Volvo 480 S im Fahrbericht

Der Faustkeil unter den Volvo

Der Volvo 480, das erste Volvo-Modell mit Vorderradantrieb, wollte sein wie kein anderer Volvo. Doch die Kundschaft wollte keine anderen Volvos. Ein Auto, das mutiger geriet, als ihm gut tat.  

Volvo 480 S Foto: Hardy Mutschler 18 Bilder

Für einen Volvo der 80er Jahre ist der 480 geradezu frivol unpraktisch, obszön modisch und ungehörig lässig. 1985 werden die ersten Fotos des Volvo 480 gezeigt. Da haben die Volvo-Ingenieure schon sieben Jahre an dem Auto herumgedoktert. Ganz fertig sind sie allerdings noch immer nicht, aber der 480 soll ja auch ein ganz besonderer Volvo werden - der Erste mit Vorderradantrieb. Und ein Volvo, der wieder an das alte, sportliche Image der Marke anschließt: ein legitimer Nachfolger des Volvo P 1800 ES soll er werden.

Der Wendepunkt für Volvo

Seit dem Dahinscheiden des von auto motor und sport so getauften Schneewittchensargs 1973 hatte Volvo immer nur auf Sicherheit gesetzt - auf aktive, passive und gestalterische. So kam es, dass die schwedenstählerne Gemeinde schon den Volvo 760 von 1982 als formal geradezu avantgardistisch empfand, obwohl er alle Volvo-Tugenden - zuverlässig fahren, lange leben sowie beschützend und selbstaufopfernd crashen – perfekt erfüllte. Geliebt wird die 700er-Reihe erst später, als sie sich zu den Modellen 740, 940, 960 oder dann S 90 und V 90 weiterbildet, und feststeht, dass es nach ihr keinen neuen Volvo mit Hinterradantrieb mehr geben wird. Dann wird auch klar, welch großen Wendepunkt die 400er-Reihe für Volvo bedeutet: Quer- statt Längsmotor, Vorderrad- statt Hinterradantrieb, cooles statt nur kühles Design.

Der Volvo 480 verschreckt die treuesten Fans der alten Einstiegs-Volvo. 340 und 360 hatten für höchste Ekstase in der Altersgruppe gesorgt, die als Zweitfahrzeug eine Rollator-Gehhilfe bewegte. Sie verziehen den kleinen Autos sogar die holländische Herkunft, wenn sie nur maximal praktisch und extrem unsportlich waren. Ein wenig werden sie später mit der Schräghecklimousine 440 und der 460er-Stufe wieder versöhnt. Aber der Volvo 480 als radikalster Vetreter der neuen Lehre zielt ohnehin auf andere Käufer. 35.000 plant Volvo pro Jahr zu bauen, davon sollen 25.000 in den USA verkauft werden. Dort hatten die Händler den Wagen gefordert. Für die wird das Projekt E12 ab 1978 entwickelt, und doch sollten sie ihn nie bekommen: Denn es dauert zu lange mit dem Volvo 480. Bis sich der Designvorschlag von Volvo Niederlande gegen die Entwürfe von Volvo Schweden, Bertone und Coggiola durchsetzt, bis sich passende Motoren bei Renault finden, bis Porsche diese überarbeitet hat. Als das Auto endlich debütiert, schwächelt der Dollar so stark, dass sich der Export des 480 in die USA nicht mehr rechnet. Also muss es Europa richten.

Extreme Front fordert Kompromisse

Doch auch da legt der Shooting Brake keinen Glanzstart hin. Auf dem Genfer Salon 1986 wird der Volvo 480 offiziell präsentiert. In jenem Jahr werden aber nur wenige Länder beliefert. Nach Westdeutschland kommt er erst im Herbst 1987. Doch auch neun Jahre nach dem Entwicklungsstart sieht der Volvo 480 noch sehr modern aus, und ganz anders, als es die Kunden von einem Volvo erwarten. Volvo preist im Prospekt die "geschmeidige Linienführung". Aber die extreme Keilform verlangt an der Front nach Kompromissen. So sitzt der Kühlergrill unterhalb des Stoßfängers. Das ist nicht nur gewöhnungsbedürftig, sondern irritiert dauerhaft.

Dazu schaut der Volvo 480 nicht gerade talentiert und erst recht nicht sportlich-aggressiv aus seinen aufgestellten Klappscheinwerfern. Eher ein bisschen froschig. So wirkt das Auto noch schmaler.

Die Leuchtendeckel wiederum taugen hervorragend als Peilkanten beim Einparken. Bei eingefahrenen Lampen lässt sich das vordere Wagenende dagegen nur erahnen. Trotz der etwas zu hohen Sitzposition. Auch wenn die Verstellmöglichkeiten ausgereizt sind, die des Sessels in der Tiefe und die des Lenkrads in der Höhe, sitzt das Airbag-Steuer zu niedrig. Es geriet wuchtig, wie vieles am Volvo: Instrumententräger, Blinker- und Scheibenwischerhebel oder auch der Drehknopf, über den sich die sieben Informations-Kostbarkeiten des Bordcomputers abrufen lassen. So vermittelt der Volvo 480 zwar nicht ganz das Gefühl einer Trutzburg, aber schon das eines Einfamilienhauses in Massivbauweise.

