Rennreifen der 30er Jahre

Schwarzes Gold für die Silberpfeile

Über die Rennreifen der erfolgreichen Grand-Prix-Rennwagen von Auto Union und Mercedes-Benz war bisher wenig bekannt. Zwei Mitarbeiter von Continental haben jetzt das Firmenarchiv gesichtet. Steckte das Erfolgsgeheimnis in den Reifen?

Rennreifen der 30er Jahre, Auto Union Typ D Foto: Archive Audi und Mercedes 13 Bilder

Rund 380.000 Reichsmark für die Rennreifen

Neun Monate lang haben Ralf Krieger und Thomas Anger vom Reifenhersteller Continental darum gekämpft, Dokumente aus dem Firmenarchiv in Hannover sichten zu dürfen. Sie förderten erstaunliche Einzelheiten zutage, die sie jetzt im Rahmen eines Kolloquiums in Zwickau erstmals vorstellten.

Um das schwarze Gold für die Grand-Prix-Rennen von 1934 bis 1939 kümmerten sich insgesamt 42 rennbegeisterte Mitarbeiter neben ihren eigentlichen Aufgaben, durften dafür aber mit Naturkautschuk und feinster ägyptischer Baumwolle für die Karkasse die besten Zutaten nutzen. Einer von rund 2.100 pro Saison gebackenen Reifen, die den deutschen Werksteams leihweise zur Verfügung gestellt wurden, kostete in der Herstellung 23 Reichsmark (heute rund 104 Euro). Insgesamt ließ sich Continental den Einsatz über die Jahre rund 380.000 Reichsmark kosten.

82 Tonnen Naturkautschuk

Allein für die Herstellung der Rennreifen wurden in Hannover vom raren Naturkautschuk rund 82 Tonnen benötigt. Als die Zuteilung für 1936 deutlich verringert werden sollte, beschloss der Continental-Vorstand den Rückzug aus dem Rennsport. "Man ist sich darüber vollkommen klar, dass wir mit einer alten Continental-Tradition brechen", ist im Protokoll der Sitzung vom 17. Dezember 1935 festgehalten. Die Versorgung konnte offenbar doch gesichert werden, weil die Firma aus Hannover ihre Rennbeteiligung bis 1939 fortführte. "Man ließ die Technikabteilungen wohl gewähren", meinen die beiden Reifenforscher Krieger und Anger.

Für die Saison 1937, das letzte Jahr der 750-Kilogramm-Formel, wurde der Renndienst allerdings eingeschränkt: Continental belieferte im Unterschied zu den Vorjahren nur noch die beiden deutschen Werksteams von Auto Union und Mercedes-Benz. Die Reifenspezialisten aus Hannover gewannen übrigens einen guten Einblick in die unterschiedlichen Strategien der beiden Teams: "Auto Union war mehr auf Rekorde aus, Mercedes-Benz mehr auf Rennsiege", schließen Ralf Krieger und Thomas Anger aus ihrem Studium der wenigen noch vorhandenen Dokumente.

Der Erfolg kommt mit Rekordfahrten

Mit einem Rekordversuch begann auch die Karriere der mit Continental ausgerüsteten Auto-Union-Rennwagen: Am 6. März 1934 stellte Hans Stuck auf der AVUS in Berlin mit dem von Ferdinand Porsches Konstruktionsbüro entwickelten Monoposto insgesamt drei neue Weltrekorde auf. Zwar musste sich die Mannschaft aus Zwickau beim ersten Rundstreckeneinsatz in Berlin noch der Scuderia Ferrari beugen, deren Alfa Romeo Tipo B mit Stromlinienkarosserien versehen waren und auf belgischen Englebert-Hochgeschwindigkeitsreifen rollten. Die Erfolge bei den nächsten Rennen mit der Beteiligung deutscher Teams gingen aber an die silbernen Rennwagen mit den Reifen aus Niedersachsen.

Rasante Entwicklung

Erst durch die Entwicklung des schwarzen Goldes aus Niedersachsen war es möglich, die rapide gestiegenen Motorleistungen - von anfangs rund 300 PS auf über 600 PS - und 900 Newtonmeter Drehmoment im Jahr 1937 überhaupt auf die Straße zu bringen. Dazu mussten die Reifen Höchstgeschwindigkeiten jenseits der 300 km/h aushalten, auf der AVUS und bei den Rekordfahrten sogar über 400 km/h.

