NSU Typ 110 Prinz

Der Große Prinz

Seit 40 Jahren schreibt Klaus Westrup über Autos in auto motor und sport. Für Motor Klassik blättert er in seinem alten Notizbuch und erinnert sich, diesmal an einen erwachsen gewordenen Prinzen, den NSU Typ 110.

NSU Typ 110 Prinz, Frontansicht Foto: Archiv 5 Bilder

"Fahre Prinz und Du bist König", frohlockt NSU Ende der Fünfziger, als die einst größte Motorradfabrik der Welt abermals mit dem Automobil-Bau beginnt. 1965, sieben Jahre nach dem unförmigen Ur-Prinzen - dem formal gelungeneren Prinz 4, dem von Bertone karossierten Sportprinz und dem bereits vierzylindrigen Prinz 1000 -, hat es sich ausgeprinzt, zumindest verbal. Typ 110 heißt das jüngste NSU-Produkt - ein auf vier Meter Länge gewachsener Prinz 1000, dem die anspruchsvollere Rolle zugedacht ist, in der unteren Mittelklasse mitzumischen. Prinz will man da nicht mehr heißen - der Name ist zwar populär geworden, aber er wird mit Kleinwagen in Verbindung gebracht.

Stattlicher Prinz mit viel Ladekapazität

Um nicht weniger als 27 Zentimeter haben die Techniker die badewannenförmige Prinz 1000-Karosse gelängt, und dies allein in der Frontpartie. Gleichzeitig ist der Radstand gegenüber dem alten und weitergebauten Tausender um 19 Zentimeter gewachsen und der NSU Typ 110 kommt auf den Gesamtwert von 2,4 Meter - vier Zentimeter mehr, als der damals gängige VW 1600 TL auf die Straße bringt.

In der Silhouette ist der neue NSU Typ 110 denn auch ein sehr stattliches und wohlproportioniertes Auto geworden, mit einem Vorderwagen, hinter dem man sich sogar einen Reihen-Sechszylinder vorstellen konnte. Doch der Motor sitzt weiter hinten – vorn ist nur warme Luft, die Unmengen von Gepäck schluckt. Mit dem kleinen Stauraum hinter den Rücksitzen passen 550 Liter Volumen in den Hundertzehner, ein echter Mittelklasse-Wert.

Das Hitzeschild sorgt für Entsetzen

Wer beim Begutachten des neuen NSU Typ 110 die Seitenansicht verlässt, erlebt ein eher kümmerliches Bild. Für seine stattliche Länge wirkt der Familien-Prinz viel zu schmal, überdies sorgt ein wie eine billige Kühlergrill-Imitation wirkende Verblendung für Entsetzen. Redaktionsintern heißt das Ding, in Anspielung an die schon damals zur Erde zurückkehrenden Raum-Fahrzeuge, Hitzeschild. Die stilistischen Änderungen hinten sind unauffällig. Die markanten jeweils drei Einzelleuchten des Prinz 1000 präsentieren sich zusammengefasst und enthalten auch die Rückfahrscheinwerfer.

Auch im Interieur des NSU Typ 110 ist das Bemühen um einen erwachseneren Auftritt unverkennbar. Im Fußraum geht es nun nicht mehr so eng zu wie im Tausender, die bislang stehenden Pedale werden durch hängende ersetzt, die billig wirkende Gaspedal-Blechzunge des Prinz 1000 weicht einem voluminöseren länglichen Pedal, wie man es von den alten Opel kennt. Auch das Instrumentenbrett ist neu gestaltet, es trägt einen Streifen aus imitiertem Holz, darüber eine flache Kombi-Anzeige mit großem Tachometer plus Benzin- und Zeit-Uhr. Das Lenkrad liegt kleinwagenmäßig flach, die Sitze entpuppen sich trotz ausreichender Dimensionierung als verbesserungswürdig. Ihre Polsterung ist nachgiebig, in Kurven fehlt es an Seitenhalt.

