Panhard & Levassor 20 CV Sport im Fahrbericht

Mechanisches Geschichtsbuch

Im Panhard & Levassor 20 CV von 1929 arbeitet ein 5,32 Liter großer Knight-Motor. Er machte das Faux Cabriolet mit der Karosserie von Janssen seinerzeit zum schnellsten Serienmodell der ehrwürdigen französischen Marke - ein Fahrbericht.

Panhard & Levassovr 20 CV Sport Foto: Dani Reinhard 11 Bilder

Nichts ist überzeugender als ein praktischer Versuch. Schon mal was von der legendären Laufruhe eines Knight-Schiebermotors gehört? Aber nie den Motor selbst, weil die Automobile mit den Knight-Aggregaten zu den fast schon ausgestorbenen Arten zählen? Dann folgen Sie mir doch einfach zu dem schwarzblauen Panhard et Levassor 20 CV Sport, der dort drüben hinter dem Brunnen parkt.

Das sportlichste Auto der Panhard-Modellpalette von 1929

Den Zustand des Panhard & Levassor 20 CV Sport sollten Sie übrigens loben. Selbst wenn das Dachleder des angetäuschten Cabriolet-Verdecks mit seinen funktionslosen Spannbügeln ein wenig rissig und spröde wirkt, selbst wenn der Lack nur noch den matten Charme einer uralten Aufbesserung aufbringt, selbst wenn die Tuchbezüge der Sitze davon künden, dass Maus und Motte hier schon Tisch und Bett gefunden haben: Hier steht ein Wagen, der ein Dreivierteljahrhundert ohne Restaurierung oder größere Eingriffe technischer Art überstanden hat. Und der vermutlich noch mit dem ersten Satz Kolben läuft.

Die Startzeremonie des Panhard & Levassor 20 CV Sport verlangt ein wenig Geduld und Wissen, denn sie beginnt mit dem Aufklappen der rechten Motorhaube. Ihr sieht man von innen an, dass die in Levallois arbeitende Karosseriefirma Janssen nicht mit dem Fahrgestell zufrieden war, das Monsieur André de Neufville aus der Pariser Rue de Varennes von Panhard et Levassor liefern ließ, damals, im Frühjahr 1929. Die vormontierte Haube musste ein paar Zentimeter verlängert werden. Denn Janssen versetzte die Spritzwand eine Hand breit nach hinten, um auf dem kurzen Radstand von 2,70 Meter einen nicht zu massig wirkenden Aufbau zu entwerfen. Der Panhard & Levassor 20 CV Sport war schließlich das sportlichste Auto in der Panhard-Modellpalette von 1929. Zur sportlichen Optik aber passten eine lange Haube und eine verkürzte Fahrgastzelle einfach besser. Aber ich schweife ab. Wir wollten ja starten.

Vergaser, die bei Bedarf zugeschaltet werden

Vielleicht haben Sie den kleinen gelben Trichter bemerkt, der da neben dem Kraftstoff-Filter baumelt. Der wird jetzt gebraucht, denn der silberne Behälter über dem Filter, der wie eine metallene Feldflasche wirkt, ist nun mit einem guten Schuss Benzin aus dem Kanister aufzufüllen. Eine elektrische oder mechanische Kraftstoffpumpe besitzt der Panhard & Levassor 20 CV Sport noch nicht.Wenn der Motor läuft, setzt ein rechter Hand angeflanschter, kleiner Kompressor den Tank im Heck unter Druck. Das Benzin wird dann pneumatisch in den dreifachen Vergaser gepresst. Der stammt übrigens aus Panhard-Fabrikation und trägt die gleiche Nummer wie der X-56-Motor.