1935 konnte Mercedes-Benz das Potenzial der Rennreifen besser nutzen: Rudolf Caracciola wurde Europameister, die Stuttgarter dominierten einen Großteil der Saison und gewannen neun Grand Prix, Auto Union dagegen nur zwei zum Ende der Saison. Aus der Sicht des Reifenlieferanten war dieser Erfolg von Mercedes-Benz kein Wunder: "Das Verständnis für Rennreifen und deren richtige Behandlung im Rennen war fast nur bei Mercedes-Benz und nur Spuren davon bei der Auto Union zu finden", so der "Allgemeine Bericht über die Rennsaison 1935" vom 18. Oktober.

Conti sitzt zwischen den Stühlen

Diese Einschätzung, die von Continental-Renndienstchef Carl Dietrich stammte, war Wasser auf die Mühlen des Stuttgarter Rennteams und ein Beleg für dessen große Rennerfahrung. Diese Erfahrung hatte der Daimler-Benz-Vorstand auch immer wieder beim Kampf um die staatlichen Zuschüsse für den Bau der silbernen Grand-Prix-Wagen ins Spiel gebracht.

Zwischen den beiden deutschen Rennmannschaften aus Schwaben und Sachsen herrschte eine große Rivalität: "Das nicht gute Verhältnis der beiden deutschen Rennställe untereinander und die Zwischenstellung der Continental bei den Rennen brachten eine weitere Erschwerung mit sich", so der interne Saisonbericht von 1935. So suchten Carl Dietrich und führende Mitarbeiter aus Hannover das offene Gespräch mit Auto Union: Das Verhältnis verbesserte sich zum Saisonende. "So konnten wir auf allen Seiten einen sehr guten Ausklang der Saison feststellen", endet der Bericht.

Interne Strukturen

1936 schuf der sächsische Konzern auch intern Klarheit: Der Vertrag mit dem Konstruktionsbüro von Ferdinand Porsche wurde im Juni vorzeitig aufgelöst. Aber er setzte bei Auto Union durch, bis zum Ende der 750-kg- Formel 1937 noch unentgeltlich weiterarbeiten zu können. Zwischen dem Büro in Stuttgart und der Firma in Sachsen hatte es von der ersten Saison an immer wieder Reibereien gegeben.

Umso bemerkenswerter waren die Fortschritte in der Reifenentwicklung. Nach 1932, also mit der Festlegung des ab 1934 gültigen Grand-Prix-Reglements, begann in Hannover die gezielte Entwicklung von Rennreifen. Neben einem reinen Hochgeschwindigkeitsreifen mit dünnem Laufflächenprofil und Längsrillen mit geringer Tiefe, die bei Rekordfahrten sowie auf Strecken wie der AVUS genutzt wurden, gab es noch drei weitere reine Rennreifentypen: Dazu zählten der Typ "Bergmeister" mit dem Mäanderprofil für Strecken wie den Nürburgring sowie der Typ D20 "Monza", der häufig auf der Vorderachse eingesetzt wurde.

Das Erfolgsgeheimnis der Rennreifen

Das Geheimnis der schnellen Reifen aus Hannover lag aber vor allem im Reifenunterbau. Die Ingenieure entdeckten, dass der Karkasswinkel des Cordgewebes den größten Einfluss auf das Verhalten des Rennreifens hatte: "Darin steckte das Erfolgsgeheimnis unserer Rennreifen in den 30er-Jahren", so die Referenten heute. Die Scuderia Ferrari dagegen verfügte bei den Rundstreckenrennen für die Alfa-Romeo- Rennwagen über Pneus mit nur einem Profil, das übrigens bis 1958 verwendet wurde.

Trotz der neuen Einblicke in die Reifenentwicklung werden die Autos selbst auch künftig weiter im Fokus der Sammler stehen. Beim Kolloquium in der Zwickauer Hochschule räumte Peter Kirchberg zum Schluss noch mit einem Mythos auf: Der Rennwagen-Detektiv, einer der Experten für die Geschichte der Auto Union, hat ein Dokument des ehemaligen Rennleiters Robert Eberan-Eberhorst aus dem November 1939 entdeckt. Darin listete der Ingenieur alle verbliebenen Grand-Prix-Wagen auf: "Vier Grand-Prix-Wagen von 1939, zwei Grand-Prix-Wagen von 1938 sowie je zwei Bergrennwagen mit Sechsliter-Motor und zwei Stromlinien-Wagen." Kirchberg schickte hinterher: "Ich sage das denen, die in einer Goldgräberstimmung hoffen, noch einen originalen Typ C zu finden." Wie viele und welche der Auto-Union-Renner von 1938/39 erhalten blieben, lässt sich heute aber nicht mehr feststellen.