Motor wie in einer Motorrad-Rennmaschine

Die Heizung, die ihre Warmluft von einem gesonderten Wärmetauscher vor dem Schalldämpfer bezieht, zählt ebenso wenig zu den Vorzeige-Disziplinen des NSU Typ 110. Als Luftgekühlter hat er hier einen konzeptionsbedingten Malus - ein Mangel, mit dem VW Käfer-Fahrer schon seit Jahrzehnten leben.

Laut sind die Luftgekühlten ebenfalls, der lange Prinz macht keine Ausnahme. Subjektiv wird das Geräusch des im NSU Typ 110 auf 1.100 Kubikzentimeter vergrößerten Reihen-Vierzylinders als nicht unangenehm empfunden, vor allem der kräftige Ansaugton wirkt sportlich und unterscheidet sich damit von der Masse der konkurrierenden Vierzylinder.

Auch optisch ist die Differenz perfekt. Kein billiger Blechdeckel verschließt beim NSU Typ 110 die per obenliegender Nockenwelle und Duplex-Kette betriebenen Ventile, sondern insgesamt acht kleine, dachgiebelförmig angeordnete Metall-Plättchen, die den zweigeteilten Zylinderkopf wie eine Motorrad-Rennmaschine aussehen lassen.

NSU Typ 110 mit munteren Fahrleistungen

53 PS entwickelt der aus dem Einliter-Vierzylinder aufgebohrte Elfhunderter, und weil auch der Vier-Meter-Prinz mit genau 716 Kilogramm extrem leicht geraten ist, kommen muntere Fahrleistungen zustande. In 17 Sekunden ist der NSU Typ 110 auf 100 km/h, läuft 143 km/h und zeigt eine gemessen am Wagenformat beeindruckende Durchzugskraft. Schon ab 1.400 Umdrehungen kann im vierten Gang beschleunigt werden, was nur 35 km/h entspricht, andererseits reicht das Drehvermögen bis 7000 Touren.

Nicht nur optisch ist der kleine Vierzylinder, der sich zwei Jahre später im TTS zu 70 PS aus nur einem Liter Hubraum aufschwingen wird, eine Delikatesse. Die Fahreigenschaften des großen Prinzen sind ebenfalls delikat, doch im Gegensatz zu den Motor-Charakteristika mit Vorsicht zu genießen. NSU hat, auch aus Kostengründen, für den NSU Typ 110 die komplette Hinterradaufhängung vom Prinz 1000 übernommen, aber die Federwege sind nun länger, was im Verbund mit dem gewachsenen Radstand für einen besseren Komfort sorgt. Doch die konzeptionsbedingte Übersteuerneigung hat im Vergleich zum kürzeren Tausender stark zugelegt. Ausgerechnet der brave Familien-Prinz verlangt im Grenzbereich nach einem Fahrer mit wachen Reaktionen und Geschicklichkeit am Lenkrad.

Heikler Grenzbereich

Die jungen dynamischen auto motor und sport-Redakteure fürchten sich, stets auf der Suche nach der Wahrheit, nicht vor den Eigenarten des NSU Typ 110. Auch der spätere NSU 1200 C, eine motorisch abermals aufgewertete Version, hat nichts von ihnen eingebüßt. Fotograf Julius Weitmann bannt sie per Teleobjektiv im Hockenheimer Motodrom auf einen Schwarzweiß-Film, einen ausgangs einer engen Linkskurve auf zwei Rädern balancierenden 1200 C, der von Fahrer Werner Schruf sicher gelandet wird.

Der Verfasser erlebt den im Grenzbereich so tückischen NSU Typ 110 ebenfalls bei einer seiner spektakulären Luftnummern, die der auf einem Renault R 8 Gordini folgende Ex-Kollege Gert Hack aus sicherer Distanz beobachtet. Sein Kommentar, auf zwei Rädern bleibe man jung, stammte aus der Motorrad-Werbung.