Paul Pietsch Classic 2013

Die schönste Schwarzwald-Tour

Bergrennen waren in dieser Region einst schwer angesagt. Angesichts der kurvigen Straßen kein Wunder. Eine Tour im Rallye-Käfer mit Mario Ketterer, dem schnellsten Bezwinger der Schauinsland-Strecke.

Paul Pietsch Classic, Reise, mokla0613 Foto: Dino Eisele 18 Bilder

Das war ja klar: Gerade genießt man noch den Fahrspaß auf kleinen Straßen mitten im Schwarzwald. Die Sonne scheint, doch plötzlich bremst ein Brauerei-Laster den VW Käfer nachhaltig aus. Mario Ketterer, lokales Motorsport-Urgestein und Pilot auf diesem Ausflug durch den Südwesten der Republik, bleibt gelassen. Schließlich kennt er die Gegend und weiß, wann es sich lohnt, zum Überholen anzusetzen.

Käfer überholt Boxster

Der Fahrer des Porsche Boxster, der hinter dem blauen Volkswagen immer wieder nervös über die Mittellinie zuckt, um die Lage zu checken, wirkt nicht ganz so souverän. Dann kommt eine Gerade. Ketterer sieht seine Chance. Blinker links und vorbei, der Stuttgarter Sportwagen folgt. Offenbar wittert er seine Gelegenheit, den historischen Kleinwagen ebenfalls hinter sich zu lassen. Doch seine Hoffnung währt nur kurz. Ketterer bleibt auf dem Gas, der Vierzylinder-Boxer schiebt den Käfer unter lautem Getöse voran. Der Porsche gibt auf und hält nun respektvoll etwas Abstand.

Eigentlich hätte er schon beim Anblick des Überrollkäfigs ahnen müssen, dass hier kein braves Volks-Fortbewegungsmittel rollt. Und in der Tat hat dieser Typ 1302 nur wenig mit seinen doch eher gemütlichen Geschwistern gemein. Er wurde, wie man das einst nannte, ordentlich frisiert. Statt serienmäßig 50 PS leistet sein luftgekühlter Boxer satte 145 PS. Und die merkt man dem 880 Kilogramm leichten Auto gerade auf kurvigem Terrain deutlich an.

Ordentlich frisiert: der Rallye Käfer

"Das Fahrwerk ist klasse gemacht, der fährt sich wie ein Kart", lobt Ketterer. Doch als Rennfahrer ist der Badener gar nicht im Einsatz, sondern als Reiseführer. Zwei Tage lang gilt es die Route der historischen Rallye Paul Pietsch Classic zu erkunden. Und da steht in dieser abwechslungsreichen Region nicht allein der Kurvenspaß auf dem Programm.

Das Basislager für die Erkundungsfahrt befindet sich östlich von Offenburg. Inmitten von Weinbergen liegt Durbach. Schließlich gibt es hier mit dem laut Eigenwerbung ersten Oldtimergerechten Hotel an der Badischen Weinstraße, dem Hotel Ritter, eine passende Unterkunft, wo der Klassiker in der Tiefgarage sicher verwahrt ist.

Sogar eine Hebebühne und Werkzeug sind vorhanden. Man merkt, dass Hotelchef Dominic Müller selbst Benzin im Blut hat, wenn man einen Blick auf den hauseigenen Fuhrpark wirft: Der umfasst neben einem Piaggio Ape-Dreirad für die täglichen Besorgungen einen MG TD Roadster zum Mieten für die Gäste und einen Mercedes Oldtimerbus 0319 für Ausflüge. Nicht der einzige Stern des Hauses - das Gourmet-Restaurant Wilder Ritter trägt einen Michelin Stern. Doch auch in der bodenständigen Ritterstube lässt sich die lokale Küche erleben.

Malerische Orte, mit Kurvengeschlängel verbunden

Zunächst steht aber der Genuss im Cockpit auf der Tagesordnung. Am Westrand des Schwarzwalds führt die Strecke gen Süden durch malerische Orte wie Gengenbach. Die Wiesen lassen mit ihrem satten Grün vergessen, dass der Winter erst vor wenigen Tagen endgültig den Rückzug angetreten hat. Erstes Etappenziel des Tages ist ein rennhistorischer Geheimtipp: Hinter Welschensteinbach geht es von der Hauptstraße ab über einen schmalen Weg bis vor ein altes Fachwerkhaus. Nicht irgendein Hofgut, sondern einst die Heimat von Hans Stuck.

