegeisterten Marketingleute von Mercury in die Ausstattungsliste und an Markus‘ blauen US-Renner. Aber dieser Cougar ist auch eine besondere Variante des luxuriösen Coupés, das den verheißungsvollen Namen "Eliminator" trägt - auf Deutsch "Auslöscher".

Mercury ist neben Lincoln eine Marke des Ford-Konzerns. Die technische Basis des erstmals 1967 präsentierten Cougar liefert deshalb der Ford Mustang mit verlängertem Radstand. Doch nicht nur die Technik des Eliminator stammt vom kleineren Ford-Bruder, sondern auch das damals schon ziemlich spektakulär wirkende Sportpaket, das im Prinzip der Mustang Boss beisteuerte.

Die heute wieder heiß begehrten Boss- Modelle waren Homologationsfahrzeuge für die amerikanische Trans-Am-Rennserie, in der optisch unveränderte Plymouth Barracuda, Chevrolet Camaro, Dodge Challenger, Pontiac Firebird und AMC Javelin gegeneinander wüteten. Ford rüstete sein Sportpferd mit Front- und Heckspoilern aus, musste aber nachweisen, dass diese der Serie entsprechen. So entstanden die legendären Boss-Varianten des Mustang - und der Eliminator von Mercury, der ebenfalls Trans-Am-Rennen bestritt.

Boss und Eliminator, die nur 1969 und 1970 im Angebot waren, konnten wahlweise mit 429 Cui (Cubicinches, entspricht 7 Litern), 302 Cui (4,9 Liter) und später mit 351 Cui (5,8 Liter) geordert werden. Während der Bigbanger 355 SAE-PS leistete, kam der kleine 4,9-Liter-V8 auf ebenfalls respektable 290 SAE-PS - rund 60 SAE-PS mehr als ein normaler Fünfliter-V8. Die Boss-302-Maschine war für die Trans-Am-Rennklasse bis fünf Liter Hubraum konzipiert. Hierzu setzten die Ford-Techniker die Köpfe der Cleveland-Maschine mit großen Ventilen auf die modifizierten Zylinderblöcke der kleineren Windsor-Maschine. Der Ventiltrieb war verstärkt und für hohe Drehzahlen bis 6.000/min ausgelegt.

450 PS-V8 nur unter dem Ladentisch zu haben

Mercury-Besitzer Härri ist stolz auf sein blaues Renntier mit der raren V8-Maschine und gesteht: "Die Aufschrift Boss 302 an der Fahrzeugseite ist nicht original, aber ich wollte zeigen, dass eine besondere Maschine unter der Haube steckt." Außerdem ist der Vorderwagen um vier Zentimeter tiefergelegt, und die Felgen mitsamt Reifen sind etwas breiter dimensioniert. Beides steht dem Cougar ausgezeichnet. Er lauert mit leicht abgesenkter Schnauze, provozierenden Spoilern und kaltem, augenlosem Bad-Boy-Gesicht auf seinen Gegner von einst: einen Chevrolet Chevelle SS (Super Sport) 454 mit mächtiger, 7,4 Liter großer LS6-Maschine.

Chevelle-Besitzer Rony Altermatt und Markus Härri sind alte Kumpel und Angehörige der Solothurner Friday Night Cruisers (www.fnc.ch), die einmal im Jahr eines der größten US-Car-Treffen auf dem Kontinent veranstalten: das American Live. Außerdem ist der hellblaue Chevelle SS in einem ebenso beindruckenden Originalzustand wie Markus’ Eliminator und wird in den USA mit großer LS6-Maschine derzeit für umgerechnet rund 60.000 Euro gehandelt. Einen Eliminator bekommt man dort nicht unter 50.000 Euro. Da lohnt es sich schon, ein bisschen darauf aufzupassen und nicht permanent harmlose Mütter mit Kinderwagen durch verschleißfördernde Burnouts zu erschrecken.

Der Chevelle SS 396 (seit 1966) und SS 454 (seit 1970) ist die Antwort von Chevrolet auf Pontiac GTO und Dodge Charger R/T - und ein Muscle Car im eigentlichen Sinn: Die Kombination eines mittelgroßen, preisgünstigen Familiencoupés mit einem getunten Big-Block-Motor, der ursprünglich für die wirklich großen, rund zwei Tonnen schweren Full-Size Cars vorgesehen war. Dazu natürlich ein zünftiges Sportpaket: straff abgestimmtes Fahrwerk mit vorderen Scheibenbremsen, Doppelrohrauspuff, Einzelsitze vorne, Mittelschalthebel, diverse Rundinstrumente, schwarzes Interieur und Kühlergrill sowie mehr oder weniger kunstvoll angebrachte, schwarze Streifenzier. Ronnys Chevelle besitzt außerdem die legendäre LS6-Maschine, die dank schärferer Nockenwelle und größerer Ventile gegenüber dem regulären 454-Cui-(7,4 Liter) V8 mit 360 SAE-PS noch 90 zusätzliche PS mobilisierte. "Dieser Motor wurde jedoch nur unter dem Ladentisch verkauft und stand nicht auf der Optionsliste", berichtet Rony, weil die Versicherungen damals horrende Beitragssummen für Autos mit Motoren jenseits der 400-SAE-PS-Grenze verlangten.

