Bellofs Nordschleifen-Rekordfahrt in 6.11,3 min

"Niemand hat den 956 so fliegen lassen"

Vor 30 Jahren gelang Stefan Bellof auf der Nordschleife eine Rekordrunde für die Ewigkeit: Schnitt über 200 km/h. Zum Jubiläum wird Derek Bell in Bellofs Porsche 956 beim Oldtimer-Grand Prix eine Ehrenrunde drehen.

Porsche 956/962, Startaufstellung Foto: Archiv 6 Bilder

Stefan Bellof war ein Phänomen, ein Ausnahmetalent: Geboren am 20. November 1957 in Gießen als Sohn eines Karosseriebaumeisters, begeistert ihn von klein auf alles, was schnell ist. 1973 steigt er neben seinem älteren Bruder in ein Kart, fährt zahlreiche Junior-Pokal, DM-, EM- und WM-Läufe, wird 1976 Luxemburgischer und 1980 Deutscher Meister. Im Jahr darauf gewinnt er acht Formel Ford-Läufe und feiert den nationalen Formel Ford 1600-Titel.

1981 holt er den ONS-Formel Ford 1600 Pokal und wird Vierter in der Formel 3, steigt ein Jahr später in die Formel 2 auf und gewinnt gleich die ersten beiden Rennen in Silverstone und Hockenheim. Ende des Jahres wird Porsche auf den stets fröhlichen und zu derben Späßen aufgelegten Bellof aufmerksam und verpflichtet ihn für 1983 – wo er beim ersten Lauf in Silverstone im Porsche 956 zwei Sekunden schneller fährt als der Rest der Welt (einschließlich der etablierten Teamkollegen Bell, Ickx und Mass) und mit Riesenvorsprung gewinnt.

„Niemand hat den 956 jemals so fliegen lassen wie Stefan Bellof“, sagt sein damaliger Rennleiter Peter Falk. Am eindrucksvollsten geschah dies wohl am 28. Mai 1983 beim Training zum letzten 1000-km-Rennen auf der 20,8 Kilometer langen Nordschleife: Bellof erwischt eine freie Runde und brennt eine 6.11,3-Minuten-Zeit in den Asphalt. Zum ersten Mal hat ein erdgebundenes Fahrzeug die schwierigste und gefährlichste Rennstrecke der Welt mit einem Schnitt von mehr als 200 km/h umrundet.

Rekord für die Ewigkeit

Wer die Nordschleife kennt und auf Zeiten unter zehn Minuten stolz ist, kann vielleicht ermessen, wie unfassbar schnell Bellof damals unterwegs gewesen sein muss. Der Rekord jedenfalls bleibt für die Ewigkeit, Sportwagenrennen und Formelautos sind auf der altehrwürdigen Eifelbahn nicht mehr zugelassen. Immerhin aber soll die Demo-Runde von Bellofs ehemaligem Partner Derek Bell im 956 beim Oldtimer-GP wohl auf der Nordschleife stattfinden; der Zeitpunkt stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Beim 1000-km-Rennen selbst lief es dann allerdings für den neuen Star nicht so gut: Am Pflanzgarten bekam sein 650 PS starker 956 bei Tempo 270 Unterluft, stieg auf, drehte in der Luft eine Schraube und knallte mit dem Heck in die Begrenzung. Anschließend entstieg Bellof dem Wrack zwar reichlich durchgeschüttelt, aber wundersamerweise unverletzt – und gab den Zuschauern durch den Zaun hindurch fröhlich grinsend Autogramme.

Was aber war das Geheimnis seiner Fabelzeiten? „Stefan Bellof hatte ein ganz spezielles Setup, deutlich härter als die anderen – er kam in einem sehr schmalen Grenzbereich zurecht, das machte den Unterschied zur Konkurrenz“, erklärt Klaus Bischof, damals sein Renningenieur und heute Manager Porsche Historic Motorsport. „Außerdem hatte er durch seinen Formel 2-Einsatz schon Erfahrung mit Ground-Effect-Autos, die andere nicht hatten“, ergänzt Peter Falk.

Sportwagen-Weltmeister 1984

Gut einen Monat später fährt Bellof auch am Norisring wie von einem anderen Stern. Nach ein paar Ausfällen gewinnt er schließlich noch mit Derek Bell die letzten beiden 1000-km-Rennen in Fuji und Kyalami. So geht es 1984 weiter, zum Ende der Saison siegt er fünf Mal in Folge und wird Sportwagen-Weltmeister. „Seine Reaktion auf den Titelgewinn war typisch“, meint Bischof: „Er sagte, eigentlich hätte der Jochen den Titel holen sollen, er werde doch noch oft Weltmeister.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte Bellof auch in der Formel 1 bereits ein Ausrufezeichen gesetzt, als er mit dem untermotorisierten Tyrrell-Ford beim legendären Regenrennen von Monaco 1984 vom letzten Startplatz aus das Feld aufmischte. Auf der tropfnassen Piste überholt Bellof an Stellen, an denen man nicht überholen kann, und macht schließlich im Gefolge von Ayrton Senna im Toleman Jagd auf den führenden Prost.

Eklat um Rennabbruch durch Jacky Ickx

Nach Runde 31 aber bricht Rennleiter Jacky Ickx das Rennen aus Sicherheitsgründen ab – und wird später der Schiebung bezichtigt, weil er seinem Freund Prost habe helfen wollen. Ohne den Abbruch hätten die Regenmeister Bellof und Senna das Rennen unter sich ausgemacht – die Fans streiten bis heute, wer am Ende vom Fürst beglückwünscht worden wäre.

Die vorsichtige Entscheidung von Jacky Ickx befeuerte leider auch die unverhohlene Feindschaft zwischen dem Belgier und Bellof, die bei Porsche Teamkollegen waren: Der junge Deutsche war deutlich schneller als der auch nicht gerade langsame Ickx, der dies wiederum durch Erfahrung ausglich.

Was folgte, gehört zu den schwärzesten Momenten der Motorsport-Historie: Beim 1000-km-Rennen in Spa am 1. September 1985 kämpfen Bellof im privaten Brun-Porsche und Ickx im Werks-956 bis aufs Messer, schließlich versucht Bellof, den Belgier auf dessen Hausstrecke in der schwierigsten Kurve der Welt zu überholen – der Eau Rouge. Die Fahrzeuge berühren sich bei rund 250, Bellof dreht sich links in die Begrenzung. Dreißig Zentimeter dahinter ist ein Betonpfeiler, Bellof hat keine Chance.

Hätte Ickx den Unfall verhindern können? „Fakt ist, dass Ickx auch beim Unfall haargenau dieselbe Linie gefahren ist wie in den Runden zuvor – Bellof hat eben etwas Unmögliches versucht“, meint Peter Falk: „Anschließend ist Ickx sofort aus dem Auto raus und hingerannt und hat versucht zu helfen.“ Auch Bischof spricht Ickx frei: „Jahre später saßen wir zusammen im Flugzeug und haben lange darüber geredet – Ickx ist sich keiner Schuld bewusst.“

Als der Unfall geschah, hatte Bellof bereits einen Vertrag mit Ferrari für die nächste Formel 1-Saison in der Tasche. Wäre der Gießener der erste deutsche Formel 1-Weltmeister geworden? „Ja“, sagt Falk schlicht. „Klar“, meint Bischof.