Panhard, müssen Sie wissen, hat schon im 19. Jahrhundert eine hoch standardisierte Industrieproduktion aufgezogen. Der mittlere Vergaser des Panhard & Levassor 20 CV Sport, er trägt die gleiche Nummer wie der Motor, ist für niedrige Drehzahlen. Wenn es aber rascher gehen soll, öffnet das durchgedrückte Gaspedal zusätzlich die beiden äußeren Gemischfabriken. Dazu muss der Motor aber erst einmal laufen. Der Liter Fallbenzin aus dem kleinen runden Zusatztank flutet die Vergaser auch ohne Überdruck. Den großen Benzinhahn links am Instrumentenbrett öffnen, und dann mit dem linken Fuß den hinter der Kupplung verborgenen Anlassknopf treten. Der vorn an der Kurbelwelle angeflanschte Starter müht sich, es ist kalt, noch bekommen die vier Zylinder nicht genug zündfähiges Gemisch. Kurze Pause.

Starter und Lichtmaschine des Panhard & Levassor 20 CV Sport bilden eine Einheit. Läuft der Motor, verwandelt sich der Anlasser in einen Generator und liefert Strom, um die 12-Volt-Batterie im Heck aufzuladen. Dynastart heißt das System, das bis in die siebziger Jahre hinein zum Beispiel auch Steyr-Puch verwendete. Der zweite Versuch ist von Erfolg gekrönt. Noch humpelt der Panhard & Levassor 20 CV Sport im Leerlauf vor sich hin, aber mit zunehmender Erwärmung und einem sensiblen Drehen an Knopf und Knebel für Gemisch und Standgas läuft der Panhard & Levassor 20 CV Sport bald so rund wie das Kettenkarussell neben dem Eiffelturm.Und, was ist zu hören? Zunächst die freundliche Pauke des Auspuffs. Denn die Klappe, mit der auf Überlandstrecken das Abgas per Pedaldruck weit vor dem Schalldämpfer ins Freie geleitet werden kann, dichtet nach all den Jahren nicht mehr hundertprozentig ab. Das flüsternde Rauschen des Kühler-Ventilators fällt daneben kaum auf, und die mechanischen Geräusche des Motors sind schon aus einem Schritt Entfernung von dem Panhard & Levassor 20 CV Sport nicht mehr wahrzunehmen. Verglichen mit einem von Hubventilen gesteuerten Motor aus den zwanziger Jahren bietet der Panhard tatsächlich erstaunlich souverän das Schweigen der Hämmer.

Charles Knight entwarf den "ventillosen" Motor

Diesem luxuriösen Vorteil der Schieber-Bauart erlagen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe vornehmer Marken. Die britische Daimler-Company entwarf 1926 sogar einen schiebergesteuerten V12. Mercedes, Mors, Voisin, Minerva, Itala, Clément sowie Willys und Stearns hatten schon lange zuvor auf das Patent des Charles Knight aus den USA gesetzt. Bereits 1901 entwarf der Landmaschinen-Spezialist einen so genannten "ventillosen" Motor. 1907 montierte er eine verbesserte Version - in einen importierten Panhard.

Knight hatte ein System erdacht, bei dem eine seitliche Mini-Kurbelwelle über kurze Pleuel sowohl die Zylinderlaufbüchse als auch eine außen laufende Hülse parallel zur Umdrehung der Hauptkurbelwelle gegeneinander verschiebt. Überschneiden die Kanäle im oberen Teil von Zylinder und Hülse, können Frisch- und Abgase passieren; bei Verdichtung und Zündung ist der Brennraum abgedichtet. Der Vorteil lag nicht nur im Wegfall der lärmenden, wartungsbedürftigen konventionellen Ventilsteuerung. Schieber-Motoren verkraften auch schlechtes Benzin, da kein glühend heißes Auslassventil zu Frühzündungen und zum Klopfen führt.