1920 erbte der spätere Bergkönig das Gut von seinem Vater Wilhelm. Das dazugehörende Waldhaus fungierte einst als Wohnung und Werkstatt. Noch heute erkennt man, dass sich in der Front einmal statt Tür und Fenstern ein breites Tor befand. Hier schraubte Stuck an seinen Rennwagen. Lange hielt es ihn jedoch nicht hier im Südwesten. 1925, im Jahr seines ersten Triumphs bei einem Bergrennen in Baden Baden, verließ er den Waldhof in Richtung Bayern.

Handgedengelte Klassiker

Der Käfer taucht nun tiefer in den Hochschwarzwald ein. Tannen und Fichten dominieren die Landschaft am Wegesrand. Die Straße windet sich durch ein enges Tal, das die Wilde Gutach in den Hang gegraben hat. Schmelzwasser aus den Höhenlagen stürzt das Bachbett hinunter. Ein intensiver Geruch nach Nadelbäumen und Waldboden erfüllt die Luft. Die enge Straße ist wie geschaffen für den rassigen Kleinwagen. Holzstapel am Straßenrand künden davon, dass die Forstwirtschaft noch immer eine große Rolle in der Region spielt, wenn auch der Tourismus in vielen Gegenden die treibende Kraft ist.

In Hinterzarten findet sich jedoch ein Musterbeispiel für eine weitere Stärke der Bewohner, die Handwerkskunst. In einem eher unauffälligen Gebäude befindet sich die Werkstatt von Karosseriebau Drescher. Wer annimmt, dass hier verbeulte Karossen wieder in Form gebracht werden, liegt richtig. Doch handelt es sich dabei mitnichten um tiefer gelegte GTI, die von der Dorfjugend mangels Fahrkünsten verformt wurden. Hubert Drescher gilt vielmehr als der Spezialist für den Wiederaufbau historischer Fahrzeuge. 

Porsche 356 mit 20 kg Spachtel zuviel

Im Moment kümmert er sich unter anderem um einen Porsche. Gekauft hatte ihn der Besitzer als "wunderbaren 356 in tollem Zustand", erzählt der Fachmann. Eigentlich störten den Eigner nur ein paar kleine Macken. Doch beim genauen Hinsehen zeigte sich: Der Sportwagen hat mehr von einer Ruine als von einem schmucken Oldtimer.

So kam der Entschluss, ihn von Grund auf zu restaurieren. Eine weise Entscheidung beim Blick auf das bereits grundierte Blech: Das Heck wirkt, als hätte es schweren Beschuss über sich ergehen lassen müssen. "Allein hinten haben wir rund 20 Kilogramm Spachtelmasse entfernt." Zum Vergleich: Eine intakte Karosserie wiegt lediglich 277 Kilogramm.

Und dennoch ist dieser Auftrag für den Karosseriebaumeister und sein Team Alltagsgeschäft. Schließlich hat er schon Autos wiederauferstehen lassen, von deren Karosserie nichts mehr übrig war. Im Zweifel genügen ihm als Vorlage schon mal vier verblichene Fotos. Wie beim Semper Vivus, dem von Ferdinand Porsche im Jahr 1900 entwickelten ersten Hybridauto der Welt.

Wie vor 100 Jahren entsteht Blech für Blech in Handarbeit. Holzblock und -Hammer sind die wichtigsten Werkzeuge, wie einst bei den Pionieren des Autobaus. Damit wird das Metall in Form gedengelt und anschließend in einer Presse geglättet. Ganz traditionell führt Drescher das Geschäft als Familienbetrieb: Seine Frau hilft im Büro, Sohn Benjamin und zwei weitere Mitarbeiter arbeiten am Blech.

Asiaten lieben Kuckucksuhren

So richtig klischeehaft erlebt man den Schwarzwald in Triberg, wo Besucher neben dem höchsten Wasserfall Deutschlands Kuckucksuhren bis zum Abwinken finden, darunter auch die laut Guinnessbuch weltgrößte. Doch für eine Besichtigung ist es kurz nach sechs Uhr abends zu spät: Um 17 Uhr schließen die Tore. Immerhin gibt es auf dem Parkplatz ein ebenfalls beachtliches, etwa zwei Stockwerke hohes Exemplar. Doch wer den Vogel hören will, muss per Münzeinwurf löhnen: Dreimal "Kuckuck" kosten ein Euro. Leider haben wir gerade keine passenden Münzen dabei.

"Asiaten sind ganz verrückt danach", erzählt Ketterer. "Bei einer Urlaubsreise nach Singapur habe ich sogar mal einen Laden voll mit Schwarzwälder Uhren entdeckt." In Freiburg kennt er ein Geschäft, das poppig lackierte Exemplare offeriert. So wird der als spießig verpönte Zeitmesser wieder ein cooles Accessoire. In seinem Haus würde man dennoch vergeblich nach einem Exemplarsuchen.