Ein weiteres hübsches Power-Detail ist die Coal Induction am Ende der mächtigen Motorhaubenauswölbung. Dort wird aufgrund der Strömungsverhältnisse bei höheren Geschwindigkeiten Frischluft entgegen der Fahrtrichtung in den Luftfilter gepresst. Eine bewegliche, im Fahrbetrieb über Unterdruck geschlossen gehaltene Klappe (coal) öffnet sich beim spontanen Druck auf das Gaspedal zusätzlich, damit die mächtige LS6-Maschine nicht außer Atem gerät. Vom Motor erzeugter und in einem Reservoir gespeicherter Unterdruck hält übrigens auch die Klappen der Cougar-Scheinwerfer geschlossen, die sich bei einem Systemdefekt und Druckverlust automatisch öffnen.

Trotz ihrer Herkunft aus zwei todfeindlichen Lagern - GM und Ford - besitzen beide Coupés viele Gemeinsamkeiten. Helles Klacken begleitet das Drücken der rechteckigen Türklinkenknöpfe und demonstriert unkomplizierte Großserientechnik. Auf dem dünn gepolsterten Kunststoffsitz Platz genommen, zieht man mit der Gewalt seines gesamten Oberkörpers die schwere, rahmenlose Tür kraftvoll an sich heran und knallt sie ins Schloss: tschengggh! Auch die nicht zu tiefe Sitzposition, die einen höchst befriedigenden Blick - alles meins! - über die Motorhaube und auf die zahlreichen Sportinstrumente erlaubt, ist bei beiden Amis fast identisch. Im Innenraum schließlich schwarzer Kunststoff, wohin das Auge reicht. Er signalisiert kompromisslos die Sportambitionen von Cougar und Chevelle, denen die beiden ähnlich geformten, fingerdünnen Originallenkräder jedoch heftig widersprechen.

Größere Unterschiede ergeben sich in der Form der Schalthebelgriffe. Im Eliminator, den wir für den ersten Proberitt auswählen, packen wir sozusagen das Getriebe bei den Hörnern. Der originale T-Bar-Shifter von Hurst, einer US-Tuning- Firma der ersten Stunde, erlaubt präzise Manöver im Planquadrat H. Lange Wege und das kratzfreie Einrasten der vier Gänge über einen leicht bezwingbaren Widerstand hinweg kennzeichnen beide Vierganggetriebe. Die Kupplung kommt ziemlich spät, aber umso heftiger - und schon setzt sich der 1,6-Tonner fast so flink wie ein MG Midget in Bewegung.

Der Eliminator grummelt im zweiten Gang von Kreis- zu Kreisverkehr und fährt sich dabei fast so brav wie ein Golf Diesel - wenn nur die Lenkung etwas direkter wäre und der Motor nicht dauernd zu erkennen gäbe, dass er jetzt lieber in Watkins Glen Camaros jagen würde. Kurz: Die Präsenz der potenten Antriebstechnik ist auch bei Langsamfahrt für Ohr und Hintern spürbar. Good Vibrations eben.

Verschiedene Charaktere: Genug oder mehr als genug Leistung

Wer nun außerorts in den einzelnen Gängen aufs Gas tritt, erlebt eine große Überraschung: Der Eliminator zieht bis 3.000/min kräftig und für einen Fünfliter-V8 standesgemäß an, legt aber darüber hinaus noch derart vehement zu, als hätte die Boss-302-Maschine bei Enzo Ferrari ein Praktikum absolviert. Deshalb besitzt der Eliminator auch einen Drehzahlbegrenzer, der bei 6.000/min abregelt. Ganz anders dagegen der Chevelle Super Sport, der mit der gesetzten Würde des Platzhirsch auftritt. Auch sein Getriebe lässt sich mit weichem Nachdruck spielerisch leicht schalten. Eine weiße Kugel ersetzt hierbei den brachialen T-Hebel des Mercury. Wie zu erwarten, spendiert der 7,4-Liter-V8 Kraft in jeder Lebenslage. Noch bei 50 km/h fällt es schwer, die Hinterräder daran zu hindern, hysterisch kreischend durchzudrehen, als spielten sie das weibliche Mordopfer in einem Alfred-Hitchcock-Film.

Dazu ein paar Beschleunigungswerte von Null auf knapp 100 km/h (60 Meilen), gemessen von amerikanischen Automobilmagazinen. Der Eliminator 302 benötigt 7,6 Sekunden, der Chevelle SS 454 LS6 5,4 Sekunden. Zum Vergleich: Das deutsche V8-Wunder Mercedes 300 SEL 6,3 schaffte 1970 den 100 km/h-Sprint in immerhin 7,4 Sekunden. Wir glauben der Mercury-Werbung von 1970, die vom Eliminator behauptet: "Spoilers hold it down. Nothing holds it back."