Knight-Fahrer brauchen große Hubräume

Der Nachteil liegt in der Drehzahlbegrenzung, da bis in die 20er Jahre mehr als 4.000/min kaum zu realisieren waren. Die Gleitbewegungen von Zylinder und Hülse laufen auch während der Phase des maximalen Arbeitsdrucks, sodass Schmierprobleme die Zuverlässigkeit einschränken. Knight-Fahrer brauchen große Hubräume, da die nötige Leistung nicht über die Drehzahl erzeugt wird. Die gute Füllung über die großen Ein- und Auslass-Querschnitte bürgt jedoch für ein exzellentes Drehmoment bei niedrigen Touren. 

Panhard et Levassor baute stets auch Motoren mit herkömmlichen Ventilen, hielt aber beim Panhard & Levassor 20 CV Sport trotz allem am Schieberprinzip fest. Lärm galt schon in den Zwanzigern als unschicklich, sobald er nicht von marschierenden Kolonnen, Kirchenglocken oder Amüsierbetrieben erzeugt wurde. Und die letzte Panhard & Levassor 20 CV Sport-Version, zwischen 1927 und 1929 in nur 76 Exemplaren gebaut, wollte sich schließlich mit den edelsten Wettbewerbern vom Schlage eines Bugatti T 46 oder Hispano-Suiza H6B messen.

Mit einer Fabrik für Holzbearbeitungsmaschinen fing alles an

Historisch gesehen, konnte das die Pariser Marke ohnehin. René Panhard und Emile Levassor hatten 1886 eine Fabrik für Holzbearbeitungsmaschinen übernommen. Ein guter Freund Levassors, der Anwalt Edouard Sarazin - er hatte bereits für Nikolaus Otto um Patentrechte gestritten - schließt zur gleichen Zeit mit Gottlieb Daimler einen Lizenzvertrag zum Motorenbau ab. Als Sarazin 1887 stirbt, tut sich seine Frau Louise mit Levassor zusammen - als Mitgift bringt sie die Daimler-Lizenzen in die spätere Ehe. 

Zunächst wollen Panhard und Levassor ab 1889 nur Motoren bauen, doch bald wenden sie sich kompletten Autos zu. 1890 erscheint das erste Modell, noch mit Mittelmotor, aber 1891 legt sich Levassor auf Frontmotor und Heckantrieb fest - Vorreiter eines später allgemein praktizierten Prinzips. Die neue französische Marke gewinnt Renommée durch Rennerfolge: 1894 siegt sie, ex aequo mit Peugeot, bei der ersten Automobil-Wettfahrt von Paris nach Rouen, 1895 im Rennen Paris-Bordeaux-Paris. 1896 gewinnt Panhard et Levassor Paris -Marseille -Paris. 1897 stirbt Emile Levassor an den Folgen eines Rennunfalls, doch die Marke überlebt. Erst 1967 kommt, zwei Jahre nach dem Zusammenspannen mit Citroën, das Aus.

Der Panhard & Levassor 20 CV Sport ist ein mechanisches Geschichtsbuch

Sie müssen mein Abschweifen entschuldigen. Ein Automobil wie der Panhard & Levassor 20 CV Sport mit diesem Stammbaum ist mehr als nur ein vierrädriges Vehikel. Es ist ein mechanisches Geschichtsbuch, das von allen Seiten immer wieder Erinnerungen an die goldenen Zeiten des wichtigsten Verkehrsmittels im 20. Jahrhundert wachruft. Man kann sogar damit fahren. Sie brauchen nur einzusteigen. Aber bitte Vorsicht mit dem Knie. Trotz seiner Größe ist der Panhard & Levassor 20 CV Sport vorn etwas knapp geschnitten. Sie erinnern sich: Janssen hat Frontscheibe und ASäule aus optischen Gründen zehn Zentimeter nach hinten gerückt. 