Volvo möbliert den 480 geschmackvoll

Doch immerhin möbliert Volvo den 480 geschmackvoll. Dunkles Leder steht den vier Einzelsesseln besonders gut. Dass es den ohnehin schmächtigen Seitenhalt noch weiter verringert, nimmt man nicht übel, wo die Sitze doch so bequem sind. War der P 1800 ES noch ein Zwei-plus-allerhöchstens-zwei-Sitzer, reicht der Raum im Volvo 480 wirklich für vier. Dass er aber doch für ein Paar und nicht für zwei Pärchen gedacht ist, merkt man am Kofferraum. Der leidet schon nach 160 Liter Gepäck an Völlegefühl. Ihn bedeckt ein Rollo, das sich mit Häkchen festklammert, wie man sie von BH-Verschlüssen kennt.

Obwohl die beiden hinteren Einzelsitze separat umklappen, macht das den Volvo 480 nicht zum Lademeister. Dazu liegt schon die Ladekante viel zu hoch. Aber für Kleinumzüge ist dieser Volvo mit der gläsernen Heckklappe auch gar nicht gedacht. Er will ja ein Coupé sein. Sportcoupé möchte der Volvo 480 aber nicht genannt werden. Jemand könnte es glauben. Er ist doch gar kein Racer und zeigt sich auch darin als wahrer Schneewittchenerbe. Damit muss man sich gleich abfinden, sonst ist die Enttäuschung nachher groß.

Motor kann mit dem rasanten Äußeren nicht mithalten

Der Volvo 480 ist ein Auto für die große Reise zur Rennstrecke, aber keines für die schnellen Runden darauf. Daran hat auch der Motor Anteil. Anfangs gibt es nur den 1,7-Liter-Sauger mit 102 PS, später ergänzt eine Turboversion mit nur unwesentlich mehr Leistung - 120 PS - das Angebot. 1993 ersetzt ein 108-PS-Zweiliter den 1,7-Liter-Sauger. Dieser neuere Motor sitzt unter der Kunststoffmotorhaube unseres Foto-480ers. Auch diese Maschine ist ein typisches Triebwerk für einen Volvo. Für ein Auto also, bei dem es die Freude am Motor bei den Käufern mit viel Glück in die Top Ten ihrer Prioritätenliste schafft.

Also treibt diese Maschine den Volvo sehr unauffällig an - durchaus im positiven Sinn. Nur im Leerlauf macht der Antrieb keinen kompetenten Eindruck. Erinnert stattdessen rasselnd daran, dass die Holland-Volvo vom Daf abstammen. Das Rasseln klingt entsprechend daffig-gequält, hat sich aber beim Losfahren erledigt. Die anschließende Beschleunigung verlangt nicht nach gestählten Nackenmuskeln, aber es geht subjektiv ganz flott voran.

Automatik sortiert die Gänge souverän

Es reist sich mit dem Volvo unangestrengt- gediegen - vor allem ein Verdienst der Viergang-Automatik. Sie sortiert die Gänge ohne Ruckeln, mit geringer Dynamik, aber großer Souveränität. Sie zählt noch nicht zu den adaptiven Getrieben, die glauben, sie müssten sich auf den Fahrstil des Fahrers einstellen und wüssten seine Gangwünsche vorauszuahnen, um dann aber in entscheidenden Situationen ein bis zwei Gänge daneben liegen. Nein, dieser Automat herrscht autoritär, lässt sich nur ungern über das Gaspedal zu Gangwechseln inspirieren oder durch manuelle Eingriffe über den Wählhebel zwingen. Doch beides benötigt der Volvo fast nie. Das nimmt dem Fahren jede Hektik und verleiht dem Volvo die Reife eines viel größeren Wagens. Obwohl nur knapp 1,1 Tonnen schwer, fühlt sich der Volvo 480 nicht an wie ein Kompaktauto, sondern stets wie ein Volvo. Daran ändert auch der Vorderradantrieb nichts.

Der kam erst Mitte der 90er Jahre in Verruf, als die turbogeladenen Volvo 850 T5-Modelle Reifen im Halbjahrestakt verqualmten. Beim mild motorisierten Volvo 480 S bändigt schon die Automatik jedes Durchdrehen der Räder oder Zerren in der Lenkung. So kann diese leichtgängig und dennoch ausreichend direkt ausfallen. Sie gibt sich zwar nicht sehr kommunikativ. Aber was sie an Rückmeldung weitergibt, genügt vollauf. Auch im Grenzbereich des Autos. Er ist mit etwas fahrerischem Einsatz zu erreichen.

Hintere Starrachse verdaut kurze Stöße holperig

Der Aufenthalt dort gleicht allerdings dem Besuch des Göttinger Hauptbahnhofs: Man hat sicherlich schon Spannenderes erlebt, und man muss eigentlich auch nicht dagewesen sein. Also: Kurven umrundet der Volvo 480 lange neutral, bis er sich einem, seinen Ambitionen entsprechenden, sanften Untersteuern hingibt. Die Seitenneigung fällt dabei so unsportlich aus, wie es das komfortable Fahrwerk erwarten lässt. Einzelradaufhängung vorn, hinten arbeitet eine Starrachse mit Schraubenfedern. Kurze Stöße verdaut sie nur holperig. Alles wie bei den anderen Volvo-Modellen dieser Zeit.

Bei der Elektronik überflügelt er seine Geschwister. Follow-me-Home-Nachleuchten, ein Heckwischer, der sich bei Regen selbst einschaltet, wenn der Rückwärtsgang eingelegt wird oder eine Zentralverriegelung, die auch die Fenster schließt: 1985 sind das Highlights. Ein paar Jahre später stecken sie in jedem neuen Volvo. Volvo wollte mit dem Volvo 480 ein exklusives Auto bauen. Schließlich wurde er aber viel exklusiver, als die Schweden es wollten. Er war vielleicht doch ein wenig zu unpraktisch, zu modisch und zu lässig. Aber sicher nicht zu wenig Volvo.