Angesichts der fortgeschrittenen Stunde wird es Zeit, zurück ins Hotel zu kommen. Schließlich steht am nächsten Tag ein Ausflug in Ketterers Vergangenheit an. Es geht zum Schauplatz seines ersten Sieges bei einem Bergrennen, nach Ottenhöfen. "Die Straße ist heute allerdings eineinhalb Meter breiter als damals", erinnert sich der 63-Jährige. Dass hier 1969 bis 1983 der Anstieg nach Allerheiligen im Renntempo bezwungen wurde, wissen nur Insider. Auch einst gab es ja keine festen Einrichtungen. "Das Fahrerlager war unten am Bachufer", erinnert sich Mario. Alles sehr improvisiert.  

Im Renntempo den Berg hinauf

Bergrennen waren einst im Südschwarzwald beliebt. Gut zwei Handvoll Veranstaltungen gab es. Heute erinnern sich Normalbüger bestenfalls an die Schauinsland-Rennen. Dort begann auch Ketterers Karriere 1969 in einem Fiat Coupé und endete gleich mit einem Überschlag. Eine Schmach, die er später mehr als gründlich tilgt: 1979 absolviert er den 11,2 Kilometer langen Anstieg in 4:59,20 Minuten und unterbietet damit seinen Rekord aus dem Vorjahr. Durch das Aus der Schauinsland-Rennen bleibt der Fabelwert als ewiger Streckenrekord bestehen.

Heute sind Bergrennen deutschlandweit nahezu ausgestorben - vor allem der Umweltschutz wurde von beamteten Spaßbremsern als Grund für ein Verbot ins Feld geführt. Und auch für den Käfer gilt daher ein Tempolimit, obwohl es interessant wäre, den Bergmeister wirklich in Aktion erleben zu dürfen: "So an die 160 km/h hatte man hier an den schnellsten Stellen drauf. Wichtig war, für jeden Berg die passende Getriebeabstufung zu finden."

Doch auf den engen Sträßchen kommt auch bei der Einhaltung des Tempolimits genug Fahrspaß auf, gerade in einem Auto wie dem Rallye-Käfer. Auf der Landstraße ist er in seinem Element. Druckvoll schiebt der luftgekühlte Vierzylinder-Boxer aus den Kurven vorwärts: "An den Käfer könnte ich mich gewöhnen ..."

Zum Abschluss der Tour geht es erneut nach Durbach. Hier warten noch einige lukullische Spezialitäten auf ihre Verkostung. Denn was wäre eine Tour nach Baden ohne Schwarzwälder Kirschtorte und Schinken?

Der Bergmeister - zur Person Mario Ketterer

Wenn die Eltern eine Tankstelle besitzen und man dazu an der legendären Schauinsland-Bergrennstrecke aufwächst, liegt der Einstieg in den Motorsport nahe.

Mario Ketterer (63) wagt sich bei seinem ersten Rennen 1969 gleich auf den Hausberg vor den Toren Freiburgs. Und auch wenn sein Ehrgeiz durch einen Unfall einen Dämpfer erhält, bleibt er am Drücker. Drei Jahre später gewinnt er im Opel Ascona bereits 22 von 25 Rennen. 1975 folgt der dritte Rang bei der Deutschen Bergmeisterschaft, 1976 wird er Dritter bei der Europa-Bergmeisterschaft.

1978 wird das erfolgreichste Jahr seiner Karriere: Am Steuer eines TOJ-SC206 Sportwagen bricht er mit einer Zeit von 5.01,21 Minuten den Streckenrekord auf der 11,2 Kilometer langen Bergrennstrecke des Schauinsland und gewinnt alle 15 Rennen der deutschen Sportwagen-Meisterschaft. Ein Jahr später unterbietet er mit einer Zeit von 4:59,20 Minuten im Formel 2 Ralt-BMW seinen eigenen Rekord auf dem Schauinsland.

Doch auch auf der Rundstrecke fährt er vorne mit. 1979 gewinnt er den Markenweltmeisterschaftslauf beim 1000-Kilometer-Rennen von Dijon zusammen mit Reinhold Joest und Volker Merl am Steuer eines Porsche 908 Turbo-Spyder. 1980 entscheidet sich Ketterer gegen eine Profi-Karriere und wird Immobilien-Makler.

Dennoch startet er weiter bei Langstreckenrennen. Beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring gilt er als feste Größe. Zum Jahresbeginn 2013 beendete er seine Rennfahrerkarriere.