Das doppelte Pedal ganz links im Fußraum des Panhard & Levassor 20 CV Sport dient dem Öffnen der Auspuffklappe, daneben der Fußschalter für das Licht. Kupplung, Bremse und Gas stehen dafür in gewohnter Anordnung. Der lange Hebel links mit dem Feststellknopf bedient die Handbremse. Der Schalthebel folgt einem umgedrehten H-Schema: Der erste der vier Gänge liegt vorne rechts. Seien Sie froh, dass der Panhard & Levassor 20 CV Sport nicht das X-Schema anderer Panhard-Modelle im Getriebe trägt. Nicht zu viel Gas; denken Sie an die Schmierprobleme der Schieber. Dann die Kupplung des Panhard & Levassor 20 CV Sport kommen lassen, und so simpel ist Panhard-Fahren: Der Zweitonner setzt sich gemütlich in Bewegung. Rollt die Fuhre, werden die Lenkkräfte erträglich; im Stand erfordert das Vierspeichen-Rad des Panhard & Levassor 20 CV Sport so viel Kraft, dass der ungeübte Chauffeur Angst hat, es zu verbiegen. Es wäre schade darum, denn die Art-déco-Nabe und die gleichartigen Klammern der Federstäbe sehen in ihrer originalen Geometrie viel hübscher aus.

Dieser Panhard & Levassor 20 CV Sport ist unrestauriert

Der Gangwechsel erfolgt im Panhard & Levassor 20 CV Sport mit ein wenig Übung überraschend leicht und komfortabel. Frische Luft gefällig? Sie müssen nur den Ring unter dem Seitenfenster etwas anheben und die Scheibe dann am Griffhaken nach unten ziehen. Arretiert wird das Fenster, indem Sie den Ring wieder nach hinten drücken. Sobald dieser Verschluss gelöst wird, schwebt die Scheibe federbelastet von allein wieder nach oben. Na ja, fast nach oben. Vergessen Sie bitte nicht, Sie fahren in einem unrestaurierten Auto Baujahr 1929.

Kreuzungen begegnen wir im Panhard & Levassor 20 CV Sport am besten mit einer gewissen Vorausschau. Zwar trägt der Panhard & Levassor 20 CV Sport vier große Bremstrommeln an den Rädern, aber darin müht sich jeweils nur eine einzige Bremsbacke um Verzögerung. Zum Halten zu bringen ist er, der Panhard. Irgendwann. Beachten Sie bitte den Jaeger-Tachometer. Eben springt sein Zeiger von 60 auf 65 km/h. Belassen Sie es auf der ersten Probefahrt dabei. Haben Sie gemerkt, wie die Starrachsen über der kurzen Asphaltwelle vor Freude in die Luft gehüpft sind?

Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h

Nein, die Prospektangabe probieren wir heute noch nicht aus. Panhard versprach für den Panhard & Levassor 20 CV Sport damals 160 km/h, und im Firmenarchiv soll es Testberichte geben, in denen dieses Höllentempo 1927 tatsächlich verzeichnet ist. Das Archiv wanderte einst in das frühere Schlumpf-Museum. Die alten Testprotokolle sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. Anders der Panhard & Levassor 20 CV Sport. 1976 erscheint der Panhard in den Garagen des Delage-Sammlers André Surmain. Danach zieht er sich für den langen Schlaf von 20 Jahren in die abgelegene Ecke einer Halle in Lyon zurück. Dort wird er vor Jahresfrist von dem Schweizer Oldtimer-Spezialisten Christoph Grohe entdeckt und gekauft. 

Wer ihn zu neuem Leben führen will, sollte sich zunächst für ein besonderes Vintage-Automobil jenseits des Mainstreams interessieren - mit den Merkmalen groß, selten, schwer und schnell. In zweiter Linie sollte er einen Satz neuer Reifen unter dem Arm tragen - in der Größe 17 x 50. Diese Pneus sind noch rarer als ein Vintage-Panhard. Seinem derzeitigen Besitzer gelang es trotz weltweiter Fahndung erst, zwei neue Exemplare aufzutreiben. Aber auch ein Panhard & Levassor 20 CV Sport braucht vier. Entschuldigung. Natürlich wissen Sie das längst.